Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ)
OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://franklang.ru (мультиязыковой проект. Ильи Франка)
Erich Maria Remarque
Im Westen nichts Neues
Dieses Buch soll weder eine Anklage
noch ein Bekenntnis sein.
Es soll nur den Versuch machen,
uber eine Generation zu berichten,
die vom Kriege zersturt wurde -
auch wenn sie seinen Granaten entkam.
I
Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir
abgelust; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch
und sind satt und zufrieden. Sogar fur abends hat jeder noch ein
Kochgeschirr voll fassen kunnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst-
und Brotportionen - das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr
dagewesen: der Kuchenbulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen
direkt an; jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem Luffel zu und fullt
ihm einen kruftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht
weiß, wie er seine Gulaschkanone leer kriegen soll. Tjaden und Muller
haben ein paar Waschschusseln aufgetrieben und sie sich bis zum Rand
gestrichen voll geben lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus
Freßsucht, Muller aus Vorsicht. Wo Tjaden es lußt, ist allen ein
Rutsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering.
Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauchportionen
gegeben hat. Fur jeden zehn Zigarren, zwanzig Zigaretten und zwei Stuck
Kautabak, das ist sehr anstundig. Ich habe meinen Kautabak mit Katczinsky
gegen seine Zigaretten getauscht, das macht fur mich vierzig Zigaretten.
Damit langt man schon einen Tag.
Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid
sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken.
Vor vierzehn Tagen mußten wir nach vorn, um abzulusen. Es war
ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb fur den Tag
unserer Ruckkehr das normale Quantum Lebensmittel erhalten und fur die
hundertfunfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am
letzten Tage bei uns uberraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische
Artillerie, die stundig auf unsere Stellung trommelte, so daß wir
starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zuruckkamen.
Wir waren nachts eingeruckt und hatten uns gleich hingehauen, um erst
einmal anstundig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es wure alles nicht
so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben wurde. Vorne ist es
doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit.
Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken krochen.
Eine halbe Stunde sputer hatte jeder sein Kochgeschirr gegriffen, und wir
versammelten uns vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der
Spitze naturlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns am
klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; - Muller V, der noch
Schulbucher mit sich herumschleppt und vom Notexamen truumt; im Trommelfeuer
buffelt er physikalische Lehrsutze; - Leer, der einen Vollbart trugt und
große Vorliebe fur Mudchen aus den Offizierspuffs hat; er schwurt
darauf, daß sie durch Armeebefehl verpflichtet wuren, seidene Hemden
zu tragen und bei Gusten vom Hauptmann aufwurts vorher zu baden; - und als
vierter ich, Paul Buumer. Alle vier neunzehn Jahre alt, alle vier aus
derselben Klasse in den Krieg gegangen.
Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt
wie wir, der grußte Fresser der Kompanie. Er setzt sich schlank zum
Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf; - Haie
Westhus, gleich alt, Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in eine
Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; -
Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau denkt; - und
endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer Gruppe, zuh, schlau,
gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht aus Erde, mit blauen Augen,
hungenden Schultern und einer wunderbaren Witterung fur dicke Luft, gutes
Essen und schune Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der Schlange
vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig, denn der ahnungslose
Kuchenkarl stand noch immer und wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu:
"Nun mach deinen Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch,
daß die Bohnen gar sind."
Der schuttelte schlufrig den Kopf: "Erst mußt ihr alle da sein."
Tjaden grinste: "Wir sind alle da."
Der Unteroffizier merkte noch nichts. "Das kunnte euch so passen! Wo
sind denn die andern?"
"Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und
Massengrab."
Der Kuchenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte.
"Und ich habe fur hundertfunfzig Mann gekocht."
Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt.
Los, fang an!"
Plutzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein spitzes
Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die Augen wurden klein vor
Schlauheit, die Backen zuckten, und er trat dichter heran: "Menschenskind,
dann hast du ja auch fur hundertfunfzig Mann Brot empfangen, was?" Der
Unteroffizier nickte verdattert und geistesabwesend. Tjaden packte ihn am
Rock. "Und Wurst auch?"
Der Tomatenkopf nickte wieder.
Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?"
"Ja, alles."
Tjaden sah sich strahlend um. "Donnerwetter, das nennt man Schwein
haben! Das ist dann ja alles fur uns! Da kriegt jeder ja - wartet mal -
tatsuchlich, genau doppelte Portionen!"
Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erklurte: "Das geht
nicht."
Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran.
"Warum geht das denn nicht, du Mohrrube?" fragte Katczinsky.
"Was fur hundertfunfzig Mann ist, kann doch nicht fur achtzig sein."
"Das werden wir dir schon zeigen", knurrte Muller.
"Das Essen meinetwegen, aber Portionen kann ich nur fur achtzig Mann
ausgeben", beharrte die Tomate.
Katczinsky wurde urgerlich. "Du mußt wohl mal abgelust werden,
was? Du hast nicht fur achtzig Mann, sondern fur die 2. Kompanie Furage
empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir."
Wir ruckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war
schon ein paarmal schuld daran gewesen, daß wir im Graben das Essen
viel zu sput und kalt bekommen hatten, weil er sich bei etwas Granatfeuer
mit seinem Kessel nicht nahe genug herantraute, so daß unsere
Essenholer einen viel weiteren Weg machen mußten als die der andern
Kompanien. Da war Bulcke von der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar
fett wie ein Winterhamster, aber er schleppte, wenn es darauf ankam, die
Tupfe selbst bis zur vordersten Linie.
Wir waren gerade in der richtigen Stimmung, und es hutte bestimmt
Kleinholz gegeben, wenn nicht unser Kompaniefuhrer aufgetaucht wure. Er
erkundigte sich nach dem Streitfall und sagte vorluufig nur: "Ja, wir haben
gestern starke Verluste gehabt -"
Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein."
Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht."
Der Leutnant sah uns an. Er wußte, was wir dachten. Auch sonst
wußte er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden
und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal
vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er: "Bringt mir auch einen
Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir kunnen sie
brauchen."
Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.
"Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehurt, so tut
er. Und nun fang an, du alter Speckjuger, und verzuhle dich nicht -"
"Hung dich auf!" fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging
ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie
zeigen, daß nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf
freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.
Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein
paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wir zu der Wiese hinter den
Baracken hinuber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm
Arm.
Am rechten Rande der Wiese ist eine große Massenlatrine erbaut,
ein uberdachtes, stabiles Gebuude. Doch das ist was fur Rekruten, die noch
nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas
Besseres. uberall verstreut stehen numlich noch kleine Einzelkusten fur
denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert,
rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den
Seitenfluchen befinden sich Handgriffe, so daß man sie transportieren
kann.
Wir rucken drei im Kreise zusammen und nehmen gemutlich Platz. Vor zwei
Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.
Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der
Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. Turen gibt
es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie
sind mit einem Blick zu ubersehen; - der Soldat soll eben stundig unter
Aufsicht sein.
Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bißchen Scham zu
uberwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes geluufig.
Hier draußen ist die Sache aber geradezu ein Genuß. Ich
weiß nicht mehr, weshalb wir fruher an diesen Dingen immer scheu
vorbeigehen mußten, sie sind ja ebenso naturlich wie Essen und
Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders daruber zu
uußern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und
gerade uns neu gewesen wuren - den ubrigen waren sie lungst
selbstverstundlich.
Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet
als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm
entnommen, und sowohl der Ausdruck huchster Freude als auch der tiefster
Entrustung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmuglich, sich auf
eine andere Art so knapp und klar zu uußern. Unsere Familien und
unsere Lehrer werden sich schun wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es
ist hier nun einmal die Universalsprache.
Fur uns haben diese ganzen Vorgunge den Charakter der Unschuld
wiedererhalten durch ihre zwangsmußige uffentlichkeit. Mehr noch: sie
sind uns so selbstverstundlich, daß ihre gemutliche
Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schun
durchgefuhrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist fur
Geschwutz aller Art das Wort "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind
die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß.
Wir fuhlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß
gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es
schun.
Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. uber uns steht der blaue
Himmel. Am Horizont hungen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die
weißen Wulkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine
Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.
Nur wie ein sehr fernes Gewitter huren wir das gedumpfte Brummen der
Front. Hummeln, die vorubersummen, ubertunen es schon.
Und rund um uns liegt die bluhende Wiese. Die zarten Rispen der Gruser
wiegen sich, Kohlweißlinge taumeln heran, sie schweben im weichen,
warmen Wind des Sputsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir
setzen die Mutzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren
Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken.
Die drei Kusten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. -
Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir
eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach
jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man kunnte ewig
so sitzen.
Die Tune einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal
legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder
-", oder: "Das hutte schiefgehen kunnen -", und wir versinken einen
Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefuhl, jeder
spurt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hutte es sein kunnen,
daß wir heute nicht auf unsern Kusten sußen, es war verdammt
nahe daran. Und darum ist alles neu und stark - der rote Mohn und das gute
Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.
Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?"
"Er liegt in St. Joseph", sage ich.
Muller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuß, einen guten
Heimatpaß.
Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen.
Kropp holt einen Brief hervor. "Ich soll euch grußen von
Kantorek."
Wir lachen. Muller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der
wure hier."
Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem
Schoßrock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefuhr dieselbe
Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der "Schrecken des
Klosterberges". Es ist ubrigens komisch, daß das Ungluck der Welt so
oft von kleinen Leuten herruhrt, sie sind viel energischer und
unvertruglicher als großgewachsene. Ich habe mich stets gehutet, in
Abteilungen mit kleinen Kompaniefuhrern zu geraten; es sind meistens
verfluchte Schinder.
Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vortruge, bis unsere
Klasse unter seiner Fuhrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich
meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillengluser
anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte: "Ihr geht doch mit,
Kameraden?"
Diese Erzieher haben ihr Gefuhl so oft in der Westentasche parat; sie
geben es ja auch stundenweise aus. Doch daruber machten wir uns damals noch
keine Gedanken.
Einer von uns allerdings zugerte und wollte nicht recht mit. Das war
Josef Behm, ein dicker, gemutlicher Bursche. Er ließ sich dann aber
uberreden, er hutte sich auch sonst unmuglich gemacht. Vielleicht dachten
noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließen,
denn mit dem Wort "feige" waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der
Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am
vernunftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten
den Krieg gleich fur ein Ungluck, wuhrend die bessergestellten vor Freude
nicht aus noch ein wußten, obschon gerade sie sich uber die Folgen
viel eher hutten klarwerden kunnen.
Katczinsky behauptet, das kume von der Bildung, sie mache dumlich. Und
was Kat sagt, das hat er sich uberlegt.
Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei
einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn fur tot
liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir ubersturzt zuruck
mußten. Nachmittags hurten wir ihn plutzlich rufen und sahen ihn
draußen herumkriechen. Er war nur bewußtlos gewesen. Weil er
nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so
daß er von druben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu
holen.
Man kann Kantorek naturlich nicht damit in Zusammenhang bringen; - wo
bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja
Tausende von Kantoreks, die alle uberzeugt waren, auf eine fur sie bequeme
Weise das Beste zu tun.
Darin liegt aber gerade fur uns ihr Bankerott.
Sie sollten uns Achtzehnjuhrigen Vermittler und Fuhrer zur Welt des
Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des
Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen
Meine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der
Autoritut, dessen Truger sie waren, verband sich m unseren Gedanken
grußere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den
wir sahen, zertrummerte diese uberzeugung. Wir mußten erkennen,
daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die
Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns
unseren Irrtum, und unter ihm sturzte die Weltanschauung zusammen, die sie
uns gelehrt hatten.
Wuhrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und
Sterbende; - wuhrend sie den Dienst am Staate als das Grußte
bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst sturker
ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge -
alle diese Ausdrucke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere
Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; - aber
wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir
sahen, daß nichts von ihrer Welt ubrig blieb. Wir waren plutzlich auf
furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden.
Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird
sie unterwegs gut brauchen kunnen.
Im Feldlazarett ist großer Betrieb; es riecht wie immer nach
Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt,
aber hier kann einem doch flau werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch;
er liegt in einem Saal und empfungt uns mit einem schwachen Ausdruck von
Freude und hilfloser Aufregung. Wuhrend er bewußtlos war, hat man ihm
seine Uhr gestohlen.
Muller schuttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man
eine so gute Uhr nicht mitnimmt."
Muller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst wurde er den Mund
halten, denn jeder sieht, daß Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal
herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, huchstens,
daß man sie nach Hause schicken kunnte.
"Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp.
Kemmerich lußt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß
so verfluchte Schmerzen im Fuß."
Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das
Deckbett wulbt sich dick daruber. Ich trete Muller gegen das Schienbein,
denn er bruchte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanituter
draußen schon erzuhlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr
hat. Das Bein ist amputiert.
Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die
fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal
gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter
der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrungt bis an den
Rand des Kurpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen
beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor
kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er ist es
noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild
geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht
worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche.
Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute,
dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht
war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn
sie war am wenigsten gefaßt von allen, sie zerfloß furmlich in
Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff
sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er
hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen,
daß er nach vier Wochen Tornistertragen schon Plattfuße bekam.
Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!
"Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub huttest du
mindestens noch drei, vier Monate warten mussen."
Kemmerich nickt. Ich kann seine Hunde nicht gut ansehen, sie sind wie
Wachs. Unter den Nugeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz
aus wie Gift. Mir fullt ein, daß diese Nugel weiterwachsen werden,
lange noch, gespenstische Kellergewuchse, wenn Kemmerich lungst nicht mehr
atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krummen sich zu Korkenziehern und
wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schudel,
wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur muglich -?
Muller buckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz."
Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett."
Muller tut es. Kemmerich fungt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn
nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen!
Muller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind
herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie
reichen und ganz hinauf geschnurt werden, eine begehrte Sache. Muller ist
von ihrem Anblick begeistert, er hult ihre Sohlen gegen seine eigenen
klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?"
Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund wurde, kunnte
er nur einen gebrauchen, sie wuren fur ihn also wertlos. Aber wie es jetzt
steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; - denn die Sanituter
werden sie naturlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist.
Muller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?"
Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stucke.
"Wir kunnen sie ja umtauschen", schlugt Muller wieder vor, "hier
draußen kann man so was brauchen."
Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen.
Ich trete Muller auf den Fuß; er legt die schunen Stiefel zugernd
wieder unter das Bett.
Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz."
Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. Muller redet ebenfalls
davon; er denkt an die Schnurschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.
Kemmerich stuhnt. Er hat Fieber. Wir halten draußen einen
Sanituter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.
Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben wollten, mußten wir
Fusser voll haben -"
"Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp gehussig.
Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanituter zunuchst mal eine
Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich: "Darfst du denn uberhaupt eine
machen?"
Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -"
Ich drucke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand. "Tu uns den
Gefallen -"
"Na, schun", sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und
will zusehen. Wir warten draußen.
Muller fungt wieder von den Stiefeln an." Sie wurden mir tadellos
passen. In diesen Kuhnen laufe ich mir Blasen uber Blasen. Glaubst du,
daß er durchhult bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht,
haben wir die Stiefel gesehen -"
Albert kommt zuruck. "Meint ihr -?" fragt er.
"Erledigt", sagt Muller abschließend.
Wir gehen zu unsern Baracken zuruck. Ich denke an den Brief, den ich
morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich muchte
einen Schnaps trinken. Muller rupft Gruser aus und kaut daran. Plutzlich
wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum,
sieht sich um, mit einem aufgelusten und versturten Gesicht, und stammelt:
"Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße."
Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen
das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. Muller fragt ihn: "Was hat
dir der Kantorek eigentlich geschrieben?"
Er lacht: "Wir wuren die eiserne Jugend."
Wir lachen alle drei urgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß
er reden kann. -
Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne
Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung?
Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.
2
Es ist fur mich sonderbar, daran zu denken, daß zu Hause, in
einer Schreibtischlade, ein angefangenes Drama "Saul" und ein Stoß
Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich daruber verbracht, wir haben ja fast
alle so etwas uhnliches gemacht; aber es ist mir so unwirklich geworden,
daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann.
Seit wir hier sind, ist unser fruheres Leben abgeschnitten, ohne
daß wir etwas dazu getan haben. Wir versuchen manchmal, einen
uberblick und eine Erklurung dafur zu gewinnen, doch es gelingt uns nicht
recht. Gerade fur uns Zwanzigjuhrige ist alles besonders unklar, fur Kropp,
Muller, Leer, mich, fur uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die
ulteren Leute sind alle fest mit dem Fruheren verbunden, sie haben Grund,
sie haben Frauen, Kinder, Berufe und Interessen, die schon so stark sind,
daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigjuhrigen aber
haben nur unsere Eltern und manche ein Mudchen. Das ist nicht viel - denn in
unserm Alter ist die Kraft der Eltern am schwuchsten, und die Mudchen sind
noch nicht beherrschend. Außer diesem gab es ja bei uns nicht viel
anderes mehr; etwas Schwurmertum, einige Liebhabereien und die Schule;
weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben.
Kantorek wurde sagen, wir hutten gerade an der Schwelle des Daseins
gestanden. So uhnlich ist es auch. Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der
Krieg hat uns weggeschwemmt. Fur die andern, die ulteren, ist er eine
Unterbrechung, sie kunnen uber ihn hinausdenken. Wir aber sind von ihm
ergriffen worden und wissen nicht, wie das enden soll. Was wir wissen, ist
vorluufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwermutige Weise
verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.
Wenn Muller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht
weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken
wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Wurden die Stiefel Kemmerich
etwas nutzen, dann liefe Muller lieber barfuß uber Stacheldraht, als
groß zu uberlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas,
das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, wuhrend Muller sie gut
verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhult. Warum soll
deshalb Muller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als
ein Sanituter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu sput. Deshalb
paßt Muller eben jetzt schon auf.
Wir haben den Sinn fur andere Zusammenhunge verloren, weil sie
kunstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig fur uns. Und gute
Stiefel sind selten.
Fruher war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren
wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum
ersten Male, ubermutig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den
Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Plune fur die Zukunft, Gedanken
an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt,
daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - dafur jedoch steckten wir
voll Ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen
einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen.
Wir wurden zehn Wochen militurisch ausgebildet und in dieser Zeit
entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten,
daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bunde Schopenhauer.
Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgultig erkannten
wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die
Wichsburste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit,
sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten
geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war
es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftruger
mehr Macht uber uns besaß als fruher unsere Eltern, unsere Erzieherund
sumtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen,
wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer
Lehrer sich hier vorluufig realisierte zu einem Aufgeben der Persunlichkeit,
wie man es dem geringsten Dienstboten nie zugemutet haben wurde.
Grußen, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrprusentieren, Rechtsum,
Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir
hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das
Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. Aber wir gewuhnten uns bald
daran. Wir begriffen sogar, daß ein Teil dieser Dinge notwendig, ein
anderer aber ebenso uberflussig war. Der Soldat hat dafur eine feine Nase.
Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse uber die Korporalschaften
verstreut, zusammen mit friesischen Fischern, Bauern, Arbeitern und
Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, Muller,
Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier
Himmelstoß fuhrte.
Er galt als der schurfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein
Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zwulf Jahre gedient hatte, mit
fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftruger. Auf Kropp,
Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern
stillen Trotz spurte.
Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder
fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. Ich habe in
zwanzigstundiger Arbeit - mit Pausen naturlich - ein Paar uralte, steinharte
Stiefel so butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts
mehr daran auszusetzen fand; - ich habe auf seinen Befehl mit einer
Zahnburste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben
uns mit einer Handburste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den
Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir hutten durchgehalten bis zum
Erfrieren, wenn nicht zufullig ein Leutnant aufgetaucht wure, der uns
fortschickte und Himmelstoß muchtig anschnauzte. Die Folge war leider
nur, daß Himmelstoß um so wutender auf uns wurde. Ich habe vier
Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange
Stubendienst gemacht; - ich habe in vollem Gepuck mit Gewehrauf losem,
nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" geubt, bis ich
ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; - ich habe vier Stunden sputer
Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit
blutig geriebenen Hunden; - ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne
Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" geubt, die
bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von
Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen
festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom ob ersten
Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose
einige Zentimeter uber den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder
seine Sachen aufschichten mußte. Neben mir lief der Unteroffizier vom
Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; - ich habe beim
Bajonettieren stundig mit Himmelstoß fechten mussen, wobei ich ein
schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so daß
er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich
dabei einmal so in Wut, daß ich ihn blindlings uberrannte und ihm
einen derartigen Stoß vor den Magen gab, daß er umfiel. Als er
sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompaniefuhrer aus und sagte, er
solle doch aufpassen; erkannte seinen Himmelstoß und schien ihm den
Reinfall zu gunnen. - Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die
Spinde entwickelt; - ich suchte allmuhlich auch im Kniebeugen meinen
Meister; - wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme hurten, aber
kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.
Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die
Latrineneimer uber den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank
geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte
und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein
Stolpern und gussen ihm den Eimer uber die Beine. Er tobte, aber das
Maß war voll.
"Das setzt Festung", schrie er.
Kropp hatte genug. "Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir
auspacken", sagte er.
"Wie reden Sie mit einem Unteroffizier!" brullte Himmelstoß,
"sind Sie verruckt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen
Sie tun?"
"uber Herrn Unteroffizier auspacken!" sagte Kropp und nahm die Finger
an die Hosennaht.
Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort
ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch: "Das werde ich euch
eintrunken", - aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch
einmal in den Sturzuckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf, marsch, marsch".
Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß
ausgefuhrt werden. Aber wir fuhrten ihn so langsam aus, daß
Himmelstoß in Verzweiflung geriet.
Gemutlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort;
inzwischen hatte er schon wutend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir
schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete
er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin.
Es gab auch viele anstundige Korporale, die vernunftiger waren; die
anstundigen waren sogar in der uberzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen
guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie muglich, und das
konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war.
Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der
muglich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch
krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentzundung gestorben. Aber
wir wuren uns lucherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hutten. Wir
wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachsuchtig, roh - und das war
gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. Hutte man uns ohne diese
Ausbildungszeit in den Schutzengraben geschickt, dann wuren wohl die meisten
von uns verruckt geworden. So aber waren wir vorbereitet fur das, was uns
erwartete.
Wir zerbrachen nicht, wir paßten uns an; unsere zwanzig Jahre,
die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste
aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen
gehurigkeitsgefuhl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten
steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!
Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verfullt mehr und mehr. Um uns ist
viel Radau. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportfuhigen
Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er
sieht ihn nicht einmal an.
"Das nuchstemal, Franz", sage ich.
Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen. "Sie haben mich
amputiert."
Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:
"Sei froh, daß du so weggekommen bist."
Er schweigt.
Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat
den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach
Hause."
Er sieht mich an. "Meinst du?"
"Naturlich."
Er wiederholt: "Meinst du?"
" Sicher, Franz. Du mußt dich nur erst von der Operation
erholen."
Er winkt mir, heranzurucken. Ich beuge mich uber ihn, und er flustert:
"Ich glaube es nicht."
"Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst
einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden
ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert."
Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger."
"Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du
schon aufholen. Habt ihr anstundige Verpflegung?"
Er zeigt auf eine Schussel, die noch halb voll ist. Ich gerate in
Erregung. "Franz, du mußt essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist
doch ganz gut hier."
Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam: "Ich wollte mal
Oberfurster werden."
"Das kannst du noch immer", truste ich. "Es gibt jetzt großartige
Prothesen, du merkst damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden
an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen
und arbeiten, sogar schreiben. Und außerdem wird da immer noch mehr
erfunden werden."
Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er: " Du kannst meine
Schnurschuhe fur Muller mitnehmen.
Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine
Lippen sind weggewischt, sein Mund ist grußer geworden, die Zuhne
stechen hervor, als wuren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn
wulbt sich sturker, die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich
durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.
Er ist nicht der erste, den ich so sehe; aber wir sind zusammen
aufgewachsen, da ist es doch immer etwas anders. Ich habe die Aufsutze von
ihm abgeschrieben. Er trug in der Schule meistens einen braunen Anzug mit
Gurtel, der an den urmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns,
der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar flog ihm wie Seide
ms Gesicht, wenn er sie machte. Kantorek war deshalb stolz auf ihn. Aber
Zigaretten konnte er nicht vertragen. Seine Haut war sehr weiß, er
hatte etwas von einem Mudchen.
Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose
ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kruftig in diesen
breiten Ruhren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir
plutzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine
Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man wurde auch nicht glauben,
daß wir Tornister schleppen kunnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick,
wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und fuhlen uns auch beinahe
so.
Franz Kemmerich sah beim Baden klein und schmal aus wie ein Kind. Da
liegt er nun, weshalb nur? Man sollte die ganze Welt an diesem Bette
vorbeifuhren und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt,
er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!
Meine Gedanken gehen durcheinander. Diese Luft von Karbol und Brand
verschleimt die Lungen, sie ist ein truger Brei, der erstickt.
Es wird dunkel. Kemmerichs Gesicht verbleicht, es hebt sich von den
Kissen und ist so blaß, daß es schimmert. Der Mund bewegt sich
leise. Ich nuhere mich ihm. Er flustert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt
sie nach Hause."
Ich widerspreche nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man kann ihn nicht
uberzeugen. Mir ist elend vor Hilflosigkeit. Diese Stirn mit den
eingesunkenen Schlufen, dieser Mund, der nur noch Gebiß ist, diese
spitze Nase! Und die dicke weinende Frau zu Hause, an die ich schreiben
muß. Wenn ich nur den Brief schon weg hutte.
Lazarettgehilfen gehen herum mit Flaschen und Eimern. Einer kommt
heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu und entfernt sich wieder.
Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett.
Ich rucke nahe an Franz heran und spreche, als kunnte ihn das retten:
"Vielleicht kommst du in das Erholungsheim am Klosterberg, Franz, zwischen
den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus uber die Felder sehen bis zu den
beiden Buumen am Horizont. Es ist jetzt die schunste Zeit, wenn das Korn
reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die
Pappelauee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst
dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische zuchten, du kannst ausgehen
und brauchst niemand zu fragen, und Klavierspielen kannst du sogar auch,
wenn du willst."
Ich beuge mich uber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch,
leise. Sein Gesicht ist naß, er weint. Da habe ich ja schunen Unsinn
angerichtet mit meinem dummen Gerede!
"Aber Franz" - ich umfasse seine Schulter und lege mein Gesicht an
seins. "Willst du jetzt schlafen?"
Er antwortet nicht. Die Trunen laufen ihm die Backen herunter. Ich
muchte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.
Eine Stunde vergeht. Ich sitze gespannt und beobachte jede seiner
Mienen, ob er vielleicht noch etwas sagen muchte. Wenn er doch den Mund
auftun und schreien wollte! Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt.
Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts,
es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist
jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjuhrigen Leben und weint, weil
es ihn verlußt.
Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen
habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter brullte,
ein burenstarker Kerl, und der den Arzt mit aufgerissenen Augen angstvoll
mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.
Plutzlich stuhnt Kemmerich und fungt an zu rucheln.
Ich springe auf, stolpere hinaus und frage: "Wo ist der Arzt? Wo ist
der Arzt?"
Als ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn fest. "Kommen Sie
rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst."
Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was
soll das heißen?"
Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert."
Er schnauzt: "Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute funf
Beine amputiert", schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen: "Sehen Sie
nach", und rennt zum Operationssaal.
Ich bebe vor Wut, als ich mit dem Sanituter gehe. Der Mann sieht mich
an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens funf Uhr - doll,
sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abgunge - deiner ist der
siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -"
Mir wird schwach, ich kann plutzlich nicht mehr. Ich will nicht mehr
schimpfen, es ist sinnlos, ich muchte mich fallen lassen und nie wieder
aufstehen.
Wir sind am Bette Kemmerichs. Er ist tot. Das Gesicht ist noch
naß von den Trunen. Die Augen stehen halb offen, sie sind gelb wie
alte Hornknupfe. -
Der Sanituter stußt mich in die Rippen.
"Nimmst du seine Sachen mit?"
Ich nicke.
Er fuhrt fort: "Wir mussen ihn gleich wegbringen, wir brauchen das
Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur."
Ich nehme die Sachen und knupfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab. Der
Sanituter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da.
Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein musse, und gehe.
Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.
Vor der Tur fuhle ich wie eine Erlusung das Dunkel und den Wind. Ich
atme, so sehr ich es vermag, und spure die Luft warm und weich wie nie in
meinem Gesicht. Gedanken an Mudchen, an bluhende Wiesen, an weiße
Wolken fliegen mir plutzlich durch den Kopf. Meine Fuße bewegen sich
in den Stiefeln vorwurts, ich gehe schneller, ich laufe. Soldaten kommen an
mir voruber, ihre Gespruche erregen mich, ohne daß ich sie verstehe.
Die Erde ist von Kruften durchflossen, die durch meine Fußsohlen in
mich uberstrumen. Die Nacht knistert elektrisch, die Front gewittert dumpf
wie ein Trommelkonzert. Meine Glieder bewegen sich geschmeidig, ich fuhle
meine Gelenke stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt, ich lebe.
Ich spure Hunger, einen grußeren als nur vom Magen. -
Muller steht vor der Baracke und erwartet mich. Ich gebe ihm die
Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. -
Er kramt in seinen Vorruten und bietet mir ein schunes Stuck
Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum.
3
Wir bekommen Ersatz. Die Lucken werden ausgefullt, und die Strohsucke
in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch
funfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns
uberwiesen. Sie sind fast ein Jahr junger als wir. Kropp stußt mich
an: "Hast du die Kinder gesehen?"
Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof
rasieren, stecken die Hunde in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an
und fuhlen uns als steinaltes Militur.
Katczinsky schließt sich uns an. Wir wandern durch die
Pferdestulle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee
empfangen. Kat fragt einen der jungsten: "Habt wohl lange nichts
Vernunftiges zu futtern gekriegt, was?"
Der verzieht das Gesicht. "Morgens Steckrubenbrot - mittags
Steckrubengemuse, abends Steckrubenkoteletts und Steckrubensalat."
Katczinsky pfeift fachmunnisch. "Brot aus Steckruben? Da habt ihr Gluck
gehabt, sie machen es auch schon aus Sugespunen. Aber was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?"
Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht."
Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr."
Wir folgen neugierig. Er fuhrt uns zu einer Tonne neben seinem
Strohsack. Sie ist tatsuchlich halb voll weißer Bohnen mit
Rindfleisch. Katczinsky steht vor ihr wie ein General und sagt: "Auge auf,
Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen."
Wir sind uberrascht. Ich frage: "Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn
dazu?"
"Die Tomate war froh, als ich ihr's abnahm. Ich habe drei Stuck
Fallschirmseide dafur gegeben. Na, weiße Bohnen schmecken kalt doch
tadellos."
Er gibt gunnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du das
nuchstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken
Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?"
Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt naturlich so."
Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es
gibt uberall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an,
daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist
der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber
das tut nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm
befreundet zu sein. Wir sind es, Kropp und ich, auch Haie Westhus gehurt
halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausfuhrendes Organ, denn er
arbeitet unter dem Kommando Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der
man Fuuste braucht. Dafur hat er dann seine Vorteile.
Wir kommen zum Beispiel nachts in einen vullig unbekannten Ort, ein
trubseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis
auf die Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu
eingerichtet worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen,
ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind.
Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir nicht, wir
brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu dunn.
Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus: "Komm mal mit."
Sie gehen los, in den vullig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde
sputer sind sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen
Pferdestall gefunden und damit das Stroh. Wir kunnten jetzt warm schlafen,
wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf hutten.
Kropp fragt einen Artilleristen, der schon lunger in der Gegend ist:
"Gibt es hier irgendwo eine Kantine?"
Der lacht: "Hat sich was! Hier ist nichts zu holen. Keine Brotrinde
holst du hier."
"Sind denn keine Einwohner mehr da?"
Er spuckt aus. "Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden
Kuchenkessel herum und betteln."
Das ist eine buse Sache. Dann mussen wir eben den Schmachtriemen enger
schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt.
Ich sehe jedoch, wie Kat seine Mutze aufsetzt, und frage: "Wo willst du
hin, Kat?"
"Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus.
Der Artillerist grinst huhnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei."
Enttuuscht legen wir uns hin und uberlegen, ob wir die eisernen
Portionen anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir
ein Auge voll Schlaf zu nehmen.
Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die Hulfte. Tjaden
erzuhlt von seinem Nationalgericht, großen Bohnen mit Speck. Er
verdammt die Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles
durcheinander kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und
den Speck getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut
verarbeiten wurde, wenn er nicht sofort still wure. Darauf wird es ruhig in
dem großen Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in den Flaschenhulsen,
und ab und zu spuckt der Artillerist aus.
Wir duseln ein bißchen, als die Tur aufgeht und Kat erscheint.
Ich glaube zu truumen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen
blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.
Dem Artilleristen fullt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.
"Tatsuchlich, richtiges Brot, und noch warm."
Kat redet nicht weiter daruber. Er hat eben Brot, das andere ist egal.
Ich bin uberzeugt, wenn man ihn in der Wuste aussetzte, wurde er in einer
Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden.
Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz."
Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor und zieht eine
Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles
gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer. Es prasselt durch die
kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten.
Der Artillerist schwankt. Er uberlegt, ob er loben soll, damit
vielleicht auch etwas fur ihn abfullt. Aber Katczinsky sieht ihn gar nicht,
so sehr ist er Luft fur ihn. Da zieht er fluchend ab.
Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in
die Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser
vorgekocht werden. Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen
uns den Magen voll.
Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang
etwas Eßbares aufzutreiben wure, so wurde er genau in dieser Stunde,
wie von einer Erleuchtung getrieben, seine Mutze aufsetzen, hinausgehen,
geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden.
Er findet alles; - wenn es kalt ist, kleine Ofen und Holz, Heu und
Stroh, Tische, Stuhle - vor allem aber Fressen. Es ist rutselhaft, man
sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine Glanzleistung waren vier
Dosen Hummer. Allerdings hutten wir lieber Schmalz dafur gehabt.
Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Es riecht
nach Teer, Sommer und Schweißfußen.
Kat sitzt neben mir, denn er unterhult sich gern. Wir haben heute
mittag eine Stunde Ehrenbezeigungen geubt, weil Tjaden einen Major
nachlussig gegrußt hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er
uußert: "Paß auf, wir verlieren den Krieg, weil wir zu gut
grußen kunnen."
Kropp storcht nuher, barfuß, die Hosen aufgekrempelt. Er legt
seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs Gras. Kat sieht in den Himmel,
lußt einen kruftigen Laut huren und sagt versonnen dazu: "Jedes
Buhnchen gibt ein Tunchen."
Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich uber uns abspielt.
Kat lußt sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als
altes Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt: "Gleiche Luhnung,
gleiches Essen, war'der Krieg schon lungst vergessen." -
Kropp dagegen ist ein Denker. Er schlugt vor, eine Kriegserklurung
solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei
Stiergefechten. Dann mußten in der Arena die Minister und Generule der
beiden Lunder in Badehosen, mit Knuppeln bewaffnet, aufeinander losgehen.
Wer ubrigbliebe, dessen Land hutte gesiegt. Das wure einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bekumpfen.
Der Vorschlag gefullt. Dann gleitet das Gespruch auf den Kasernendrill
uber.
Mir fullt dabei ein Bild ein. Gluhender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze steht uber dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles
schluft. Man hurt nur Trommler uben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und
uben, ungeschickt, eintunig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang:
Mittagshitze, Kasernenhof und Trommeluben!
Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel. Aus einigen hungen
trocknende Drillichhosen. Man sieht sehnsuchtig hinuber. Die Stuben sind
kuhl. -
Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit den eisernen
Bettgestellen, den gewurfelten Betten, den Spindschrunken und den Schemeln
davor! Selbst ihr kunnt das Ziel von Wunschen werden; hier draußen
seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst
von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und großer Bewegung.
Was wurden wir geben, wenn wir zu ihnen zuruck kunnten! Denn weiter wagen
sich unsre Gedanken schon gar nicht -
Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfruhe - "Worin zerfullt das Gewehr
98?" - ihr Turnstunden am Nachmittag - "Klavierspieler vortreten. Rechts
heraus. Meldet euch in der Kuche zum Kartoffelschulen" -
Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht plutzlich und sagt: "In
Luhne umsteigen."
Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Luhne ist ein
Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten,
ubte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir
sollten lernen, daß man in Luhne durch eine Unterfuhrung zum
Anschlußzug gelangte. Die Betten stellten die Unterfuhrung dar, und
jeder baute sich links davon auf. Dann kam das Kommando: "In Luhne
umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die
andere Seite. Das haben wir stundenlang geubt. -
Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
sturzt es in einer Rauchfahne abwurts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier
verloren und zuhlt mißmutig sein Geld.
"Der Himmelstoß ist als Brieftruger sicher ein bescheidener
Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Enttuuschung gelegt hat, "wie mag es
nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?"
Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß
allein, das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen Subel haben,
werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen hutten."
"Das macht die Uniform", vermute ich.
"So ungefuhr", sagt Kat und setzt sich zu einer großen Rede
zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum
Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stuck Fleisch
hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt.
Und wenn du einem Menschen ein Stuckchen Macht gibst, dann geht es ihm
ebenso; er schnappt danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist
an und fur sich zunuchst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht
noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anstundigkeit draufgeschmiert. Der
Kommiß besteht nun darin, daß immer einer uber den andern Macht
hat. Das Schlimme ist nur, daß jeder viel zuviel Macht hat; ein
Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant einen Unteroffizier, ein
Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verruckt wird. Und
weil er das weiß, deshalb gewuhnt er es sich gleich schon etwas an.
Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und sind
hundemude. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn
jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon
macht die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim
Ruckmarsch heißt es wieder: 'Singen!', und jetzt wird gesungen. Was
hat das Ganze fur einen Zweck? Der Kompaniefuhrer hat seinen Kopf
durchgesetzt, weil er die Macht dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im
Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so etwas nur eine Kleinigkeit, es
gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun frage ich
euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich
so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze eingeschlagen wird ? Das
kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt jedem zu Kopf! Und
es steigt ihm um so mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist zu sagen
hatte."
"Es heißt eben, Disziplin muß sein -", meint Kropp
nachlussig.
" Grunde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erklure das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er
weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch,
daß der einfache Soldat hier vorn so aushult, das ist allerhand!
Allerhand ist das!"
Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im
Schutzengraben der Drill aufhurt, daß er aber wenige Kilometer hinter
der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem grußten Unsinn, mit
Grußen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat
muß auf jeden Fall beschuftigt werden.
Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so
aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:
"Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front."
Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im
Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnusser, nachts
beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und
fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner wurdiges Mittel, um Tjaden
zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettnusser
auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In
den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten ubereinander,
die Bettbuden aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen,
daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett
bekam. Der untere war dadurch naturlich scheußlich daran. Dafur wurde
am nuchsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung
hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung.
Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts,
weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden.
Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit,
daß immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er hutte
sich leicht dabei erkulten kunnen. -
Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir
zu und reibt anduchtig seine Tatze. Wir haben zusammen den schunsten Tag
unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld
fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt,
vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zuruckbefurdert worden,
allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am
nuchsten Morgen fruh sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um
mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen.
Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im
Frieden das Postfach einzuschlagen, um sputer, wenn Himmelstoß wieder
Brieftruger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie
er ihn schleifen wurde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht
kleinkriegen konnte; wir rechneten stets damit, daß wir ihn schon
einmal schnappen wurden, sputestens am Kriegsende.
Einstweilen wollten wir ihn grundlich verhauen. Was konnte uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fruh abfuhren.
Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er
von dort zur Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute
Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte
einen Bettuberzug bei mir. Wir zitterten vor Erwartung, ob er auch allein
sein wurde. Endlich hurten wir seinen Schritt, den kannten wir genau, wir
hatten ihn oft genug morgens gehurt, wenn die Tur aufflog und "Aufstehen!"
gebrullt wurde.
"Allein?" flusterte Kropp.
"Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas
angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er voruber.
Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, stulpten es
ihm von hinten uber den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in
einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen
erstarb.
Im nuchsten Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen
warf er uns zuruck, um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich
genußreich in Positur, hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie
eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf den weißen Sack, der
einen Ochsen hutte tuten kunnen.
Himmelstoß uberschlug sich, landete funf Meter weiter und fing an
zu brullen. Auch dafur hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei
uns. Haie hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte
Himmelstoß da, wo der Kopf war, und druckte ihn auf das Kissen. Sofort
wurde er im Ton gedumpfter. Haie ließ ihn ab und zu mal Luft
schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein prachtvoller heller Schrei, der
gleich wieder zart wurde.
Tjaden knupfte jetzt Himmelstoß die Hosentruger ab und zog ihm
die Hose herunter. Die Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Zuhnen fest.
Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde, uber ihn
gebeugt, seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht
und vor Lust offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den
X-Beinen, die in der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die
originellsten Bewegungen machten, und daruber wie ein Holzhacker der
unermudliche Tjaden. Wir mußten ihn schließlich geradezu
wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen.
Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als
Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflucken zu wollen, so
holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie
hob ihn wieder auf, stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites,
erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und
fluchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftrugerhintern leuchtete im
Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesuttigt und etwas
rutselhaft: "Rache ist Blutwurst." -
Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß
immer einer den andern erziehen musse, hatte an ihm selbst Fruchte getragen.
Wir waren gelehrige Schuler seiner Methoden geworden.
Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann
er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden sputer noch einmal
nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, daß wir am nuchsten Morgen
einigermaßen gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete
uns deshalb ganz geruhrt als Heldenjugend.
4
Wir mussen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die
Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die
Dummerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl
fuhlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine
Zigarette und gibt mir Feuer.
Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind
wir auch nicht gewuhnt. Muller ist endlich mal guter Laune; er trugt seine
neuen Stiefel.
Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die
Straßen sind ausgefahren und voller Lucher. Es darf kein Licht gemacht
werden, deshalb rumpeln wir hinein, daß wir fast aus dem Wagen
purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein
gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher wunscht sich
geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es
eilig, uberholen uns fortwuhrend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie
antworten.
Eine Mauer wird sichtbar, sie gehurt zu einem Hause, das abseits der
Straße liegt. Ich spitze plutzlich die Ohren. Tuusche ich mich? Wieder
hure ich deutlich Gunsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von
ihm zuruck; wir verstehen uns.
"Kat, ich hure da einen Kochgeschirraspiranten -"
Er nickt. "Wird gemacht, wenn wir zuruck sind. Ich weiß hier
Bescheid."
Naturlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes Gunsebein in
zwanzig Kilometer Umkreis.
Die Wagen erreichen das Gebiet der Artillerie. Die Geschutzstunde sind
gegen Fliegersicht mit Buschen verkleidet, wie zu einer Art militurischem
Laubhuttenfest. Diese Lauben suhen lustig und friedlich aus, wenn ihre
Insassen keine Kanonen wuren.
Die Luft wird diesig von Geschutzrauch und Nebel. Man schmeckt den
Pulverqualm bitter auf der Zunge. Die Abschusse krachen, daß unser
Wagen bebt, das Echo rollt tosend hinterher, alles schwankt. Unsere
Gesichter verundern sich unmerklich. Wir brauchen zwar nicht in die Gruben,
sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist die
Front, wir sind in ihrem Bereich. Es ist das noch keine Angst. Wer so oft
nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten
sind aufgeregt. Kat belehrt sie: "Das war ein 30,5. Ihr hurt es am
Abschuß; - gleich kommt der Einschlag."
Aber der dumpfe Hall der Einschluge dringt nicht heruber. Er ertrinkt
im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun."
Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:
"Die Tommys schießen schon."
Die Abschusse sind deutlich zu huren. Es sind die englischen Batterien,
rechts von unserm Abschnitt. Sie beginnen eine Stunde zu fruh. Bei uns
fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
"Was fullt denn denen ein", ruft Muller, "ihre Uhren gehen wohl vor."
"Es gibt Kattun, sag ich euch, ich spure es in den Knochen." Kat zieht
die Schultern hoch.
Neben uns druhnen drei Abschusse. Der Feuerstrahl schießt schrug
in den Nebel, die Geschutze brummen und rumoren. Wir frusteln und sind froh,
daß wir morgen fruh wieder in den Baracken sein werden.
Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht ruter als sonst; sie sind
auch nicht gespannter oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir fuhlen,
daß in unserm Blut ein Kontakt angeknipst ist. Das sind keine
Redensarten; es ist Tatsache. Die Front ist es, das Bewußtsein der
Front, das diesen Kontakt auslust. Im Augenblick, wo die ersten Granaten
pfeifen, wo die Luft unter den Abschussen zerreißt, ist plutzlich in
unsern Adern, unsern Hunden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern,
ein sturkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der
Kurper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
Oft ist es mir, als wure es die erschutterte, vibrierende Luft, die mit
lautlosem Schwingen auf uns uberspringt; oder als wure es die Front selbst,
von der eine Elektrizitut ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen
mobilisiert.
Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind murrische oder
gutgelaunte Soldaten; - dann kommen die ersten Geschutzstunde, und jedes
Wort unserer Gespruche hat einen verunderten Klang. -
Wenn Kat vor den Baracken steht und sagt: "Es gibt Kattun -", so ist
das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz
eine Schurfe wie ein Bajonett nachts im Mond, er schneidet glatt durch die
Gedanken, er ist nuher und spricht zu diesem Unbewußten, das in uns
aufgewacht ist, mit einer dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht
ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur
Abwehr erhebt.
Fur mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit
entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fuhlt man schon die
Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel
Widerstand. Aus der Erde, aus der Luft aber strumen uns Abwehrkrufte zu, -
am meisten von der Erde. Fur niemand ist die Erde so viel wie fur den
Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er sich tief
mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwuhlt in der Todesangst des
Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er
stuhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre
Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entlußt ihn wieder zu neuen zehn
Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal fur immer.
Erde - Erde - Erde -!
Erde, mit deinen Bodenfalten und Luchern und Vertiefungen, in die man
sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrullen der Explosionen die
ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten
Daseins floß im Ruckstrom von dir durch unsre Hunde, so daß wir
die geretteten in dich gruben und im stummen Angstgluck der uberstandenen
Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! -
Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten
Druhnen der Granaten um Tausende von Jahren zuruck. Es ist der Instinkt des
Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und beschutzt. Er ist nicht
bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das
Bewußtsein. Man kann es nicht erkluren. Man geht und denkt an nichts -
plutzlich liegt man in einer Bodenmulde, und uber einen spritzen die
Splitter hinweg; - aber man kann sich nicht entsinnen, die Granate kommen
gehurt oder den Gedanken gehabt zu haben, sich hinzulegen. Hutte man sich
darauf verlassen sollen, man wure bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es
ist das andere gewesen, diese hellsichtige Witterung in uns, die uns
niedergerissen und gerettet hat, ohne daß man weiß, wie. Wenn
sie nicht wure, gube es von Flandern bis zu den Vogesen schon lungst keine
Menschen mehr.
Wir fahren ab als murrische oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
Ein durftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen.
Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zuruck. Sie sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Geschutzrauch stehen in Brusthuhe uber den Wiesen. Der Mond
scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme
schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die Kupfe und die Gewehre ragen
aus dem weißen Nebel, nickende Kupfe, schwankende Gewehrluufe.
Weiter vorn hurt der Nebel auf. Die Kupfe werden hier zu Gestalten; -
Rucke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr,
nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar ergunzt aus den im
Nebelteich heranschwimmenden Kupfen und Gewehren. Eine Kolonne - keine
Menschen.
Auf einer Querstraße fahren leichte Geschutze und Munitionswagen
heran. Die Pferde haben glunzende Rucken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
schun, sie werfen die Kupfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschutze und
Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft
voruber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie schun und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene,
spitze Eisenstube auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstucke
durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
Das Terrain wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch:
"Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" -
Unsere Augen sind angespannt, unsere Fuße und Stucke fuhlen vor,
ehe sie die Last des Kurpers empfangen. Mit einmal hult der Zug; - man
prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. "Zigaretten
und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gruben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Wuldchen und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
Eine Ungewisse, rutliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum
andern. Sie ist in stundiger Bewegung, durchzuckt vom Mundungsfeuer der
Batterien. Leuchtkugeln steigen daruber hoch, silberne und rote Bulle, die
zerplatzen und in weißen, grunen und roten Sternen niederregnen.
Franzusische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm
entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis
zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden.
Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue
hoch, uberall, und dazwischen wieder die grunen, roten und blauen.
"Schlamassel", sagt Kat.
Das Gewitter der Geschutze versturkt sich zu einem einzigen dumpfen
Druhnen und zerfullt dann wieder in Gruppeneinschluge. Die trockenen Salven
der Maschinengewehre knarren. uber uns ist die Luft erfullt von unsichtbarem
Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen
orgeln aber auch die großen Kohlenkusten, die ganz schweren Brocken
durch die Nacht und landen weit hinteruns. Sie haben einen ruhrenden,
heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch uber
dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen
daruber hin wie riesige, am Ende dunner werdende Lineale. Einer steht still
und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein
schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger.
Er wird unsicher, geblendet und taumelt.
Wir rammen die Eisenpfuhle in regelmußigen Abstunden fest. Immer
zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist
der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das
Abrollen nicht mehr gewuhnt und reiße mir die Hand auf.
Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber wir haben noch Zeit, bis die
Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich
versuche es auch. Doch es wird zu kuhl. Man merkt, daß wir nahe am
Meere sind, man wacht vor Kulte immer wieder auf.
Einmal schlafe ich fest. Als ich plutzlich mit einem Ruck hochfliege,
weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen
und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten
eingeschlafen zu sein. Ich weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist,
ich liege in der bleichen Wiege der Dummerung und warte auf weiche Worte,
die kommen mussen, weich und geborgen - weine ich? Ich fasse nach meinen
Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; - nur eine
Sekunde wuhrt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt
ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife naturlich.
Als er bemerkt, daß ich wach bin, sagt er nur: "Du bist schun
zusammengefahren. Es war nur ein Zunder, er ist da ins Gebusch gesaust."
Ich setze mich hoch, ich fuhle mich sonderbar allein. Es ist gut,
daß Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt: "Ganz
schunes Feuerwerk, wenn's nicht so gefuhrlich wure."
Hinter uns schlugt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf.
Nach ein paar Minuten funkt es wieder heruber, nuher als vorher. Kat klopft
seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder."
Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der
nuchste Schuß sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am
Horizont steigen grune Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren.
Man hurt sie noch aufklatschen, wenn der Lurm der Einschluge lungst wieder
verstummt ist.
Neben uns liegt ein verungstigter Rekrut, ein Flachskopf. Er hat das
Gesicht in die Hunde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische
ihn heran und will ihn auf seinen Schudel stulpen. Er sieht auf, stußt
den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht
an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie
hatte.
Ich lasse ihn gewuhren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze
ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Bludsinn, sondern aus
uberlegung, denn das ist der huchste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch
sitzt, Schusse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, außerdem
muß man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher
ziemlich sicher hinken.
Irgendwo hat es muchtig eingehauen. Man hurt Schreien zwischen den
Einschlugen.
Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist uber uns hinweggefegt und liegt
nun auf den letzten Reservegruben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen
flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und ruttele den Rekruten an
der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen."
Er sieht sich versturt um. Ich rede ihm zu: "Wirst dich schon
gewuhnen."
Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich.
Plutzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt
er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequult an. Ich verstehe sofort:
Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade
dorthingepackt - aber ich truste ihn doch: "Das ist keine Schande, es haben
schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feueruberfall die Hosen
voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß deine Unterhose weg.
Erledigt -"
Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hurt nicht auf. "Was
ist los, Albert?" frage ich.
"Druben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt."
Das Schreien dauert an. Es sind keine Menschen, sie kunnen nicht so
furchtbar schreien.
Kat sagt: "Verwundete Pferde."
Ich habe noch nie Pferde schreien gehurt und kann es kaum glauben. Es
ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder,
grauenvoller Schmerz, der da stuhnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich
auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!"
Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als
wure es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das
Schreien der Tiere. Man weiß nicht mehr, woher es kommt in dieser
jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft,
uberall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unermeßlich an -
Detering wird wutend und brullt: "Erschießt sie, erschießt sie
doch, verflucht noch mal!"
"Sie mussen doch erst die Leute holen", sagt Kat.
Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere
erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir
sehen eine dunkle Gruppe Sanituter mit Tragbahren und schwarze,
grußere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde.
Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und
rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Gedurme hungen lang
heraus. Es verwickelt sich darin und sturzt, doch es steht wieder auf.
Detering reißt das Gewehr hoch und zielt. Kat schlugt es in die
Luft. "Bist du verruckt -?"
Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde.
Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses
entsetzliche Klagen und Stuhnen und Jammern schlugt durch, es schlugt
uberall durch.
Wir kunnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß
aus. Man muchte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das
Schreien nicht mehr zu huren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur
Pferde.
Von dem dunklen Knuuel lusen sich wieder Tragbahren. Dann knallen
einzelne Schusse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es
ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere
heran, die in ihrer Angst fluchten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen
Muulern. Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schuß - ein Pferd
bricht nieder, - noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und
dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den
hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der Rucken
zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schießt es nieder. Langsam,
demutig rutscht es zu Boden.
Wir nehmen die Hunde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein
langgezogener, ersterbender Seufzer hungt noch in der Luft. Dann sind wieder
nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da - und das ist fast
sonderbar.
Detering geht und flucht: "Muchte wissen, was die fur Schuld haben." Er
kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe
feierlich, als er sagt: "Das sage ich euch, es ist die allergrußte
Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind."
Wir gehen zuruck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel
ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der
Wind ist frisch und kuhl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter
Wir tappen uns vorwurts im Gunsemarsch durch die Gruben und Trichter
und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein
schlechtes Zeichen.
"Was hast du, Kat?" fragt Kropp.
"Ich wollte, wir wuren erst zu Hause." - Zu Hause," er meint die
Baracken.
"Dauert nicht mehr lange, Kat."
Er ist nervus.
"Ich weiß nicht, ich weiß nicht -"
Wir kommen in die Laufgruben und dann in die Wiesen. Das Wuldchen
taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der Jugerfriedhof
schon mit den Hugeln und den schwarzen Kreuzen.
In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert.
Wir haben uns gebuckt - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke
empor.
In der nuchsten Minute hebt sich ein Stuck Wald unter einem zweiten
Einschlag langsam uber die Gipfel, drei, vier Buume segeln mit und brechen
dabei in Stucke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten
heran - scharfes Feuer -
"Deckung!" brullt jemand - "Deckung!" -
Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gefuhrlich; - es gibt
keine andere Deckung als den Friedhof und die Gruberhugel. Wir stolpern im
Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem Hugel.
Keinen Moment zu fruh. Das Dunkel wird wahnsinnig. Es wogt und tobt.
Schwurzere Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns los,
uber uns hinweg. Das Feuer der Explosionen uberflackert den Friedhof.
Nirgendwo ist ein Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick
auf die Wiesen. Sie sind ein aufgewuhltes Meer, die Stichflammen der
Geschosse springen wie Fontunen heraus. Es ist ausgeschlossen, daß
jemand daruber hinwegkommt.
Der Wald verschwindet, er wird zerstampft, zerfetzt, zerrissen. Wir
mussen hier auf dem Friedhof bleiben.
Vor uns birst die Erde. Es regnet Schollen. Ich spure einen Ruck. Mein
urmel ist aufgerissen durch einen Splitter. Ich balle die Faust. Keine
Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen stets erst
sputer. Ich fahre uber den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es
gegen meinen Schudel, daß mir das Bewußtsein verschwimmt. Ich
habe den blitzartigen Gedanken: Nicht ohnmuchtig werden!, versinke in
schwarzem Brei und komme sofort wieder hoch. Ein Splitter ist gegen meinen
Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische
mir den Dreck aus den Augen. Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne
es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht in denselben Trichter, deshalb
will ich hinein. Mit einem Satze schnelle ich mich lang vor, flach wie ein
Fisch uber den Boden, da pfeift es wieder, rasch krieche ich zusammen,
greife nach der Deckung, fuhle links etwas, presse mich daneben, es gibt
nach, ich stuhne, die Erde zerreißt, der Luftdruck donnert in meinen
Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es uber mich, es ist Holz,
Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern.
Ich uffne die Augen, meine Finger halten einen urmel umklammert, einen
Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine Antwort - ein Toter. Meine
Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß
wir auf dem Friedhof liegen.
Aber das Feuer ist sturker als alles andere. Es vernichtet die
Besinnung, ich krieche nur noch tiefer unter den Sarg, er soll mich
schutzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt.
Vor mir klafft der Trichter. Ich fasse ihn mit den Augen wie mit
Fuusten, ich muß mit einem Satz hinein. Da erhalte ich einen Schlag
ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder
erwacht? - Die Hand schuttelt mich, ich wende den Kopf, in sekundenkurzem
Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys, er hat den Mund weit offen und
brullt, ich hure nichts, er ruttelt mich, nuhert sich; in einem Moment des
Abschwellens erreicht mich seine Stimme: "Gas - Gaaas - Gaaas!
-Weitersagen!"
Ich reiße die Gaskapsel heran. Etwas entfernt von mir liegt
jemand. Ich denke an nichts mehr als an dies: Der dort muß es wissen:
"Gaaas - Gaaas -!"
Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt
nichts - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut -
ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die Maske vor - ich reiße meine
auch heraus, der Helm fliegt beiseite, sie streift sich uber mein Gesicht,
ich erreiche den Mann, am nuchsten liegt mir seine Kapsel, ich fasse die
Maske, schiebe sie uber seinen Kopf, er greift zu - ich lasse los - und
liege plutzlich mit einem Ruck im Trichter.
Der dumpfe Knall der Gasgranaten mischt sich in das Krachen der
Explosivgeschosse. Eine Glocke druhnt zwischen die Explosionen, Gongs,
Metallklappern kunden uberallhin - Gas - Gas - Gaas -
Hinter mir plumpst es, einmal, zweimal. Ich wische die Augenscheiben
meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es sind Kat, Kropp und noch jemand. Wir
liegen zu viert in schwerer, lauernder Anspannung und atmen so schwach wie
muglich.
Die ersten Minuten mit der Maske entscheiden uber Leben und Tod: ist
sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die
m tagelangem Wurgen die verbrannten Lungen stuckweise auskotzen.
Vorsichtig, den Mund auf die Patrone gedruckt, atme ich. Jetzt
schleicht der Schwaden uber den Boden und sinkt in alle Vertiefungen. Wie
ein weiches, breites Quallentier legt er sich in unseren Trichter, rukelt
sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben
zu liegen, als hier, wo das Gas sich am meisten sammelt. Doch wir kommen
nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als ob nicht mehr die
Geschosse brullen; es ist, als ob die Erde selbst tobt.
Mit einem Krach saust etwas Schwarzes zu uns herab. Hart neben uns
schlugt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg.
Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hinuber. Der Sarg ist dem vierten
in unserem Loch auf den ausgestreckten Arm geschlagen. Der Mann versucht,
mit der andern Hand die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig
zu, biegt ihm die Hand hart auf den Rucken und hult sie fest.
Kat und ich gehen daran, den verwundeten Arm frei zu machen. Der
Sargdeckel ist lose und geborsten, wir kunnen ihn leicht abreißen, den
Toten werfen wir hinaus, er sackt nach unten, dann versuchen wir, den
unteren Teil zu lockern.
Zum Gluck wird der Mann bewußtlos, und Albert kann uns helfen.
Wir brauchen nun nicht mehr so behutsam zu sein und arbeiten, was wir
kunnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten
Spaten.
Es ist heller geworden. Kat nimmt ein Stuck des Deckels, legt es unter
den zerschmetterten Arm, und wir binden alle unsere Verbandspuckchen darum.
Mehr kunnen wir im Moment nicht tun.
Mein Kopf brummt und druhnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen.
Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben
heißen, verbrauchten Atem, die Schlufenadern schwellen, man glaubt zu
ersticken -
Graues Licht sickert zu uns herein. Wind fegt uber den Friedhof. Ich
schiebe mich uber den Rand des Trichters. In der schmutzigen Dummerung liegt
vor mir ein ausgerissenes Bein, der Stiefel ist vollkommen heil, ich sehe
das alles ganz deutlich im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter
weiter jemand, ich putze die Fenster, sie beschlagen mir vor Aufregung
sofort wieder, ich starre hinuber - der Mann dort trugt keine Gasmaske mehr.
Noch Sekunden warte ich - er bricht nicht zusammen, er blickt suchend
umher und macht einige Schritte - der Wind hat das Gas zerstreut, die Luft
ist frei - da zerre ich ruchelnd ebenfalls die Maske weg und falle hin, wie
kaltes Wasser strumt die Luft in mich hinein, die Augen wollen brechen, die
Welle uberschwemmt mich und luscht mich dunkel aus.
Die Einschluge haben aufgehurt. Ich drehe mich zum Trichter und winke
den andern. Sie klettern herauf und reißen sich die Masken herunter.
Wir umfassen den Verwundeten, einer nimmt seinen geschienten Arm. So
stolpern wir hastig davon.
Der Friedhof ist ein Trummerfeld. Surge und Leichen liegen verstreut.
Sie sind noch einmal getutet worden; aber jeder von ihnen, der zerfetzt
wurde, hat einen von uns gerettet.
Der Zaun ist verwustet, die Schienen der Feldbahn druben sind
aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand. Wir
halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter.
Der am Boden ist ein Rekrut. Seine Hufte ist blutverschmiert; er ist so
erschupft, daß ich nach meiner Feldflasche greife, in der ich Rum mit
Tee habe. Kat hult meine Hand zuruck und beugt sich uber ihn: "Wo hat's dich
erwischt, Kamerad?"
Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten.
Wir schneiden vorsichtig die Hose auf. Er stuhnt. "Ruhig, ruhig, es
wird ja besser -"
Wenn er einen Bauchschuß hat, darf er nichts trinken. Er hat
nichts erbrochen, das ist gunstig. Wir legen die Hufte bloß. Sie ist
ein einziger Fleischbrei mit Knochensplittern. Das Gelenk ist getroffen.
Dieser Junge wird nie mehr gehen kunnen.
Ich wische ihm mit dem befeuchteten Finger uber die Schlufe und gebe
ihm einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir,
daß auch der rechte Arm