blutet.
Kat zerfasert zwei Verbandspuckchen so breit wie muglich, damit sie die
Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose daruberzuwickeln. Wir haben
nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf,
um ein Stuck seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er trugt keine.
Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.
Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch Puckchen geholt,
die wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns
unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre."
Da uffnet er den Mund und flustert: "Hierbleiben -"
Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen fur dich eine Bahre."
Man kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind
hinter uns her: "Nicht weggehen -"
Kat sieht sich um und flustert: "Sollte man da nicht einfach einen
Revolver nehmen, damit es aufhurt?"
Der Junge wird den Transport kaum uberstehen, und huchstens kann es
noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen
diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch betuubt und fuhlt nichts. In
einer Stunde wird er ein kreischendes Bundel unertruglicher Schmerzen
werden. Die Tage, die er noch leben kann, bedeuten fur ihn eine einzige
rasende Qual. Und wem nutzt es, ob er sie noch hat oder nicht -
Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen."
" Gib her", sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe
es. Wir blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt
sich ein Huuflein, aus den Trichtern und Grubern kommen Kupfe. Wir holen
eine Bahre.
Kat schuttelt den Kopf. " So junge Kerle" - Er wiederholt es: "So
junge, unschuldige Kerle -"
Unsere Verluste sind geringer, als anzunehmen war: funf Tote und acht
Verwundete. Es war nur ein kurzer Feueruberfall. Zwei von unseren Toten
liegen in einem der aufgerissenen Gruber; wir brauchen sie bloß
zuzubuddeln.
Wir gehen zuruck. Schweigend trotten wir im Gunsemarsch hintereinander
her. Die Verwundeten werden zur Sanitutsstation gebracht. Der Morgen ist
trube, die Krankenwurter laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten
wimmern. Es beginnt zu regnen.
Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf.
Jetzt ist mehr Platz als vorher da.
Der Regen wird sturker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf
unsere Kupfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen
die Regenstruhnen ab. Die Wagen platschen durch die Lucher, und wir wiegen
uns im Halbschlaf hin und her.
Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte Stucke bei sich. Sie
achten auf die Telefondruhte, die quer uber die Straße hungen, so
tief, daß sie unsere Kupfe wegreißen kunnen. Die beiden Leute
fangen sie mit ihren gegabelten Stucken auf und heben sie uber uns hinweg.
Wir huren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und im Halbschlaf gehen wir in die
Kniebeuge und richten uns wieder auf.
Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der
Regen. Er rinnt auf unsere Kupfe und auf die Kupfe der Toten vorn, auf den
Kurper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß fur seine
Hufte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.
Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt,
die Hunde wieder bereit, um die Kurper uber die Wunde des Wagens in den
Straßengraben zu werfen.
Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir
gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.
5
Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu tuten, wenn man Hunderte hat.
Die Tiere sind etwas hart, und das ewige Knipsen mit den Fingernugeln wird
langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht
uber einem brennenden Kerzenstumpf befestigt. In diese kleine Pfanne werden
die Luuse einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt.
Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkurper nackt in
der warmen Luft, die Hunde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art
von Luusen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er,
sie aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu haben, sie seien von einem
Oberstabsarzt persunlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel
ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brullte eine halbe Stunde
lang vor Lachen uber seinen Witz.
Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschuftigt uns zu sehr.
Das Gerucht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist
er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehurt. Er soll zu
Hause ein paar junge Rekruten zu kruftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne
daß er es wußte, war der Sohn des Regierungsprusidenten dabei.
Das brach ihm das Genick.
Hier wird er sich wundern. Tjaden erurtert seit Stunden alle
Muglichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine
große Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Prugelei war der
Huhepunkt seines Daseins; er hat mir erzuhlt, daß er noch manchmal
davon truumt.
Kropp und Muller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein
Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierkuche.
Muller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,.....
"Albert, was wurdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden wure?"
"Frieden gibt's nicht!" uußert Albert kurz.
"Na, aber wenn -", beharrt Muller, "was wurdest du machen?"
"Abhauen!" knurrt Kropp.
"Das ist klar. Und dann?"
"Mich besaufen", sagt Albert.
"Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -"
"Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen."
Kat interessiert sich fur die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut
an den Linsen, erhult ihn, uberlegt dann lange und meint: "Besaufen kunnte
man sich ja, sonst aber auf die nuchste Eisenbahn - und ab nach Muttern.
Mensch, Frieden, Albert -"
Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt
sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter
Lausekrieg -"
"Du kannst gut reden", sage ich. "Du hast deinen Jungen und deine
Frau."
"Stimmt", nickt er, "ich muß dafur sorgen, daß sie was zu
essen haben."
Wir lachen. "Daran wird's nicht fehlen, Kat, sonst requierierst du
eben."
Muller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie
Westhus aus seinen Verprugeltruumen. "Haie, was wurdest du denn machen, wenn
jetzt Frieden wure?"
"Er mußte dir den Arsch vollhauen, weil du hier von so etwas
uberhaupt anfungst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?"
"Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?" antwortet Muller lakonisch und
wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal fur Haie. Er
wiegt seinen sommersprossigen Schudel: "Du meinst, wenn kein Krieg mehr
ist?"
"Richtig. Du merkst auch alles."
"Dann kumen doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul.
"Das auch."
"Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und sein Gesicht taut auf, " dann
wurde ich mir so einen strammen Feger schnappen, so einen richtigen
Kuchendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten, und
sofort nichts wie 'rin in die Betten! Stell dir mal vor, richtige
Federbetten mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang wurde ich keine
Hose wieder anziehen."
Alles schweigt. Das Bild ist zu wunderbar. Schauer laufen uns uber die
Haut. Endlich ermannt sich Muller und fragt: "Und danach?"
Pause. Dann erklurt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier wure,
wurde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren."
"Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich.
Er fragt gemutlich zuruck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's
mal."
Damit zieht er seinen Luffel aus dem Stiefelschaft und langt damit in
Alberts Eßnapf.
"Schlimmer als Schanzen in der Champagne kann's auch nicht sein",
erwiderte ich.
Haie kaut und grinst: "Dauert aber lunger. Kannst dich auch nicht
drucken."
"Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie."
"Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Grubelei.
Man kann auf seinen Zugen lesen, was er denkt. Da ist eine arme
Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fruhen Morgen bis
zum Abend, da ist spurlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug --
"Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er mit, "jeden
Tag ist dein Futter da, sonst machst du Krach, hast dein Bett, alle acht
Tage reine Wusche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast
dein schunes Zeug; - abends bist du ein freier Mann und gehst in die
Kneipe."
Haie ist außerordentlich stolz auf seine Idee. Er verliebt sich
darin. "Und wenn du deine zwulf Jahre um hast, kriegst du deinen
Versorgungsschein und wirst Landjuger. Den ganzen Tag kannst du
Spazierengehen."
Er schwitzt jetzt vor Zukunft. " Stell dir vor, wie du dann traktiert
wirst. Hier einen Kognak, da einen halben Liter. Mit einem Landjuger will
doch jeder gutstehen."
"Du wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie blickt ihn
betroffen an und schweigt. In seinen Gedanken sind jetzt wohl die klaren
Abende im Herbst, die Sonntage in der Heide, die Dorfglocken, die
Nachmittage und Nuchte mit den Mugden, die Buchweizenpfannkuchen mit den
großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug -
Mit soviel Phantasie kann er so rasch nicht fertig werden; deshalb
knurrt er nur erbost: "Was ihr immer fur Bludsinn zusammenfragt."
Er streift sein Hemd uber den Kopf und knupft den Waffenrock zu.
"Was wurdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp.
Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht
durchgeht."
Er muchte ihn wahrscheinlich am liebsten in einen Kufig sperren und
jeden Morgen mit einem Knuppel uber ihn herfallen. Zu Kropp schwurmt er:
"An deiner Stelle wurde ich sehen, daß ich Leutnant wurde. Dann
kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht."
"Und du, Detering?" forscht Muller weiter. Er ist der geborene
Schulmeister mit seiner Fragerei.
Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt er Antwort. Er sieht
in die Luft und sagt nur einen Satz: "Ich wurde gerade noch zur Ernte
zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg.
Er macht sich Sorgen. Seine Frau muß den Hof bewirtschaften.
Dabei haben sie ihm noch zwei Pferde weggeholt. Jeden Tag liest er die
Zeitungen, die kommen, ob es in seiner oldenburgischen Ecke auch nicht
regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort.
In diesem Augenblick erscheint Himmelstoß. Er kommt direkt auf
unsere Gruppe zu. Tjadens Gesicht wird fleckig. Er legt sich lungelang ms
Gras und schließt die Augen vor Aufregung.
Himmelstoß ist etwas unschlussig, sein Gang wird langsamer. Dann
marschiert er dennoch zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben.
Kropp sieht ihm interessiert entgegen.
Er steht jetzt vor uns und wartet. Da keiner etwas sagt, lußt er
ein "Na?" vom Stapel.
Ein paar Sekunden verstreichen; Himmelstoß weiß sichtlich
nicht, wie er sich benehmen soll. Am liebsten muchte er uns jetzt im Galopp
schleifen. Immerhin scheint er schon gelernt zu haben, daß die Front
kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals und wendet sich nicht mehr an
alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist
ihm am nuchsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?"
Aber Albert ist sein Freund nicht. Er antwortet knapp: "Bißchen
lunger als Sie, denke ich."
Der rutliche Schnurrbart zittert. "Ihr kennt mich wohl nicht mehr,
was?"
Tjaden schlugt jetzt die Augen auf. "Doch."
Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?"
Tjaden hebt den Kopf.
"Und weißt du, was du bist?"
Himmelstoß ist verblufft. "Seit wann duzen wir uns denn? Wir
haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen."
Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese offene
Feindseligkeit hat er nicht erwartet. Aber er hutet sich vorluufig; sicher
hat ihm jemand den Unsinn von Schussen in den Rucken vorgeschwatzt.
Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig.
"Nee, das warst du alleme."
Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor.
Er muß seinen Spruch loswerden. "Was du bist, willst du wissen? Du
bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt' ich dir schon lange mal sagen."
Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als
er den Sauhund hinausschmettert.
Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du Mistkuter, du
dreckiger Torfdeubel? Stehen Sie auf, Knochen zusammen, wenn ein
Vorgesetzter mit Ihnen spricht!"
Tjaden winkt großartig. "Sie kunnen ruhren, Himmelstoß.
Wegtreten."
Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der Kaiser kunnte
nicht beleidigter sein. Er heult: "Tjaden, ich befehle Ihnen dienstlich:
Stehen Sie auf!"
"Sonst noch was?" fragt Tjaden.
"Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?"
Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit
dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig luftet er seine Kehrseite.
Himmelstoß sturmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!"
Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden.
Haie und Tjaden sind ein gewaltiges Torfstechergebrull. Haie lacht so,
daß er sich die Kinnlade ausrenkt und mit offenem Maul plutzlich
hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst wieder
einsetzen.
Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's buse."
"Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden.
"Bestimmt", sage ich.
"Das mindeste, was du kriegst, sind funf Tage Dicken", erklurt Kat.
Das erschuttert Tjaden nicht. "Funf Tage Kahn sind funf Tage Ruhe."
"Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der grundlichere Muller.
"Dann ist der Krieg fur mich so lange aus."
Tjaden ist ein Sonntagskind. Fur ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und
Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.
Muller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor.
"Albert, wenn du nun tatsuchlich nach Hause kumst, was wurdest du machen?"
Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann wuren wir
dann eigentlich in der Klasse?"
Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der
Irrenanstalt. Es kumen huchstens also zwulf Mann zusammen.
"Drei sind davon Leutnants", sagt Muller. "Glaubst du, daß sie
sich von Kantorek anschnauzen ließen?"
"Wir glauben es nicht; wir wurden uns auch nicht mehr anschnauzen
lassen."
"Was hultst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?"
erinnert sich Kropp mit einem Male und brullt vor Lachen.
"Was waren die Ziele des Guttinger Hainbundes?" forscht auch Muller
plutzlich sehr streng.
"Wieviel Kinder hatte Karl der Kuhne?" erwidere ich ruhig.
"Aus Ihnen wird im Leben nichts, Buumer", quukt Muller.
"Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen.
"Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus
-", winke ich ab.
"Welche Aufgaben hielt Lykurgus fur die wichtigsten im Staate?" wispert
Muller und scheint an einem Kneifer zu rucken.
"Heißt es: Wir Deutsche furchten Gott, sonst niemand in der Welt,
oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken.
"Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert Muller zuruck.
"Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht
wissen?" frage ich Albert empurt.
"Was versteht man unter Kohusion?" trumpft der nun auf.
Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch
nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei
Regen und Sturm eine Zigarette anzundet, wie man ein Feuer aus nassem Holz
machen kann - oder daß man ein Bajonett am besten in den Bauch
stußt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
Muller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die
Schulbank mussen."
Ich halte es fur ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen."
"Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was
dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt
du auch buffeln."
"Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da
eintrichtern."
Kropp trifft unsere Stimmung:
"Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen
ist."
"Aber du mußt doch einen Beruf haben", wendet Muller ein, als
wure er Kantorek in Person.
Albert reinigt sich die Nugel mit dem Messer. Wir sind erstaunt uber
dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer
weg und erklurt: "Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in
ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß
auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier" - er
macht eine Bewegung zur Front - "an einen gewuhnen."
"Man mußte Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde
wohnen kunnen -", sage ich, schume mich aber sofort uber diesen
Grußenwahn.
"Was soll das bloß werden, wenn wir zuruckkommen?" meint Muller,
und selbst er ist betroffen.
Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann
wird sich's ja zeigen."
Wir sind eigentlich alle ratlos. "Was kunnte man denn machen?" frage
ich.
"Ich habe zu nichts Lust", antwortet Kropp mude. "Eines Tages bist du
doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, daß wir uberhaupt
zuruckkommen."
"Wenn ich daruber nachdenke, Albert", sage ich nach einer Weile und
wulze mich auf den Rucken, "so muchte ich, wenn ich das Wort Friede hure,
und es wure wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir
zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im
Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich
an Muglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt
und so weiter - das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist
widerlich. Ich finde nichts - ich finde nichts, Albert."
Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
Kropp denkt ebenfalls daruber nach. Es wird uberhaupt schwer werden mit
uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen
deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten - das kann man doch
nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher -"
Wir stimmen darin uberein, daß es jedem uhnlich geht; nicht nur
uns hier; uberall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem
andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
Albert spricht es aus. "Der Krieg hat uns fur alles verdorben."
Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht
mehr sturmen. Wir sind Fluchtende. Wir fluchten vor uns. Vor unserem Leben.
Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir
mußten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf
in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tutigen, vom Streben, vom
Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.
Die Schreibstube wird lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert
zu haben. An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel. Komisch,
daß fast alle etatsmußigen Feldwebel dick sind.
Ihm folgt der rachedurstende Himmelstoß. Seine Stiefel glunzen in
der Sonne.
Wir erheben uns. Der Spieß schnauft:
"Wo ist Tjaden?"
Naturlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns buse an.
"Bestimmt wißt ihr es. Wollt es bloß nicht sagen. Raus mit
der Sprache."
Der Spieß sieht sich suchend um; Tjaden ist nirgendwo zu
erblicken. Er versucht es andersherum. "In zehn Minuten soll Tjaden sich
auf der Schreibstube melden." Damit zieht er davon, Himmelstoß in
seinem Kielwasser.
"Ich habe das Gefuhl, daß mir beim nuchsten Schanzen eine
Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird", vermutet Kropp.
"Wir werden an ihm noch viel Spaß haben", lacht Muller. Das ist
nun unser Ehrgeiz: einem Brieftruger die Meinung stoßen. -
Ich gehe in die Baracke und sage Tjaden Bescheid, damit er
verschwindet. Dann wechseln wir unsern Platz und lagern uns wieder, um
Karten zu spielen. Denn das kunnen wir: Kartenspielen, fluchen und Krieg
fuhren. Nicht viel fur zwanzig Jahre - zuviel fur zwanzig Jahre.
Nach einer halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei uns. Niemand
beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.
"Ihr solltet ihn doch suchen", beharrt er.
"Wieso ihr?" erkundigt sich Kropp.
"Na, ihr hier -"
"Ich muchte Sie bitten, uns nicht zu duzen", sagt Kropp wie ein Oberst.
Himmelstoß fullt aus den Wolken. "Wer duzt euch denn?"
"Sie!"
"Ich?"
"Ja."
Es arbeitet in ihm. Er schielt Kropp mißtrauisch an, weil er
keine Ahnung hat, was der meint. Immerhin traut er sich in diesem Punkte
nicht ganz und kommt uns entgegen. "Habt ihr ihn nicht gefunden?"
Kropp legt sich ins Gras und sagt: "Waren Sie schon mal hier
draußen?"
"Das geht Sie gar nichts an", bestimmt Himmelstoß. "Ich verlange
Antwort."
"Gemacht", erwidert Kropp und erhebt sich. "Sehen Sie mal dorthin, wo
die kleinen Wulkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren wir
gestern. Funf Tote, acht Verwundete .Dabei war es eigentlich ein Spaß.
Wenn Sie nuchstens mit 'rausgehen, werden die Mannschaften, bevor sie
sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig
fragen: Bitte wegtreten zu durfen! Bitte abkratzen zu durfen! Auf Leute wie
Sie haben wir hier gerade gewartet."
Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet.
"Drei Tage Arrest", vermutet Kat.
"Das nuchstemal lege ich los", sage ich zu Albert.
Aber es ist Schluß. Dafur findet abends beim Appell eine
Vernehmung statt. In der Schreibstube sitzt unser Leutnant Bertinck und
lußt einen nach dem andern rufen.
Ich muß ebenfalls als Zeuge erscheinen und klure auf, weshalb
Tjaden rebelliert hat. Die Bettnussergeschichte macht Eindruck.
Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen.
"Stimmt das?" fragt Bertinck Himmelstoß.
Der windet sich und muß es schließlich zugeben, als Kropp
die gleichen Angaben macht.
"Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?" fragt Bertinck.
Wir schweigen; er muß doch selbst wissen, was eine Beschwerde
uber solche Kleinigkeiten beim Kommiß fur Zweck hat. Gibt es beim
Kommiß uberhaupt Beschwerden ? Er sieht es wohl ein und kanzelt
Himmelstoß zunuchst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht,
daß die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in versturktem
Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage
Mittelarrest erhult. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag
Arrest.
"Geht nicht anders", sagt erbedauernd zu ihm. Er ist ein vernunftiger
Kerl.
Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein fruherer
Huhnerstall; da kunnen beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon
darauf, hinzukommen. Dicker Arrest wure Keller gewesen. Fruher wurden wir
auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden
wir schon wie Menschen behandelt.
Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen,
brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begrußt uns kruhend.
Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt naturlich, das
dumme Luder.
Beim Aufbrechen fragt Kat mich: "Was meinst du zu Gunsebraten?"
"Nicht schlecht", finde ich.
Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei
Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall gehurt einem
Regimentsstab. Ich beschließe, die Gans zu holen, und lasse mir
Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock
verschlossen.
Kat hult mir die Hunde hin, ich stemme den Fuß hinein und
klettere uber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.
Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu
gewuhnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste
den Pflock ab, ziehe ihn weg und uffne die Tur.
Ich unterscheide zwei weiße Flecke. Zwei Gunse, das ist faul:
faßt man die eine, so schreit die andere. Also beide - wenn ich
schnell bin, klappt es.
Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment
sputer die zweite. Wie verruckt haue ich die Kupfe gegen die Wand, um sie zu
betuuben. Aber ich muß wohl nicht genugend Wucht haben. Die Biester
ruuspern sich und schlagen mit Fußen und Flugeln um sich. Ich kumpfe
erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans fur Kraft! Sie zerren,
daß ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen
scheußlich, meine Arme haben Flugel gekriegt, beinahe habe ich Angst,
daß ich mich zum Himmel erhebe, als hutte ich ein paar Fesselballons
in den Pfoten.
Da geht auch schon der Lurm los; einer der Hulse hat Luft geschnappt
und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen
heran, ich bekomme einen Stoß, liege am Boden und hure wutendes
Knurren. Ein Hund.
Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort
liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.
Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zuruck und
setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie.
Ich uberlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich meinen
kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort muß ich hier auf jeden Fall,
ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran.
Ich habe das Gefuhl, daß es Stunden dauert. Immer eine leise
Bewegung und ein gefuhrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als
ich den Revolver in der Hand habe, fungt sie an zu zittern. Ich drucke sie
auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen,
ehe er zufassen kann, und turmen.
Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich die Luft an,
zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich
gewinne die Tur des Stalles und purzele uber eine der gefluchteten Gunse.
Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmeiße sie mit einem
Schwung uber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinuber,
da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse
ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er
mich sieht, laufen wir.
Endlich kunnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem
Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich
hole Tupfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen
verlassenen Schuppen, den wir fur solche Zwecke kennen. Die einzige
Fensterluke wird dicht verhungt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf
Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zunden ein Feuer an.
Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfultig
beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der
Aufschrift: "Ruhe sanft im Trommelfeuer!"
Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein
flackert uber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein
dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal huren wir
gedumpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein.
Flugzeuge surren; das Tacktack von MaschirMßgewehren wird laut.
Aber von uns dringt kein Licht hinaus, dasrzu sehen wure.
So sitzen wir uns gegenuber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten
Rucken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel,
aber wir sind voll zarterer Rucksicht miteinander, als ich mir denke,
daß Liebende es sein kunnen. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige
Funken Leben, draußen ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir
sitzen an ihrem Rande, gefuhrdet und geborgen, uber unsere Hunde trieft
Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum:
uberflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der
Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir - was weiß ich von
ihm, fruher wure keiner unserer Gedanken uhnlich gewesen - jetzt sitzen wir
vor einer Gans und fuhlen unser Dasein und sind uns so nahe, daß wir
nicht daruber sprechen mugen.
Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist.
Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begießt sie, wuhrend der andere
unterdessen schluft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmuhlich.
Die Geruusche von draußen werden zu einem Band, zu einem Traum,
der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den
Luffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige,
gebeugte Gestalt - und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm Wulder und
Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem
Soldaten, der mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem
Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der
rasch vergißt und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht
unter dem großen Nachthimmel.
Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln
wurde, kunnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den
großen Stiefeln und dem zugeschutteten Herzen, der marschiert, weil er
Stiefel trugt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am
Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, daß er
weinen muchte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren
hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch fur ihn voruber?
Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?
Ist mein Gesicht naß, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein
riesiger gebuckter Schatten fullt uber mich wie eine Heimat. Er spricht
leise, er luchelt und geht zum Feuer zuruck.
Dann sagt er: "Es ist fertig."
"Ja, Kat."
Ich schuttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten.
Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus
und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das
wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß.
"Schmeckt es, Kat?"
"Gut! Dir auch?"
"Gut, Kat."
Wir sind Bruder und schieben uns gegenseitig die besten Stucke zu.
Hinterher rauche ich eine Zigarette, Kat eine Zigarre. Es ist noch viel
ubriggeblieben.
"Wie wure es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein Stuck bruchten?"
"Gemacht", sagt er. Wir schneiden eine Portion ab und wickeln sie
sorgfultig in Zeitungspapier. Den Rest wollen wir eigentlich in unsere
Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: "Tjaden."
Ich sehe es ein, wir mussen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den
Weg zum Huhnerstall, um die beiden zu wecken. Vorher packen wir noch die
Federn weg.
Kropp und Tjaden halten uns fur eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre
Gebisse. Tjaden hat einen Flugel mit beiden Hunden wie eine Mundharmonika im
Munde und kaut. Er suuft das Fett aus dem Topf und schmatzt: "Das vergesse
ich euch nie!"
Wir gehen zu unserer Baracke. Da ist der hohe Himmel wieder mit den
Sternen und der beginnenden Dummerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat
mit großen Stiefeln und vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fruhe
- aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.
Die Umrisse der Baracke kommen in der Dummerung auf uns zu wie ein
schwarzer, guter Schlaf.
6
Es wird von einer Offensive gemunkelt. Wir gehen zwei Tage fruher als
sonst an die Front. Auf dem Wege passieren wir eine zerschossene Schule. An
ihrer Lungsseite aufgestapelt steht eine doppelte, hohe Mauer von ganz
neuen, hellen, unpolierten Surgen. Sie riechen noch nach Harz und Kiefern
und Wald. Es sind mindestens hundert.
"Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive", sagt Muller erstaunt.
"Die sind fur uns", knurrt Detering.
"Quatsch nicht!" fuhrt Kat ihn an.
"Sei froh, wenn du noch einen Sarg kriegst", grinst Tjaden, "dir
verpassen sie doch nur eine Zeltbahn fur deine Schießbudenfigur,
paß auf!"
Auch die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst
tun. - Die Surge sind ja tatsuchlich fur uns. In solchen Dingen klappt die
Organisation.
uberall vorn brodelt es. In der ersten Nacht versuchen wir uns zu
orientieren. Da es ziemlich still ist, kunnen wir huren, wie die Transporte
hinter der gegnerischen Front rollen, unausgesetzt, bis in die Dummerung
hinein. Kat sagt, daß sie nicht abrollen, sondern Truppen bringen,
Truppen, Munition, Geschutze.
Die englische Artillerie ist versturkt, das huren wir sofort. Es stehen
rechts von der Ferme mindestens vier Batterien 20,5 mehr, und hinter dem
Pappelstumpf sind Minenwerfer eingebaut. Außerdem ist eine Anzahl
dieser kleinen franzusischen Biester mit Aufschlagzundern hinzugekommen.
Wir sind in gedruckter Stimmung. Zwei Stunden nachdem wir in den
Unterstunden stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben.
Es ist das drittemal in vier Wochen. Wenn es noch Zielfehler wuren, wurde
keiner was sagen, aber es liegt daran, daß die Rohre zu ausgeleiert
sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so
unsicher werden die Schusse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei
Verwundete.
Die Front ist ein Kufig, in dem man nervus warten muß auf das,
was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben
in der Spannung des Ungewissen. uber uns schwebt der Zufall. Wenn ein
Geschoß kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schlugt,
kann ich weder genau wissen noch beeinflussen.
Dieser Zufall ist es, der uns gleichgultig macht. Ich saß vor
einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand
ich auf und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich
zuruckkam, war von dem ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem
schweren Treffer zerstampft. Ich ging zum zweiten zuruck und kam gerade
rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen verschuttet
worden.
Ebenso zufullig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im
bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde
zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt uberstehen. Jeder Soldat bleibt nur
durch tausend Zufulle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem
Zufall.
Wir mussen auf unser Brot achtgeben. Die Ratten haben sich sehr
vermehrt in der letzten Zeit, seit die Gruben nicht mehr recht in Ordnung
sind. Detering behauptet, es wure das sicherste Vorzeichen fur dicke Luft.
Die Ratten hier sind besonders widerwurtig, weil sie so groß
sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. Sie haben
scheußliche, busartige, nackte Gesichter, und es kann einem ubel
werden, wenn man ihre langen, kahlen Schwunze sieht.
Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot
angefressen. Kropp hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt,
doch er kann nicht schlafen, weil sie ihm uber das Gesicht laufen, um
heranzugelangen. Detering wollte schlau sein; er hatte an der Decke einen
dunnen Draht befestigt und sein Brot darangehungt. Als er nachts seine
Taschenlampe anknipst, sieht er den Draht hin und her schwanken. Auf dem
Brot reitet eine fette Ratte.
Schließlich machen wir ein Ende. Die Stucke Brot, die von den
Tieren benagt sind, schneiden wir sorgfultig aus; wegwerfen kunnen wir das
Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
Die abgeschnittenen Scheiben legen wir in der Mitte auf dem Boden
zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt sich schlagbereit hin.
Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
Nach wenigen Minuten huren wir das erste Schlurfen und Zerren. Es
versturkt sich, nun sind es viele kleine Fuße. Da blitzen die
Taschenlampen auf, und alles schlugt auf den schwarzen Haufen ein, der
auseinanderzischt. Der Erfolg ist gut. Wir schaufeln die Rattenteile uber
den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer.
Noch einige Male gelingt uns der Schlag. Dann haben die Tiere etwas
gemerkt oder das Blut gerochen. Sie kommen nicht mehr. Trotzdem ist der
Brotrest auf dem Boden am nuchsten Tage von ihnen weggeholt.
Im benachbarten Abschnitt haben sie zwei große Katzen und einen
Hund uberfallen, totgebissen und angefressen.
Am nuchsten Tage gibt es Edamer Kuse. Jeder erhult fast einen
Viertelkuse. Das ist teilweise gut, denn Edamer schmeckt - und es ist
teilweise faul, denn fur uns waren die dicken roten Bulle bislang immer ein
Anzeichen fur schweren Schlamassel. Unsere Ahnung steigert sich, als noch
Schnaps ausgeteilt wird. Vorluufig trinken wir ihn; aber uns ist nicht wohl
zumute dabei.
Tagsuber machen wir Wettschießen auf Ratten und lungern umher.
Die Patronen und Handgranatenvorrute werden reichlicher. Die Bajonette
revidieren wir selbst. Es gibt numlich welche, die gleichzeitig auf der
stumpfen Seite als Suge eingerichtet sind. Wenn die druben jemand damit
erwischen, wird er rettungslos abgemurkst. Im Nachbarabschnitt sind Leute
von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen Sugeseitengewehren die Nasen
abgeschnitten und die Augen ausgestochen waren. Dann hatte man ihnen den
Mund und Nase mit Sugespunen gefullt und sie so erstickt.
Einige Rekruten haben noch Seitengewehre uhnlicher Art; wir schaffen
sie weg und besorgen ihnen andere.
Das Seitengewehr hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum Sturmen ist
es jetzt manchmal Mode, nur mit Handgranaten und Spaten vorzugehen. Der
geschurfte Spaten ist eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn
nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das
hat grußere Wucht; besonders wenn man schrug zwischen Schulter und
Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt
beim Stich oft stecken, man muß dann erst dem andern kruftig gegen den
Bauch treten, um es loszukriegen, und in der Zwischenzeit hat man selbst
leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab.
Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den
Masken fertig, bereit, sie abzureißen, sowie der erste Schatten
auftaucht.
Der Morgen graut, ohne daß etwas erfolgt. Nur immer dieses
nervenzerreibende Rollen druben, Zuge, Zuge, Lastwagen, Lastwagen, was
konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt stundig hinuber, aber es
hurt nicht auf, es hurt nicht auf. -
Wir haben mude Gesichter und sehen aneinander vorbei. "Es wird wie an
der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage und Nuchte Trommelfeuer", sagt
Kat duster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist
schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung besitzt. Nur
Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir
wurden genauso in Ruhe zuruckkehren, es wurde gar nichts passieren.
Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht voruber. Ich sitze
nachts im Loch auf Horchposten. uber mir steigen die Raketen und
Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz
klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt;
der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf hungt in meinen Augenlidern, ich
bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis
ich abgelust werde; - nur immer das Rollen druben. Wir werden allmuhlich
ruhig und spielen stundig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gluck.
Der Himmel hungt tagsuber voll Fesselballons. Es heißt, daß
von druben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und
Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das,
was von den neuen Flammenwerfern erzuhlt wird.
Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde druhnt. Schweres Feuer liegt
uber uns. Wir drucken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber kunnen wir
unterscheiden.
Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke
von neuem, daß sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein
Brullen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und
schutteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die Kupfe.
Jeder fuhlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrustung
wegreißen, wie sie die Buschung durchwuhlen und die obersten
Betonklutze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem
Prankenhieb eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuß im
Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grun und kotzen. Sie sind
noch zu unerfahren.
Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das
Blitzen der Einschluge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich
explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an
Erschutterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
Die Ablusungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz
beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und ißt,
der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal uber die
Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas
anderes zu holen als einen Nervenschock.
Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir mussen
aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist,
daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
Das Feuer schwucht nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man
sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontunen. Ein sehr breiter Gurtel wird
bestrichen.
Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschluge dauern an. Wir werden
langsam taub. Es spricht kaum noch jemand. Man kann sich auch nicht
verstehen.
Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen
halben Meter hoch, er ist durchbrochen von Luchern, Trichtern und Erdbergen.
Direkt vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir
sind zugeschuttet und mussen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der
Eingang wieder frei, und wir sind etwas gefaßter, weil wir Arbeit
hatten.
Unser Kompaniefuhrer klettert herein und berichtet, daß zwei
Unterstunde weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er
sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
Das klingt trustlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun
ruckt etwas wieder von draußen nuher; - wenn Essen geholt werden soll,
kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir sturen sie nicht,
wir wissen, daß Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb
herangeschafft werden muß.
Aber es mißlingt. Eine zweite Staffel geht los. Auch sie kehrt
um. Schließlich ist Kat dabei, und selbst er erscheint
unverrichtetersache wieder. Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist
schmal genug fur dieses Feuer.
Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen dreimal
so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten
Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die
Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
Die Nacht ist unertruglich. Wir kunnen nicht schlafen, wir stieren vor
uns hin und duseln. Tjaden bedauert, daß wir unsere angefressenen
Brotstucke fur die Ratten vergeudet haben. Wir hutten sie ruhig aufheben
sollen. Jeder wurde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht
so sehr.
Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung. Durch den
Eingang sturzt ein Schwurm fluchtender Ratten und jagt die Wunde hinauf. Die
Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und
schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler
Stunden, der sich entludt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen,
die Tiere quietschen, es fullt schwer, daß wir aufhuren, fast hutte
einer den anderen angefallen.
Der Ausbruch hat uns erschupft. Wir liegen und warten wieder. Es ist
ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer
der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei
Leuten ist es doch gegluckt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu
holen. Sie haben erzuhlt, daß das Feuer in unverminderter Sturke bis
zu den Artilleriestunden luge. Es sei ein Rutsel, wo die druben so viele
Geschutze hernuhmen.
Wir mussen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon
rechnete. Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange
beobachtet, wie er ruhelos die Zuhne bewegte und die Fuuste ballte und
schloß. Diese gehetzten, herausspnngenden Augen kennen wir zur Genuge.
In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich
zusammengesunken wie ein morscher Baum.
Jetzt steht er auf, unauffullig kriecht er durch den Raum, verweilt
einen Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und
frage: "Wo willst du hin?"
"Ich bin gleich wieder da", sagt er und will an mir vorbei. "Warte doch
noch, das Feuer lußt schon nach."
Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder
den truben Glanz wie bei einem tollwutigen Hund, er schweigt und drungt mich
fort. "Eine Minute, Kamerad!" rufe ich.
Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortstußt, packt
er zu, und wir halten ihn fest.
Sofort beginnt er zu toben: "Laßt mich los, laßt mich
'raus, ich will hier'raus!"
Er hurt auf nichts und schlugt um sich, der Mund ist naß und
spruht Worte, halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von
Unterstandsangst, er hat das Gefuhl, hier zu ersticken, und kennt nur den
einen Trieb: hinauszugelangen. Wenn man ihn laufen ließe, wurde er
ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.
Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es
nichts, wir mussen ihn verprugeln, damit er vernunftig wird. Wir tun es
schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorluufig wieder ruhig
sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich
schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist zuviel fur die armen Kerle; sie
sind vom Feldrekrutendepot gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst
einem alten Mann graue Haare machen kunnte.
Die stickige Luft fullt uns nach diesem Vorgang noch mehr auf die
Nerven. Wir sitzen wie in unserm Grabe und warten nur darauf, daß wir
zugeschuttet werden. Plutzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand
kracht in allen Fugen unter einem Treffer, glucklicherweise einem leichten,
dem die Betonklutze standgehalten haben. Es klirrt metallisch und
furchterlich, die Wunde wackeln, Gewehre, Helme, Erde, Dreck und Staub
fliegen. Schwefeliger Qualm dringt ein. Wenn wir statt in dem festen
Unterstand in einem der leichten Dinger sußen, wie sie neuerdings
gebaut werden, lebte jetzt keiner mehr.
Die Wirkung ist aber auch so schlimm genug. Der Rekrut von vorhin tobt
schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus
und luuft weg. Wir haben Muhe mit den beiden andern. Ich sturze hinter dem
Fluchtenden her und uberlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; -
da pfeift es heran, ich werfe mich hin, und als ich aufstehe, ist die
Grabenwand mit heißen Splittern, Fleischfetzen und Uniformlappen
bepflastert. Ich klettere zuruck.
Der erste scheint wirklich verruckt geworden zu sein. Er rennt mit dem
Kopf wie ein Bock gegen die Wand, wenn man ihn loslußt. Wir werden
nachts versuchen mussen, ihn nach hinten zu bringen. Vorluufig binden wir
ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann.
Kat schlugt vor, Skat zu spielen; - was soll man tun, vielleicht ist es
leichter dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag,
der nuher ist, und verzuhlen uns bei den Stichen oder bedienen nicht die
Farbe. Wir mussen es lassen. Wie in einem gewaltig druhnenden Kessel sitzen
wir, auf den von allen Seiten losgeschlagen wird.
Noch eine Nacht. Wir sind jetzt stumpf vor Spannung. Es ist eine
tudliche Spannung, die wie ein schartiges Messer unser Ruckenmark entlang
kratzt. Die Beine wollen nicht mehr, die Hunde zittern, der Kurper ist eine
dunne Haut uber muhsam unterdrucktem Wahnsinn, uber einem gleich hemmungslos
ausbrechenden Gebrull ohne Ende. Wir haben kein Fleisch und keine Muskeln
mehr, wir kunnen uns nicht mehr ansehen, aus Furcht vor etwas
Unberechenbarem. So pressen wir die Lippen aufeinander - es wird
vorubergehen - es wird vorubergehen - vielleicht kommen wir durch.
Mit einem Male huren die nahen Einschluge auf. Das Feuer dauert an,
aber es ist zuruckverlegt, unser Graben ist frei. Wir greifen nach den
Handgranaten, werfen sie vor den Unterstand und springen hinaus. Das
Trommelfeuer hat aufgehurt, dafur liegt hinter uns ein schweres Sperrfeuer.
Der Angriff ist da.
Niemand wurde glauben, daß in dieser zerwuhlten Wuste noch
Menschen sein kunnten; aber jetzt tauchen uberall aus dem Graben die
Stahlhelme auf, und funfzig Meter von uns entfernt ist schon ein
Maschinengewehr in Stellung gebracht, das gleich losbellt.
Die Drahtverhaue sind zerfetzt. Immerhin halten sie noch etwas auf. Wir
sehen die Sturmenden kommen. Unsere Artillerie funkt. Maschinengewehre
knarren, Gewehre knattern. Von druben arbeiten sie sich heran. Haie und
Kropp beginnen mit den Handgranaten. Sie werfen, so rasch sie kunnen, die
Stiele werden ihnen abgezogen zugereicht. Haie wirft sechzig Meter weit,
Kropp funfzig, das ist ausprobiert und wichtig. Die von druben kunnen im
Laufen nicht viel eher etwas machen, als bis sie auf dreißig Meter
heran sind.
Wir erkennen die verzerrten Gesichter, die flachen Helme, es sind
Franzosen. Sie erreichen die Reste des Drahtverhaus und haben schon
sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben uns
umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen, und sie kommen nuher.
Ich sehe einen von ihnen in einen spanischen Reiter sturzen, das
Gesicht hoch erhoben. Der Kurper sackt zusammen, die Hunde bleiben hungen,
als wollte er beten. Dann fullt der Kurper ganz weg, und nur noch die
abgeschossenen Hunde mit den Armstumpfen hungen im Draht.
Im Augenblick, als wir zuruckgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom
Boden. Unter einem der Helme ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest
auf mich gerichtet sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in
diese sonderbaren Augen, einen verruckten Moment lang rast die ganze
Schlacht wie ein Zirkus um mich und diese beiden Augen, die allein
bewegungslos sind, dann reckt sich druben der Kopf auf, eine Hand, eine
Bewegung, und meine Handgranate fliegt hinuber, hinein.
Wir laufen zuruck, reißen spanische Reiter in den Graben und
lassen abgezogene Handgranaten hinter uns fallen, die uns einen feurigen
Ruckzug sichern. Von der nuchsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre.
Aus uns sind gefuhrliche Tiere geworden. Wir kumpfen nicht, wir
verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen
Menschen, was wissen wir im Augenblick davon, dort hetzt mit Hunden und
Helmen der Tod hinter uns her, wir kunnen ihm seit drei Tagen zum ersten
Male ins Gesicht sehen, wir kunnen uns seit drei Tagen zum ersten Male
wehren gegen ihn, wir haben eine wahnsinnige Wut, wir liegen nicht mehr
ohnmuchtig wartend auf dem Schafott, wir kunnen zersturen und tuten, um uns
zu retten und zu ruchen.
Wir hocken hinter jeder Ecke, hinter jedem Stacheldrahtgestell und
werfen den Kommenden Bundel von Explosionen vor die Fuße, ehe wir
forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in unsere
Arme, in unsere Beine, geduckt wie Katzen laufen wir, uberschwemmt von
dieser Welle, die uns trugt, die uns grausam macht, zu Wegelagerern, zu
Murdern, zu Teufeln meinetwegen, dieser Welle, die unsere Kraft
vervielfultigt in Angst und Wut und Lebensgier, die uns Rettung sucht und
erkumpft. Kume dein Vater mit denen druben, du wurdest nicht zaudern, ihm
die Granate gegen die Brust zu werfen!
Die vorderen Gruben werden aufgegeben. Sind es noch Gruben? Sie sind
zerschossen, vernichtet - es sind nur einzelne Grabenstucke, Lucher,
verbunden durch Laufgunge, Trichternester, nicht mehr. Aber die Verluste
derer von druben huufen sich. Sie haben nicht mit so viel Widerstand
gerechnet.
Es wird Mittag. Die Sonne brennt heiß, uns beißt der
Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem urmel weg, manchmal ist
Blut dabei. Der erste etwas besser erhaltene Graben taucht auf. Er ist
besetzt und vorbereitet zum Gegenstoß, er nimmt uns auf. Unsere
Artillerie setzt muchtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
Die Linien hinter uns stocken. Sie kunnen nicht vorwurts. Der Angriff
wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert
Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der
Kopf abgerissen. Er luuft noch einige Schritte, wuhrend das Blut ihm wie ein
Springbrunnen aus dem Halse schießt.
Es kommt nicht ganz zum Handgemenge, die andern mussen zuruck. Wir
erreichen unsere Grabenstucke wieder und gehen daruber hinaus vor.
Oh, dieses Umwenden! Man hat die schutzenden Reservestellungen
erreicht, man muchte hindurchkriechen, verschwinden; - und muß sich
umdrehen und wieder in das Grauen hinein. Wuren wir keine Automaten in
diesem Augenblick, wir blieben liegen, erschupft, willenlos. Aber wir werden
wieder mit vorwurts gezogen, willenlos und doch wahnsinnig wild und wutend,
wir wollen tuten, denn das dort sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre
und Granaten sind gegen uns gerichtet, vernichten wir sie nicht, dann
vernichten sie uns!
Die braune Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter
den Sonnenstrahlen schimmernd, ist der Hintergrund rastlos dumpfen
Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind
trocken, der Kopf ist wuster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln
wir vorwurts, und in unsere durchsiebten, durchlucherten Seelen bohrt sich
quulend eindringlich das Bild der braunen Erde mit der fettigen Sonne und
den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als mußte es so sein,
die nach unsern Beinen greifen und schreien, wuhrend wir uber sie
hinwegspringen.
Wir haben alles Gefuhl fureinander verloren, wir kennen uns kaum noch,
wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick fullt. Wir sind
gefuhllose Tote, die durch einen Trick, einen gefuhrlichen Zauber noch
laufen und tuten kunnen.
Ein junger Franzose bleibt zuruck, er wird erreicht, hebt die Hunde, in
einer hat er noch den Revolver - man weiß nicht, will er
schießen oder sich ergeben -, ein Spatenschlag spaltet ihm das
Gesicht. Ein zweiter sieht es und versucht, weiterzufluchten, ein Bajonett
zischt ihm in den Rucken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den
Mund schreiend weit offen, taumelt er davon, in seinem Rucken schwankt das
Bajonett. Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die Hunde
vor den Augen. Er bleibt zuruck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
Plutzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, daß es uns
gelingt, fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig
Verluste. Ein Maschinengewehr klufft, wird aber durch eine Handgranate
erledigt. Immerhin haben die paar Sekunden fur funf Bauchschusse bei uns
ausgereicht. Kat schlugt einem der unverwundet gebliebenen
Maschinengewehrschutzen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern
erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir
durstig das Kuhlwasser aus.
uberall knacken Drahtzangen, poltern Bretter uber die Verhaue, springen
wir durch die schmalen Zugunge in die Gruben. Haie stußt einem
riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste
Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist
das gerade Stuck des Grabens vor uns leer. Schrug uber die Ecke zischt der
nuchste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte
Ladungen in die Unterstunde, die Erde ruckt, es kracht, dampft und stuhnt,
wir stolpern uber glitschige Fleischfetzen, uber weiche Kurper, ich falle in
einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskuppi liegt.
Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde reißt ab. Da
wir uns hier nicht lange halten kunnen, werden wir unter dem Schutze unserer
Artillerie zuruckgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir
in grußter Eile noch in die nuchsten Unterstunde sturzen, um von
Konserven an uns zu reißen, was wir gerade sehen, vor allem die
Buchsen mit Corned beef und Butter, ehe wir turmen.
Wir kommen gut zuruck. Es erfolgt vorluufig kein weiterer Angriff von
druben. uber eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand
spricht. Wir sind so vullig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken
Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allmuhlich werden wir wieder so
etwas wie Menschen.
Das Corned beef von druben ist an der ganzen Front beruhmt. Es ist
mitunter sogar der Hauptgrund zu einem uberraschenden Vorstoß von
unserer Seite, denn unsere Ernuhrung ist im allgemeinen schlecht; wir haben
stundig Hunger.
Insgesamt haben wir funf Buchsen geschnappt. Die Leute druben werden ja
verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer
Rubenmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht bloß
danach zu greifen. Haie hat außerdem ein dunnes franzusisches
Weißbrot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten.
An einer Ecke ist es ein bißchen blutig, doch das lußt sich
abschneiden.
Es ist ein Gluck, daß wir jetzt gut zu essen haben; wir werden
unsere Krufte noch brauchen. Sattessen ist ebenso wertvoll wie ein guter
Unterstand; deshalb sind wir so gierig danach, denn es kann uns das Leben
retten.
Tjaden hat noch zwei Feldflaschen Kognak erbeutet. Wir lassen sie
reihum gehen.
Der Abendsegen beginnt. Die Nacht kommt, aus den Trichtern steigen
Nebel. Es sieht aus, als wuren die Lucher von gespenstigen Geheimnissen
erfullt. Der weiße Dunst kriecht angstvoll umher, ehe er wagt, uber
den Rand hinwegzugleiten. Dann ziehen lange Streifen von Trichter zu
Trichter.
Es ist kuhl. Ich bin auf Posten und starre in die Dunkelheit. Mir ist
schwach zumute, wie immer nach einem Angriff, und deshalb wird es mir
schwer, mit meinen Gedanken allein zu sein. Es sind keine eigentlichen
Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schwuche jetzt heimsuchen
und mich sonderbar stimmen.
Die Leuchtschirme gehen hoch - und ich sehe ein Bild, einen
Sommerabend, wo ich im Kreuzgang des Domes bin und auf hohe Rosenbusche
schaue, die in der Mitte des kleinen Kreuzgartens bluhen, in dem die
Domherren begraben werden. Rundum stehen die Steinbilder der Stationen des
Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille hult dieses bluhende
Viereck umfangen, die Sonne liegt warm auf den dicken grauen Steinen, ich
lege meine Hand darauf und fuhle die Wurme. uber der rechten Ecke des
Schieferdaches strebt der grune Domturm in das matte, weiche Blau des
Abends. Zwischen den beglunzten kleinen Suulen der umlaufenden Kreuzgunge
ist das kuhle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke
daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde,
die von den Frauen kommen.
Das Bild ist besturzend nahe, es ruhrt mich an, ehe es unter dem
Aufflammen der nuchsten Leuchtkugel zergeht.
Ich fasse mein Gewehr und rucke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich
lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine
Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf
einer Seite standen, hießen sie die Pappelallee. Schon als Kinder
hatten wir eine Vorliebe fur sie, unerklurlich zogen sie uns an, ganze Tage
verbrachten wir bei ihnen und honen ihrem leisen Rauschen zu. Wir
saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die Fuße
in die hellen, eiligen Wellen hungen. Der reine Duft des Wassers und die
Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten
sie sehr, und das Bild dieser Tage lußt mir jetzt noch das Herz
klopfen, ehe es wieder geht.
Es ist seltsam, daß alle Erinnerungen, die kommen, zwei
Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Sturkste an
ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Maße in Wahrheit
waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen
mit Blicken und Geburden, wortlos und schweigend, - und ihr Schweigen ist
das Erschutternde, das mich zwingt, meinen urmel anzufassen und mein Gewehr,
um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflusung und Lockung, in der
mein Kurper sich ausbreiten und sanft zerfließen muchte zu den stillen
Muchten hinter den Dingen.
Sie sind so still, weil das fur uns so unbegreiflich ist. An der Front
gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, daß wir
nie außerhalb von ihr sind. Auch in den zuruckgelegenen Depots und
Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedumpfte Poltern des Feuers stets
in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, daß wir es nicht mehr
huren. In diesen Tagen aber war es unertruglich.
Die Stille ist die Ursache dafur, daß die Bilder des Fruher nicht
so sehr Wunsche erwecken als Trauer - eine ungeheure, fassungslose
Schwermut. Sie waren - aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie
sind eine andere Welt, die fur uns voruber ist. Auf den Kasernenhufen riefen
sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns
verbunden, wir gehurten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt
waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir
zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der
Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und
aus uns kam.
Hier in den Gruben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht
mehr aus uns auf; - wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist
eine Erscheinung, ein rutselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir
furchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist
stark - aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso
vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
Und selbst wenn man sie uns wiedergube, diese Landschaft unserer
Jugend, wir wurden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und
geheimen Krufte, die von ihr zu uns gingen, kunnen nicht wiedererstehen. Wir
wurden in ihr sein und in ihr umgehen; wir wurden uns erinnern und sie
lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es wure das gleiche, wie wenn
wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind
seine Zuge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen
waren, gewinnen ein trugerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es
nicht selbst.
Wir wurden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht
die Erkenntnis ihrer Schunheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen,
sondern das Gemeinsame, dieses Gleichfuhlen einer Bruderschaft mit den
Dingen und Vorfullen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt
unserer Eltern immer etwas unverstundlich machte; - denn wir waren irgendwie
immer zurtlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste mundete uns
einmal immer in den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das
Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben
wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte
mit dem Verlauf unserer Tage.
Heute wurden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie
Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie
Hundler und Notwendigkeiten wie Schluchter. Wir sind nicht mehr unbekummert
- wir sind furchterlich gleichgultig. Wir wurden da sein; aber wurden wir
leben?
Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh
und traurig und oberfluchlich - ich glaube, wir sind verloren.
Meine Hunde werden kalt, und meine Haut schauert; dabei ist es eine
warme Nacht. Nur der Nebel ist kuhl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten
vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen
werden sie bleich und grun sein und ihr Blut gestockt und schwarz.
Immer noch steigen die Leuchtschirme empor und werfen ihr
erbarmungsloses Licht uber die versteinerte Landschaft, die voll Krater und
Lichtkulte ist wie ein Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt Furcht und
Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach und zittern, sie wollen
Wurme und Leben. Sie kunnen es nicht aushaken ohne Trost und Tuuschung, sie
verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
Ich hure das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort das heftige
Verlangen nach warmem Essen, es wird mir gut tun und mich beruhigen. Mit
Muhe zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgelust werde.
Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor.
Sie sind fett gekocht und schmecken gut, ich esse sie langsam. Aber ich
bleibe still, obschon die andern besser gelaunt sind, weil das Feuer
eingeschlafen ist.
Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und
selbstverstundlich. Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam
huufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Grubern die Toten. Die
Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, kunnen wir meistens holen.
Manche aber mussen lange liegen, und wir huren sie sterben.
Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er muß auf dem
Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen kunnen. Anders ist es nicht zu
erkluren, daß wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde
dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
Er wird einen busen Schuß haben, eine dieser schlimmen
Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den Kurper rasch derart
schwuchen, daß man halb betuubt verdummert, und auch nicht so leicht,
daß man die Schmerzen mit der Aussicht ertragen kann, wieder heil zu
werden. Kat meint, er hutte entweder eine Beckenzertrummerung oder einen
Wirbelsuulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst besuße er
nicht so viel Kraft zum Schreien. Man mußte ihn bei einer anderen
Verletzung sich auch bewegen sehen.
Er wird allmuhlich heiser. Die Stimme ist so unglucklich im Klang,
daß sie uberall herkommen kunnte. In der ersten Nacht sind dreimal
Leute von uns draußen. Aber wenn sie glauben, die Richtung zu haben,
und schon hinkriechen, ist die Stimme beim nuchstenmal, wenn sie horchen,
wieder ganz anderswo.
Bis in die Dummerung hinein suchen wir vergeblich. Tagsuber wird das
Gelunde mit Glusern durchforscht; nichts ist zu entdecken. Am zweiten Tag
wird der Mann leiser; man merkt, daß die Lippen und der Mund
vertrocknet sind.
Unser Kompaniefuhrer hat dem, der ihn findet, Vorzugsurlaub und drei
Tage Zusatz versprochen. Das ist ein muchtiger Anreiz, aber wir wurden auch
ohne das tun, was muglich ist; denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp
gehen sogar nachmittags noch einmal vor. Albert wird das Ohrluppchen dabei
abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
Dabei ist deutlich zu verstehen, was er ruft. Zuerst hat er immer nur
um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas Fieber haben,
er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir kunnen oft den Namen
Elise heraushuren. Heute weint er nur noch. Abends erlischt die Stimme zu
einem Kruchzen. Aber er stuhnt noch die ganze Nacht leise. Wir huren es so
genau, weil der Wind auf unsern Graben zusteht. Morgens, als wir schon
glauben, er habe lungst Ruhe, dringt noch einmal ein gurgelndes Rucheln
heruber -.
Die Tage sind heiß, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir kunnen
sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie
werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die Buuche auf wie
Ballons. Sie zischen, rulpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen.
Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schwul, j und die
Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns heruberweht, bringt er den
Blutdunst mit, der schwer und widerwurtig sußlich ist, diesen
Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint
und uns ubelkeiten und Erbrechen verursacht.
Die Nuchte werden ruhig, und die Jagd auf die kupfernen Fuhrungsringe
der Granaten und die Seidenschirme der franzusischen Leuchtkugeln geht los.
Weshalb die Fuhrungsringe so begehrt sind, weiß eigentlich keiner
recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die
so viel davon mitschleppen, daß sie krumm und schief darunter gehen,
wenn wir abrucken.
Haie gibt wenigstens einen Grund an; er will sie seiner Braut als
Strumpfbunderersatz schicken. Daruber bricht bei den Friesen naturlich
unbundige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein Witz,
Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den Ohren. Besonders Tjaden kann
sich gar nicht fassen; er hat den grußten der Ringe in der Hand und
steckt alle Augenblicke sein Bein hindurch, um zu zeigen, wieviel da noch
frei ist. "Haie, Mensch, die muß ja Beine haben, Beine" - seine
Gedanken klettern etwas huher -, "und einen Hintern muß die dann ja
haben, wie - wie ein Elefant."
Er kann sich nicht genug tun. "Mit der muchte ich mal Schinkenkloppen
spielen, meine Fresse..."
Haie strahlt, weil seine Braut soviel Anerkennung findet, und
uußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!"
Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben
eine Bluse, je nach der Brustweite. Kropp und ich brauchen sie als
Taschentucher. Die andern schicken sie nach Hause. Wenn die Frauen sehen
kunnten, mit wieviel Gefahr diese dunnen Lappen oft geholt werden, wurden
sie einen schunen Schreck kriegen.
Kat uberrascht Tjaden, wie er von einem Blindgunger in aller Seelenruhe
die Ringe abzuklopfen versucht. Bei jedem andern wure das Ding explodiert,
Tjaden hat wie stets Gluck.
Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben.
Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Flugel haben rote Punkte. Was mag sie
nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine
Blume. Sie ruhen sich auf den Zuhnen eines Schudels aus. Ebenso sorglos wie
sie sind die Vugel, die sich lungst an den Krieg gewuhnt haben. Jeden Morgen
steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar
brutende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn - wir wissen,
wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts huren
wir wieder das Rollen von druben. Tagsuber haben wir nur das normale Feuer,
so daß wir die Gruben ausbessern kunnen. Unterhaltung ist ebenfalls
da, die Flieger sorgen dafur. Tuglich finden zahlreiche Kumpfe ihr Publikum.
Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die
Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das
Artilleriefeuer heruber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es
von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag,
darunter funf Sanituter. Zwei werden so zerschmettert, daß Tjaden
meint, man kunne sie mit dem Luffel von der Grabenwand abkratzen und im
Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen
abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist
zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt,
bis sie auf den Lippen verzischt.
Wir legen die Toten vorluufig in einen großen Trichter. Es sind
bis jetzt drei Lagen ubereinander.
Plutzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir
wieder in der gespannten Starre des untutigen Wartens.
Angriff, Gegenangriff, Stoß, Gegenstoß - das sind Worte,
aber was umschließen sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten
Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist
eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen
Jahrgunge. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas
uben kunnen, ehe sie ins Feld ruckten. Was eine Handgranate ist, wissen sie
zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie
keinen Blick dafur. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter hoch
sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
Obschon wir notwendig Versturkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit
mit den Rekruten, als daß sie uns nutzen. Sie sind hilflos in diesem
schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von
heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man muß Verstundnis fur
das Gelunde haben, man muß die Geschosse, ihre Geruusche und Wirkungen
im Ohr haben, man muß vorausbestimmen kunnen, wo sie einbauen, wie sie
streuen und wie man sich schutzt.
Dieser junge Ersatz weiß naturlich von alledem noch fast gar
nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate
unterscheiden kann, die Leute werden weggemuht, weil sie angstvoll auf das
Heulen der ungefuhrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenkusten
lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen
Biester uberhuren. Wie die Schafe drungen sie sich zusammen, anstatt
auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von
den Fliegern abgeknallt.
Die blassen Steckrubengesichter, die armselig gekrallten Hunde, die
jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und
angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so verschuchtert sind, daß
sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brusten und Buuchen und
Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufhuren, wenn
man sie ansieht!
Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche
Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen
und laufen und fallen. Man muchte sie verprugeln, weil sie so
dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie
nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen Rucke und Hosen und Stiefel,
aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die
Schultern sind zu schmal, die Kurper sind zu gering, es gab keine Uniformen,
die fur dieses Kindermaß eingerichtet waren.
Auf einen alten Mann fallen funf bis zehn Rekruten. Ein uberraschender
Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer
wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen Kupfen und schwarzen
Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu fruh losgemacht; sie
wußten nicht, daß sich das Gas auf dem Grunde am lungsten hult;
als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten
noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos,
sie wurgen sich mit Blutsturzen und Erstickungsanfullen zu Tode.
In einem Grabenstuck sehe ich mich plutzlich Himmelstoß
gegenuber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles
beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.
Obschon ich sehr erregt bin, schießt mir beim Hinauslaufen doch
noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch
springe ich in den Unterstand zuruck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt
mit einem kleinen Streifschuß und den Verwundeten simuliert. Sein
Gesicht ist wie verprugelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch
neu hier. Aber es macht mich rasend, daß der junge Ersatz
draußen ist und er hier.
"Raus!" fauche ich.
Er ruhrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
"Raus!" wiederhole ich.
Er zieht die Beine an, druckt sich an die Wand und bleckt die Zuhne wie
ein Kuter.
Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochreißen. Er quukt auf. Da
gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, schuttele ihn wie einen
Sack, daß der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht:
"Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du Schinder, du willst dich drucken?"
Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand - "Du Vieh" - ich
trete ihm in die Rippen - "Du Schwein" - ich stoße ihn vorwurts mit
dem Kopf voran hinaus.
Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er
sieht uns und ruft: "Vorwurts, vorwurts, anschließen,
anschließen -!" Und was meine Prugel nicht vermocht haben, das wirkte
dieses Wort. Himmelstoß hurt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um
und schließt sich an.
Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige
Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und
ist weit voraus. -
Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks,
Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen
der Welt.
Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwustet, wir sind
todmude; - wenn der Angriff kommt, mussen manche mit den Fuusten geschlagen
werden, damit sie erwachen und mitgehen; - die Augen sind entzundet, die
Hunde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit
neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir luffeln
Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schießen, wir
tuten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das hult uns,
daß noch Schwuchere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit
aufgerissenen Augen uns ansehen als Gutter, die manchmal dem Tode entrinnen
kunnen.
In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den
Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht druben hin.
Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen."
Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtuckische Surren der kleinen
Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie
Muckensummen; - wir bringen ihnen bei, daß sie gefuhrlicher sind als
die großen, die man lange vorher hurt.
Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten
Mann macht, wenn man vom Angriff uberrannt wird, wie man Handgranaten
abziehen muß, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag
explodieren; - wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagzundern
blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bundel
Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erMuren den Unterschied in der
Zundungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen
sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die
sie vor dem Tode retten kunnen. Sie huren zu, sie sind folgsam - aber wenn
es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder
falsch.
Haie Westhus wird mit abgerissenem Rucken fortgeschleppt; bei jedem
Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drucken;
- "is alle, Paul", stuhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
Wir sehen Menschen leben, denen der Schudel fehlt; wir sehen Soldaten
laufen, denen beide Fuße weggefetzt sind; sie stolpern auf den
splitternden Stumpfen bis zum nuchsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei
Kilometer weit auf den Hunden und schleppt die zerschmetterten Knie hinter
sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und uber seine festhaltenden
Hunde quellen die Durme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne
Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zuhnen zwei Stunden die Schlagader
seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht
kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
Doch das Stuckchen zerwuhlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten
gegen die ubermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber
auf jeden Meter kommt ein Toter.
Wir werden abgelust. Die Ruder rollen unter uns weg, wir stehen dumpf,
und wenn der Ruf: "Achtung - Draht!" kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es
war Sommer, als wir hier voruberfuhren, die Buume waren noch grun, jetzt
sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen
halten, wir klettern
97
hinunter, ein durcheinandergewurfelter Haufen, ein Rest von vielen
Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von
Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein Huuflein
ab, ein karges, geringes Huuflein schmutziger, fahler Soldaten, ein
furchtbar kleines Huuflein und ein furchtbar kleiner Rest.
Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man hurt es, der
Kompaniefuhrer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir
treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen,
lehnen uns aneinander und sehen uns an.
Und noch einmal und noch einmal huren wir unsere Nummer rufen. Er kann
lange rufen, man hurt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!"
Und dann leiser: "Niemand mehr zweite Kompanie?" Er schweigt und ist
etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abzuhlen!"
Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir
waren hundertfunfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blutter
rascheln, die Stimmen flattern mude auf: "Eins - zwei -drei - vier -", und
bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die
Stimme fragt: "Noch jemand?" - und wartet und dann leise sagt: "In Gruppen
-", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", muhselig:
"Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!"
Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus,
Zweiunddreißig Mann.
7
Man nimmt uns weiter als sonst zuruck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit
wir dort neu zusammengestellt werden kunnen. Unsere Kompanie braucht uber
hundert Mann Ersatz.
Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei
Tagen kommt Himmelstoß zu uns. Seine große Schnauze hat er
verloren, seit er im Graben war. Er schlugt vor, daß wir uns vertragen
wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, daß er Haie Westhus,
dem der Rucken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem
wirklich vernunftig redet, haben wir nichts dabei, daß er uns in die
Kantine einludt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert.
Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erzuhlt, daß er
den in Urlaub fahrenden Kuchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafur ruckt
er sofort zwei Pfund Zucker fur uns und ein halbes Pfund Butter fur Tjaden
besonders heraus. Er sorgt sogar dafur, daß wir fur die nuchsten drei
Tage in die Kuche zum Kartoffel- und Steckrubenschulen kommandiert werden.
Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum
Gluck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor
ein paar Jahren noch hutten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast
zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schutzengraben.
Diese Gewohnheit ist der Grund dafur, daß wir scheinbar so rasch
vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten
und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In
Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein mussen,
sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil
sie zu schwer sind, um sofort daruber nachdenken zu kunnen. Tuten wir es,
sie wurden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das
Grauen lußt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es
tutet, wenn man daruber nachdenkt.
Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das
einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberfluchlichen
Witzbolden und Schlafmutzen, wenn wir in Ruhe sind. Wir kunnen gar nicht
anders, es ist furmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da
kunnen wir uns nicht mit Gefuhlen belasten, die fur den Frieden dekorativ
sein mugen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt,
mit dem Kurper Hans Kramers werden sie am Jungsten Tage Last haben, ihn aus
einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist
tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, Hummerling ist tot, hundertzwanzig Mann
liegen irgendwo mit Schussen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es
uns noch an, wir leben. Kunnten wir sie retten, ja dann sollte man mal
sehen, es wure egal, ob wir selbst draufgingen, so wurden wir loslegen; denn
wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht
viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist kurperlich.
Aber unsere Kameraden sind tot, wir kunnen ihnen nicht helfen, sie
haben Ruhe - wer weiß, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns
hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und
saufen und rauchen, damit die Stunden nicht ude sind. Das Leben ist kurz.
Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den Rucken kehren, wir
gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt,
dann heißt es, daß er den Arsch zugekniffen hat, und so reden
wir uber alles, das rettet uns vor dem Verrucktwerden, solange wir es so
nehmen, leisten wir Widerstand.
Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht uber den
goldenen Humor der Truppen, die bereits Tunzchen arrangieren, wenn sie kaum
aus dem Trommelfeuer zuruck sind, ist großer Quatsch. Wir tun das
nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt
gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist
jeden Monat bitterer.
Und ich weiß: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind,
versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und
dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal
zuruckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns
marschieren, unsere Kupfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und
so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der
Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen?
Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer
Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit
großen Augen stehen Kropp und ich davor. Wir kunnen nicht begreifen,
daß es so etwas noch gibt. Da ist ein Mudchen in einem hellen
Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgurtel um die Huften. Sie stutzt
sich mit der einen Hand auf ein Gelunder, mit der anderen hult sie einen
Strohhut. Sie trugt weiße Strumpfe und weiße Schuhe, zierliche
Spangenschuhe mit hohen Absutzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit
einigen Wogenkummen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz
herrliches Mudchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen
Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß zweimal am
Tage und hat nie Dreck unter den Nugeln. Huchstens vielleicht mal ein
bißchen Sand vom Strand.
Neben ihm steht ein Mann in weißer Hose, mit blauem Jackett und
Seglermutze, aber der interessiert uns viel weniger.
Das Mudchen auf der Bretterwand ist fur uns ein Wunder. Wir haben ganz
vergessen, daß es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir
unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges
gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Schunheit und Gluck.
Das ist der Frieden, so muß er sein, spuren wir erregt.
"Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin kunnte sie keinen
Kilometer marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es
ist bludsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
"Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp.
Ich schutze: "AUerhuchstens zweiundzwanzig, Albert."
"Dann wure sie ja ulter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage
ich dir!"
Eine Gunsehaut uberluuft uns. "Albert, das wure was, meinst du nicht?"
Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose."
"Weiße Hose", sage ich, "aber so ein Mudchen -"
Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden,
eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist
hoffnungslos, sich zu vergleichen.
Zunuchst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der
weißen Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Mudchen
nicht beschudigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlugt Kropp vor:
"Wir kunnten uns mal entlausen lassen."
Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber
die Luuse hat man nach zwei Stunden wi