Ein Trauerspiel in fÃ?nf AufzÃ?gen

     --------------------------------------------------------------------------------

     Personen:
     Margarete von Parma, Tochter Karls des FÃ?nften,
     Regentin der Niederlande
     Graf Egmont, Prinz von Gaure
     Wilhelm von Oranien
     Herzog von Alba
     Ferdinand, sein natÃ?rlicher Sohn
     Machiavell, im Dienste der Regentin
     Richard, Egmonts Geheimschreiber
     Silva und Gomez, unter Alba dienend
     KlÃ?rchen, Egmonts Geliebte
     Ihre Mutter
     Brackenburg, ein BÃ?rgerssohn
     Soest, KrÃ?mer, BÃ?rger von BrÃ?ssel
     Jetter, Schneider, BÃ?rger von BrÃ?ssel
     Zimmermann und Seifensieder, BÃ?rger von BrÃ?ssel
     Buyck, Soldat unter Egmont
     Ruysum, Invalide und taub
     Vansen, ein Schreiber
     Volk, Gefolge, Wachen usw.


     --------------------------------------------------------------------------------

     Erster Aufzug
     ArmbrustschieÃ?en
     Soldaten und BÃ?rger mit ArmbrÃ?sten
     Jetter,  BÃ?rger  von BrÃ?ssel, Schneider,  tritt  vor und  spannt  die
Armbrust. Soest, BÃ?rger von BrÃ?ssel, KrÃ?mer.
     Soest. Nun schieÃ?t nur  hin, daÃ?  es alle  wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht!  Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht  geschossen. Und so
wÃ?r' ich fÃ?r dies Jahr Meister.
     Jetter. Meister  und KÃnig  dazu.  Wer  miÃ?gÃnnt's  Euch? Ihr  sollt
dafÃ?r auch  die Zeche  doppelt  bezahlen;  Ihr sollt  Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
     (Buyck, ein HollÃ?nder, Soldat unter Egmont.)
     Buyck.  Jetter,  den SchuÃ?  handl'  ich  Euch ab, teile  den  Gewinst,
traktiere  die  Herren:   ich  bin  so  schon  lange  hier  und  fÃ?r  viele
HÃflichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hÃ?ttet.
-
     Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei.  Doch,
Buyck, nur immerhin.
     Buyck (schieÃ?t). Nun, Pritschmeister, Reverenz!  -  Eins! Zwei!  Drei!
Vier!
     Soest. Vier Ringe? Es sei!
     Alle. Vivat, Herr KÃnig, hoch! und abermal hoch!
     Buyck. Danke, ihr Herren. WÃ?re Meister zu viel! Danke fÃ?r die Ehre.
     Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
     (Ruysum, ein FrieslÃ?nder, Invalide und taub.)
     Ruysum. DaÃ? ich euch sage!
     Soest. Wie ist's, Alter?
     Ruysum. DaÃ? ich euch sage!  - Er  schieÃ?t wie sein  Herr, er schieÃ?t
wie Egmont.
     Buyck.  Gegen  ihn  bin  ich nur ein armer Schlucker.  Mit der  BÃ?chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er GlÃ?ck oder gute
Laune hat; nein! wie er  anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wÃ?re auch ein Kerl, der bei ihm diente  und nichts von ihm
lernte.  - Nicht zu vergessen, meine  Herren! Ein KÃnig nÃ?hrt seine Leute;
und so, auf des KÃnigs Rechnung, Wein her!
     Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daÃ? jeder -
     Buyck. Ich bin fremd  und  KÃnig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
     Jetter.  Du bist ja Ã?rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mÃ?ssen.
     Ruysum. Was?
     Soest  (laut).  Er will  uns gastieren;  er will nicht haben,  daÃ? wir
zusammenlegen und der KÃnig nur das Doppelte zahlt.
     Ruysum. LaÃ?t ihn! doch ohne  PrÃ?judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
     (Sie bringen Wein.)
     Alle. Ihro MajestÃ?t Wohl! Hoch!
     Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure MajestÃ?t.
     Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
     Soest.  Wohl! Denn unserer spanischen MajestÃ?t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein NiederlÃ?nder von Herzen.
     Ruysum. Wer?
     Soest (laut). Philipps des Zweiten, KÃnigs in Spanien.
     Ruysum. Unser allergnÃ?digster KÃnig und Herr!  Gott  geb'  ihm langes
Leben.
     Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den FÃ?nften, nicht lieber?
     Ruysum. Gott trÃst' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand Ã?ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch  begegnete, so
grÃ?Ã?t'  er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuÃ?t' er mit so guter Manier - ja, versteht  mich -  Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir  doch alle geweint, wie er
seinem Sohn  das  Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich -  der ist
schon anders, der ist majestÃ?tischer.
     Jetter. Er  lieÃ? sich  nicht  sehen, da er hier war,  als in Prunk und
kÃniglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
     Soest. Es ist kein Herr fÃ?r uns  NiederlÃ?nder. Unsre FÃ?rsten mÃ?ssen
froh  und frei  sein  wie  wir, leben  und  leben  lassen. Wir wollen  nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
     Jetter. Der KÃnig, denk  ich, wÃ?re  wohl ein gnÃ?diger Herr, wenn  er
nur bessere Ratgeber hÃ?tte.
     Soest. Nein,  nein!  Er  hat kein GemÃ?t gegen uns  NiederlÃ?nder, sein
Herz ist  dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kÃnnen  wir  ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem  Grafen Egmont so hold? Warum  trÃ?gen
wir ihn alle auf den  HÃ?nden?  Weil man ihm ansieht, daÃ? er uns  wohlwill;
weil ihm die FrÃhlichkeit, das freie Leben, die  gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts  besitzt,  das er dem DÃ?rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LaÃ?t  den  Grafen  Egmont leben!  Buyck,  an  Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
     Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
     Ruysum. Ã?berwinder bei St. Quintin.
     Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
     Alle. Hoch!
     Ruysum. St. Quintin  war meine  letzte Schlacht.  ich konnte  kaum mehr
fort, kaum die schwere BÃ?chse mehr schleppen.  Hab  ich doch  den Franzosen
noch eins auf den Pelz  gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschuÃ? ans rechte Bein.
     Buyck. Gravelingen!  Freunde!  da  ging's frisch!  Den  Sieg  haben wir
allein. Brannten und  sengten die welschen Hunde nicht durch ganz  Flandern?
Aber ich mein,  wir trafen sie! Ihre alten, handfesten  Kerle  hielten lange
wider,  und  wir drÃ?ngten  und schossen  und  hieben, daÃ? sie  die MÃ?uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen,  und wir stritten lange hinÃ?ber herÃ?ber, Mann fÃ?r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe  mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin.  Auf einmal  kam's, wie  vom  Himmel  herunter,  von der  MÃ?ndung  des
Flusses,  bav, bau!  immer mit  Kanonen  in  die  Franzosen drein.  Es waren
EnglÃ?nder, die  unter dem Admiral  Malin von  ungefÃ?hr von DÃ?nkirchen her
vorbeifuhren.  Zwar  viel  halfen sie  uns  nicht; sie  konnten nur mit  den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat  doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick!  rack!  herÃ?ber,  hinÃ?ber!  Alles  totgeschlagen, alles  ins  Wasser
gesprengt. Und die  Kerle ersoffen, wie sie das Wasser  schmeckten;  und was
wir HollÃ?nder  waren, gerad hintendrein. Uns,  die wir beidlebig sind, ward
erst  wohl  im Wasser  wie den  FrÃschen;  und immer  die  Feinde im  FluÃ?
zusammengehauen, weggeschossen  wie  die  Enten.  Was  nun  noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und  Mistgabeln tot.
MuÃ?te  doch die  welsche MajestÃ?t gleich  das PfÃtchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groÃ?en Egmont schuldig.
     Alle. Hoch!  dem  groÃ?en Egmont  hoch! und  abermal hoch! und  abermal
hoch!
     Jetter. HÃ?tte  man uns den statt  der Margrete  von Parma zum Regenten
gesetzt!
     Soest.  Nicht so!  Wahr  bleibt  wahr! Ich  lasse mir  Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnÃ?d'ge Frau!
     Alle. Sie lebe!
     Soest.  Wahrlich,  treffliche  Weiber sind  in dem  Hause. Die Regentin
lebe!
     Jetter. Klug ist  sie, und mÃ?Ã?ig in allem, was  sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den  Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daÃ? wir  die vierzehn neuen BischofsmÃ?tzen im  Lande  haben. Wozu  die nur
sollen? Nicht wahr,  daÃ? man Fremde in die guten Stellen  einschieben kann,
wo sonst  Ã'bte aus den Kapiteln gewÃ?hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen.  Ja, es hat  sich. An drei BischÃfen hatten wir
genug: da ging's  ehrlich und ordentlich  zu. Nun muÃ?  doch auch jeder tun,
als  ob er  nÃtig wÃ?re;  und  da  setzt's  allen  Augenblick VerdruÃ?  und
HÃ?ndel.  Und je mehr ihr das Ding  rÃ?ttelt  und schÃ?ttelt,  desto trÃ?ber
wird's.
     (Sie trinken.)
     Soest. Das  war  nun des KÃnigs  Wille;  sie  kann nichts  davon- noch
dazutun.
     Jetter. Da  sollen  wir  nun die neuen  Psalmen nicht singen. Sie  sind
wahrlich gar schÃn in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiÃ?.  Ich hab  ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
     Buyck. Ich  wollte sie fragen!  In unsrer  Provinz  singen wir, was wir
wollen. Das macht, daÃ? Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas  nicht. - In Gent, Ypern, durch  ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat.  (Laut.)  Es  ist  ja wohl nichts  unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
     Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
     Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art;  und gefÃ?hrlich  ist's  doch  immer, da lÃ?Ã?t man's lieber sein.  Die
Inquisitionsdiener  schleichen herum und passen  auf;  mancher ehrliche Mann
ist schon unglÃ?cklich geworden.  Der  Gewissenszwang fehlte  noch!  Da  ich
nicht tun  darf,  was  ich mÃchte, kÃnnen sie mich doch denken und  singen
lassen, was ich will.
     Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier,  unser  Gewissen  tyrannisieren zu lassen.  Und der Adel  muÃ? auch
beizeiten suchen, ihr die FlÃ?gel zu beschneiden.
     Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfÃ?llt,  in mein
Haus  zu stÃ?rmen, und ich  sitz  an  meiner  Arbeit  und summe  just  einen
franzÃsischen Psalm und  denke  nichts dabei, weder Gutes noch  BÃses; ich
summe ihn  aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde  eingesteckt.  Oder ich gehe Ã?ber  Land und bleibe  bei  einem Haufen
Volks stehen,  das einem  neuen Prediger  zuhÃrt, einem von denen,  die aus
Deutschland gekommen sind: auf  der Stelle heiÃ? ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hÃren?
     Soest. Wackre Leute. Neulich hÃrt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander GekÃch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit  lateinischen Brocken  erwÃ?rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hÃ?tten bei der Nase
herumgefÃ?hrt,  uns in  der Dummheit erhalten, und wie wir mehr  Erleuchtung
haben kÃnnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
     Jetter. Da  mag doch auch was  dran  sein. Ich sagt's  immer selbst und
grÃ?belte so Ã?ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
     Buyck. Es lÃ?uft ihnen auch alles Volk nach.
     Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hÃren kann und was Neues.
     Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
     Buyck.  Frisch, ihr Herren! Ã?ber dem SchwÃ?tzen vergeÃ?t ihr  den Wein
und Oranien.
     Jetter. Den nicht zu vergessen. Das  ist ein rechter Wall: wenn man nur
an  ihn denkt, meint man gleich,  man kÃnne sich  hinter ihn verstecken und
der Teufel brÃ?chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
     Alle. Hoch! hoch!
     Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
     Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Jetter. Krieg! Krieg! WiÃ?t ihr auch, was ihr ruft? DaÃ? es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natÃ?rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich  nicht sagen.  Das ganze  Jahr  das  Getrommel  zu hÃren; und
nichts zu hÃren, als wie da  ein Haufen gezogen kommt und dort ein  andrer,
wie sie Ã?ber  einen HÃ?gel kamen und  bei einer MÃ?hle  hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drÃ?ngen, und  einer gewinnt,
der  andere verliert, ohne daÃ? man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die BÃ?rger ermordet  werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen  Kindern ergeht. Das ist eine  Not
und Angst, man denkt jeden  Augenblick: Â'Da kommen sie!  Es geht  uns  auch
so.Â'
     Soest. Drum muÃ? auch ein BÃ?rger immer in Waffen geÃ?bt sein.
     Jetter. Ja, es Ã?bt sich, wer Frau  und  Kinder hat. Und doch  hÃr ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
     Buyck. Das sollt' ich Ã?belnehmen.
     Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir  die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
     Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
     Jetter. Vexier' Er sich.
     Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
     Jetter. Halt dein Maul.
     Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der  KÃ?che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
     (Sie lachen.)
     Jetter. Du bist ein Tropf.
     Buyck. Friede, ihr Herren! MuÃ? der Soldat  Friede rufen?  - Nun da ihr
von uns nichts  hÃren  wollt, nun  bringt  auch eure Gesundheit  aus,  eine
bÃ?rgerliche Gesundheit.
     Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
     Soest. Ordnung und Freiheit!
     Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
     (Sie  stoÃ?en an und  wiederholen frÃhlich  die  Worte,  doch so, daÃ?
jeder ein  anders ausruft und es eine  Art  Kanon wird. Der Alte  horcht und
fÃ?llt endlich auch mit ein.)
     Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
     Regentin.  Ihr stellt  das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten.  Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
     (Alle gehen ab.)
     Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lÃ?Ã?t mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen;  immer sind diese Bilder,
diese  Sorgen  vor  mir. Nun  wird der  KÃnig sagen, dies sei'n  die Folgen
meiner  GÃ?te, meiner  Nachsicht;  und doch  sagt  mir mein  Gewissen  jeden
Augenblick, das RÃ?tlichste, das Beste getan  zu haben.  Sollte  ich frÃ?her
mit dem  Sturme  des Grimmes diese  Flammen  anfachen und umhertreiben?  Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschÃ?tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiÃ?, entschuldigt mich vor  mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn,  ist  es zu  leugnen? Der  Ã?bermut der
fremden  Lehrer  hat  sich  tÃ?glich  erhÃht;  sie  haben  unser  Heiligtum
gelÃ?stert, die stumpfen Sinne des PÃbels zerrÃ?ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die AufrÃ?hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen,  die  zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und  einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der KÃnig nicht  denke,  man
wolle  noch  mehr  verheimlichen. Ich sehe kein Mittel,  weder strenges noch
gelindes, dem Ã?bel zu  steuern. O was sind  wir  GroÃ?en  auf der Woge  der
Menschheit? Wir  glauben sie  zu  beherrschen,  und sie treibt uns  auf  und
nieder, hin und her.
     (Machiavell tritt auf.)
     Regentin. Sind die Briefe an den KÃnig aufgesetzt?
     Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kÃnnen.
     Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfÃ?hrlich genug gemacht?
     Machiavell. AusfÃ?hrlich und umstÃ?ndlich, wie es der KÃnig liebt. Ich
erzÃ?hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstÃ?rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine  rasende  Menge,  mit  StÃ?ben,  Beilen,  HÃ?mmern,  Leitern,  Stricken
versehen,  von  wenig  Bewaffneten begleitet,  erst  Kapellen,  Kirchen  und
KlÃster  anfallen,  die  AndÃ?chtigen verjagen,  die verschlossenen Pforten
aufbrechen,  alles  umkehren, die  AltÃ?re  niederreiÃ?en, die  Statuen  der
Heiligen zerschlagen, alle GemÃ?lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen,  zerschmettern,  zerreiÃ?en, zertreten.  Wie sich der
Haufe unterwegs  vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erÃffnen.
Wie  sie  den Dom mit unglaublicher Schnelle verwÃ?sten, die Bibliothek  des
Bischofs  verbrennen.  Wie  eine  groÃ?e Menge  Volks, von  gleichem  Unsinn
ergriffen, sich Ã?ber  Menin, Comines,  Werwicq,  Lille verbreitet,  nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure VerschwÃrung sich erklÃ?rt und ausgefÃ?hrt ist.
     Regentin.  Ach, wie  ergreift mich  aufs neue  der Schmerz  bei  deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das Ã?bel werde nur grÃÃ?er
und grÃÃ?er werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
     Machiavell.  Verzeihen  Eure  Hoheit, meine Gedanken  sehen Grillen  so
Ã?hnlich; und  wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart,  habt
Ihr doch selten  meinem  Rat  folgen mÃgen. Ihr sagtet oft im Scherze: Â'Du
siehst  zu  weit,  Machiavell!  Du  solltest  Geschichtschreiber  sein:  wer
handelt, muÃ? fÃ?rs  NÃ?chste sorgen.Â' Und doch,  habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzÃ?hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
     Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es Ã?ndern zu kÃnnen.
     Machiavell. Ein  Wort fÃ?r tausend:  Ihr  unterdrÃ?ckt die  neue  Lehre
nicht. LaÃ?t  sie gelten,  sondert sie von  den RechtglÃ?ubigen, gebt  ihnen
Kirchen, faÃ?t  sie in  die  bÃ?rgerliche Ordnung, schrÃ?nkt sie ein; und so
habt Ihr  die  AufrÃ?hrer  auf einmal zur Ruhe  gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
     Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kÃnne?  WeiÃ?t du nicht, wie er
mir  in  jedem  Briefe  die  Erhaltung des  wahren Glaubens  aufs  eifrigste
empfiehlt?  daÃ?  er Ruhe  und  Einigkeit  auf  Kosten  der  Religion  nicht
hergestellt wissen will? HÃ?lt er nicht selbst in den  Provinzen Spione, die
wir  nicht   kennen,  um  zu  erfahren,  wer  sich  zu  der  neuen   Meinung
hinÃ?berneigt?  Hat  er nicht  zu  unsrer Verwunderung uns  diesen und jenen
genannt,  der  sich in unsrer NÃ?he  heimlich  der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und  SchÃ?rfe? Und ich soll  gelind sein? ich soll
VorschlÃ?ge tun, daÃ? er nachsehe,  daÃ? er  dulde?  WÃ?rde  ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
     Machiavell. Ich weiÃ? wohl; der KÃnig  befiehlt, er lÃ?Ã?t  Euch seine
Absichten  wissen.  Ihr sollt  Ruhe  und  Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die GemÃ?ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen  wird.  Bedenkt, was  Ihr tut. Die grÃÃ?ten  Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die  Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren,  wenn sich um uns alles  Ã?ndert? MÃchte  doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daÃ?  es  einem  KÃnige anstÃ?ndiger ist, BÃ?rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
     Regentin. Solch ein  Wort nie  wieder.  Ich  weiÃ?  wohl, daÃ?  Politik
selten Treu  und  Glauben  halten kann,  daÃ?  sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieÃ?t. In weltlichen GeschÃ?ften ist
das leider  nur zu wahr; sollen wir aber  auch  mit Gott  spielen  wie unter
einander? Sollen wir gleichgÃ?ltig gegen unsre  bewÃ?hrte  Lehre  sein, fÃ?r
die  so  viele  ihr  Leben aufgeopfert haben?  Die  sollten wir hingeben  an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
     Machiavell. Denkt nur deswegen nicht Ã?bler von mir.
     Regentin.  Ich  kenne dich  und  deine Treue und weiÃ?,  daÃ? einer ein
ehrlicher und verstÃ?ndiger  Mann  sein kann,  wenn er gleich  den nÃ?chsten
besten  Weg zum Heil  seiner  Seele  verfehlt  hat.  Es  sind  noch  andere,
Machiavell, MÃ?nner, die ich schÃ?tzen und tadeln muÃ?.
     Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
     Regentin.  Ich  kann es gestehen,  daÃ? mir  Egmont heute  einen  recht
innerlichen tiefen VerdruÃ? erregte.
     Machiavell. Durch welches Betragen?
     Regentin.  Durch   sein  gewÃhnliches,  durch  GleichgÃ?ltigkeit   und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus  der Kirche ging. Ich  hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte  mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. Â'Seht, was
in Eurer  Provinz entsteht! Das  duldet Ihr,  Graf, von  dem der KÃnig sich
alles versprach?Â'
     Machiavell. Und was antwortete er?
     Regentin.  Als  wenn  es  nichts,  als  wenn es eine  Nebensache wÃ?re,
versetzte  er:  Â'WÃ?ren nur erst  die  NiederlÃ?nder Ã?ber ihre  Verfassung
beruhigt! Das Ã?brige wÃ?rde sich leicht geben.Â'
     Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben,  wenn der NiederlÃ?nder  sieht, daÃ? es
mehr  um seine BesitztÃ?mer  als um sein Wohl, um  seiner Seele Heil  zu tun
ist? Haben die  neuen  BischÃfe mehr  Seelen  gerettet, als fette PfrÃ?nden
geschmaust,   und   sind   es  nicht   meist   Fremde?   Noch   werden  alle
Statthalterschaften  mit NiederlÃ?ndern  besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daÃ? sie die grÃÃ?te, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen  Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber  nach  seiner Art
von den Seinigen regieret werden  als von Fremden,  die  erst im Lande  sich
wieder BesitztÃ?mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MaÃ?stab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
     Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
     Machiavell. Mit dem Herzen  gewiÃ?  nicht; und  wollte, ich kÃnnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
     Regentin. Wenn du so willst, so tÃ?t'  es not,  ich  trÃ?te ihnen meine
Regentschaft  ab;  denn Egmont  und  Oranien  machten  sich groÃ?e Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
     Machiavell. Ein gefÃ?hrliches Paar.
     Regentin.  Soll  ich aufrichtig reden: ich  fÃ?rchte  Oranien, und  ich
fÃ?rchte fÃ?r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen  in
die Ferne, er ist  heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grÃÃ?ter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
     Machiavell. Recht im  Gegenteil geht  Egmont einen  freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehÃrte.
     Regentin. Er trÃ?gt das Haupt so hoch, als  wenn die Hand der MajestÃ?t
nicht Ã?ber ihm schwebte.
     Machiavell.  Die Augen  des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hÃ?ngen an ihm.
     Regentin.  Nie  hat  er  einen  Schein   vermieden;  als  wenn  niemand
Rechenschaft von  ihm  zu fordern hÃ?tte.  Noch trÃ?gt er den Namen  Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen  zu hÃren; als wollte er nicht vergessen,
daÃ? seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt  er sich  nicht
Prinz  von Gaure, wie es  ihm zukommt? Warum tut  er das?  Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
     Machiavell. Ich halte ihn fÃ?r einen treuen Diener des KÃnigs.
     Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kÃnnte er sich um die Regierung
machen;  anstatt daÃ?  er  uns  schon, ohne  sich  zu  nutzen,  unsÃ?glichen
VerdruÃ? gemacht hat.  Seine Gesellschaften, Gastmahle und  Gelage haben den
Adel  mehr  verbunden  und verknÃ?pft  als  die  gefÃ?hrlichsten  heimlichen
ZusammenkÃ?nfte. Mit seinen Gesundheiten  haben die GÃ?ste  einen  dauernden
Rausch, einen  nie sich verziehenden Schwindel geschÃpft. Wie oft setzt  er
durch seine Scherzreden die  GemÃ?ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der  PÃbel Ã?ber die  neuen  Livreen, Ã?ber  die tÃrichten  Abzeichen  der
Bedienten!
     Machiavell. Ich bin Ã?berzeugt, es war ohne Absicht.
     Regentin.  Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nÃ?tzt  sich
nicht.  Er nimmt das Ernstliche  scherzhaft; und wir, um  nicht mÃ?Ã?ig  und
nachlÃ?ssig zu scheinen, mÃ?ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So  hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden  sucht, das macht sich erst recht. Er
ist  gefÃ?hrlicher als ein entschiednes Haupt  einer VerschwÃrung;  und ich
mÃ?Ã?te mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht  leugnen, es vergeht wenig Zeit, daÃ? er mich  nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
     Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
     Regentin. Sein Gewissen  hat  einen  gefÃ?lligen Spiegel. Sein Betragen
ist  oft beleidigend. Er  sieht  oft  aus,  als  wenn  er  in der  vÃlligen
Ã?berzeugung lebe, er sei Herr und  wolle es uns nur aus GefÃ?lligkeit nicht
fÃ?hlen  lassen,  wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen;  es werde
sich schon geben.
     Machiavell.  Ich  bitte  Euch, legt seine  Offenheit, sein glÃ?ckliches
Blut,  das  alles  Wichtige  leicht behandelt, nicht zu gefÃ?hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
     Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche  nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlÃ?ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stÃ?rken sein Vertrauen, seine  KÃ?hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkÃ?rlichen  Unmut des KÃnigs  schÃ?tzen. Untersuch  es
genau; an dem ganzen UnglÃ?ck, das  Flandern trifft, ist er doch  nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden  Lehrern nachgesehn, hat's  so genau nicht
genommen und vielleicht  sich heimlich gefreut, daÃ? wir  etwas  zu schaffen
hatten.  LaÃ?  mich  nur;  was  ich auf  dem  Herzen habe,  soll  bei dieser
Gelegenheit  davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieÃ?en;  ich
weiÃ?, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
     Machiavell.  Habt Ihr  den Rat zusammenberufen  lassen?  Kommt  Oranien
auch?
     Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt.  Ich will ihnen die
Last der  Verantwortung nahe  genug zuwÃ?lzen; sie sollen  sich  mit mir dem
Ã?bel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen  erklÃ?ren. Eile,
daÃ?  die  Briefe fertig werden, und  bringe mir sie  zur Unterschrift. Dann
sende schnell den  bewÃ?hrten Vaska nach Madrid; er ist unermÃ?det und treu;
daÃ? mein Bruder  zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daÃ? der  Ruf  ihn
nicht Ã?bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
     Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
     BÃ?rgerhaus
     Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
     Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
     Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, KlÃ?rchen.
     Klare.  Was  habt  Ihr  wieder? Warum versagt Ihr  mir  diesen  kleinen
Liebesdienst?
     Brackenburg.  Ihr bannt mich  mit  dem Zwirn  so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
     Klare. Grillen! kommt und haltet!
     Mutter  (im  Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hÃ?bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
     Brackenburg. Sonst.
     Klare. Wir wollen singen.
     Brackenburg. Was Ihr wollt.
     Klare. Nur hÃ?bsch munter und frisch weg! Es  ist ein Soldatenliedchen,
mein LeibstÃ?ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
     Die Trommel gerÃ?hret!
     Das Pfeifchen gespielt!
     Mein Liebster gewaffnet
     Dem Haufen befiehlt,
     Die Lanze hoch fÃ?hret,
     Die Leute regieret.
     Wie klopft mir das Herze!
     Wie wallt mir das Blut!
     O hÃ?tt' ich ein WÃ?mslein
     Und Hosen und Hut!
     Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
     Mit mutigem Schritt,
     Ging' durch die Provinzen,
     Ging' Ã?berall mit.
     Die Feinde schon weichen,
     Wir schieÃ?en darein.
     Welch GlÃ?ck sondergleichen,
     Ein Mannsbild zu sein!

     (Brackenburg  hat unter  dem  Singen KlÃ?rchen  oft  angesehen; zuletzt
bleibt  ihm die  Stimme  stocken, die  TrÃ?nen kommen ihm  in die  Augen, er
lÃ?Ã?t  den Strang fallen und geht  ans Fenster.  KlÃ?rchen  singt das  Lied
allein aus, die Mutter  winkt ihr halb unwillig, sie steht auf,  geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlÃ?ssig wieder um und setzt sich.)
     Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hÃre marschieren.
     Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
     Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten?  (Sie steht auf und geht
an das Fenster  zu Brackenburg.) Das ist nicht die tÃ?gliche Wache, das sind
weit  mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hÃrt einmal, was es
gibt. Es  muÃ? etwas Besonderes sein. Geht,  guter Brackenburg, tut  mir den
Gefallen.
     Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
     Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
     Klare.  Ich  bin  neugierig;  und  auch, verdenkt  mir's  nicht,  seine
Gegenwart  tut  mir  weh. Ich  weiÃ?  immer  nicht, wie ich  mich gegen  ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's  am  Herzen, daÃ?
er es so lebendig fÃ?hlt. - Kann ich's doch nicht Ã?ndern!
     Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
     Klare. Ich kann's auch  nicht lassen, ich muÃ? ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drÃ?ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaÃ?t. Ich mache mir VorwÃ?rfe, daÃ? ich ihn betriege, daÃ?  ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nÃ?hre. Ich bin Ã?bel dran. WeiÃ?
Gott, ich  betrieg ihn nicht.  Ich will nicht, daÃ? er  hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
     Mutter. Das ist nicht gut.
     Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hÃ?tte ihn heiraten kÃnnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
     Mutter. GlÃ?cklich wÃ?rst du immer mit ihm gewesen.
     Klare. WÃ?re versorgt und hÃ?tte ein ruhiges Leben.
     Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
     Klare. Ich bin in einer  wunderlichen Lage.  Wenn ich so nachdenke, wie
es  gegangen ist,  weiÃ? ich's wohl und weiÃ?  es  nicht. Und dann darf  ich
Egmont nur  wieder ansehen,  wird mir alles sehr begreiflich,  ja wÃ?re  mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht  das glÃ?cklichste GeschÃpf von der Welt
sein?
     Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
     Klare. Ach,  ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
     Mutter.  Man  hat  nichts als Herzensangst mit seinen Kindern.  Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge  und  Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglÃ?cklich gemacht! mich unglÃ?cklich gemacht.
     Klare (gelassen). Ihr lieÃ?et es doch im Anfange.
     Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
     Klare. Wenn Egmont vorbeiritt  und ich ans Fenster  lief,  schaltet Ihr
mich da? Tratet  Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lÃ?chelte,
nickte,  mich grÃ?Ã?te: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
     Mutter. Mache mir noch VorwÃ?rfe.
     Klare  (gerÃ?hrt). Wenn  er  nun Ãfter die  StraÃ?e kam, und wir  wohl
fÃ?hlten,  daÃ? er um  meinetwillen  den  Weg machte,  bemerktet Ihr's nicht
selbst  mit heimlicher  Freude?  Rieft Ihr  mich  ab,  wenn  ich  hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
     Mutter. Dachte ich, daÃ? es so weit kommen sollte?
     Klare (mit stockender Stimme und zurÃ?ckgehaltenen TrÃ?nen). Und wie er
uns abends,  in den Mantel eingehÃ?llt, bei  der Lampe Ã?berraschte, wer war
geschÃ?ftig, ihn zu empfangen, da  ich auf meinem  Stuhl  wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
     Mutter. Und konnte ich  fÃ?rchten, daÃ? diese  unglÃ?ckliche  Liebe das
kluge  KlÃ?rchen so  bald hinreiÃ?en wÃ?rde?  Ich muÃ? es  nun tragen,  daÃ?
meine Tochter -
     Klare (mit ausbrechenden TrÃ?nen). Mutter! Ihr wollt's  nun!  Ihr  habt
Eure Freude, mich zu Ã?ngstigen.
     Mutter (weinend).  Weine noch gar! Mache  mich noch elender durch deine
BetrÃ?bnis.  Ist  mir's  nicht Kummer genug, daÃ? meine  einzige Tochter ein
verworfenes GeschÃpf ist?
     Klare  (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte  verworfen? -
Welche  FÃ?rstin neidete  nicht das arme  KlÃ?rchen um den  Platz an  seinem
Herzen! O Mutter -  meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe  Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
     Mutter.  Man  muÃ?  ihm hold  sein!  das  ist  wahr.  Er  ist immer  so
freundlich, frei und offen.
     Klare. Es ist keine falsche Ader an  ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groÃ?e Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir  seinen Stand,  seine  Tapferkeit gerne verbÃ?rge!  wie  er  um  mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
     Mutter. Kommt er wohl heute?
     Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster  gehen  sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich  horche, wenn's an der TÃ?r rauscht? - Ob ich  schon weiÃ?,
daÃ? er vor Nacht  nicht  kommt,  vermut ich ihn doch  jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe.  WÃ?r' ich nur ein Bube und kÃnnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und Ã?berall hin! KÃnnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
     Mutter.  Du  warst  immer so  ein Springinsfeld;  als ein  kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du  dich nicht ein wenig  besser
an?
     Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe!  - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen  Lobliedchen  auf ihn. Wenigstens
war  sein  Name in  den  Liedern! das Ã?brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals  - Ich hÃ?tte sie  gern zurÃ?ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschÃ?mt hÃ?tte.
     Mutter. Nimm dich in acht! Dein  heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrÃ?tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter,  wie  du
den Holzschnitt  und die  Beschreibung fandst und mit  einem  Schrei riefst:
Â'Graf Egmont!Â' - Ich ward feuerrot.
     Klare.  HÃ?tt'  ich  nicht  schreien  sollen? Es  war die Schlacht  bei
Gravelingen, und ich  finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche  unten
in der Beschreibung C.  Steht  da: Â'Graf  Egmont, dem  das Pferd unter  dem
Leibe totgeschossen wird.Â' Mich Ã?berlief's - und hernach muÃ?t' ich lachen
Ã?ber  den holzgeschnitzten  Egmont,  der so  groÃ?  war  als  der  Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie  ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir  als MÃ?dchen fÃ?r ein  Bild vom Grafen Egmont machte, wenn  sie von
ihm erzÃ?hlten, und von allen Grafen und FÃ?rsten - und wie mir's jetzt ist!
     (Brackenburg kommt.)
     Klare. Wie steht's?
     Brackenburg. Man weiÃ? nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er  mÃchte sich  hieher
verbreiten. Das SchloÃ? ist stark besetzt, die BÃ?rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in  den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
     Klare.  Sieht  man Euch  morgen? Ich will mich ein  wenig anziehen. Der
Vetter  kommt,  und  ich  sehe  gar  zu  liederlich  aus.  Helft  mir  einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
     Mutter. Lebt wohl.
     Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
     Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter  und Tochter
ab.)
     Brackenburg  (allein).  Ich   hatte   mir  vorgenommen,  gerade  wieder
fortzugehn; und da sie es dafÃ?r aufnimmt und mich gehen lÃ?Ã?t, mÃcht' ich
rasend werden. - UnglÃ?cklicher! und dich rÃ?hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende  Tumult nicht? - und  gleich  ist  dir  Landsmann  oder
Spanier, und wer regiert und wer  recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: Â'Brutus' Rede fÃ?r
die Freiheit, zur Ã?bung der RedekunstÂ', da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor  sagte: Â'Wenn's nur ordentlicher wÃ?re,  nur nicht  alles so
Ã?bereinander gestolpert.Â'  - Damals  kocht' es und  trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des MÃ?dchens  so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann  sie mich doch nicht  lieben!  - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lÃ?nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr  sagte?
daÃ? sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlÃ?Ã?t,  da sie mich zÃ?chtig
immer vor  Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es  ist eine
LÃ?ge, eine schÃ?ndliche verleumderische LÃ?ge! KlÃ?rchen ist so unschuldig,
als  ich  unglÃ?cklich bin.  - Sie hat mich verworfen,  hat mich  von  ihrem
Herzen gestoÃ?en - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
-  - Schon  wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger  bewegt, und  ich
sterbe unter  dem GetÃ?mmel  nur ab! Ich duld es  nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchuÃ? fÃ?llt, mir fÃ?hrt's durch  Mark und Bein! Ach,  es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch  mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender,  schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stÃ?rzt' ich mich ins  Wasser, ich sank - aber die geÃ?ngstete Natur
war stÃ?rker; ich fÃ?hlte, daÃ? ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - -  KÃnnt' ich der Zeiten vergessen, da sie  mich  liebte, mich  zu
lieben  schien!  -  Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das GlÃ?ck?
Warum haben  mir  diese Hoffnungen allen GenuÃ? des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir  ein  Paradies von  weitem zeigten? -  Und  jener erste KuÃ?!  Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer  gut  und  freundlich  gegen mich gewesen -  da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an -  alle Sinnen gingen  mir  um, und  ich fÃ?hlte
ihre Lippen auf den meinigen.  - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein FlÃ?schchen aus der Tasche.) Ich will dich  nicht  umsonst
aus  meines  Bruders DoktorkÃ?stchen  gestohlen  haben,  heilsames  Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiÃ?e  auf  einmal
verschlingen und lÃsen.
     Zweiter Aufzug
     Platz in BrÃ?ssel
     Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
     Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor  acht Tagen  auf  der
Zunft sagt' ich, es wÃ?rde schwere HÃ?ndel geben.
     Jetter. Ist's denn wahr, daÃ?  sie die Kirchen  in Flandern geplÃ?ndert
haben?
     Zimmermeister.  Ganz und  gar zugrunde gerichtet haben  sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten WÃ?nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hÃ?tten eher, in
der Ordnung und  standhaft, unsere Gerechtsame  der  Regentin  vortragen und
drauf halten sollen.  Reden wir jetzt, versammeln  wir uns jetzt,  so heiÃ?t
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
     Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hÃ?ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
     Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lÃ?rmen
anfÃ?ngt, unter dem  Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande,  worauf  wir uns  auch  berufen mÃ?ssen, und bringen das  Land  in
UnglÃ?ck.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest.  Guten Tag,  ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr,  daÃ?  die
BilderstÃ?rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
     Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrÃ?hren.
     Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin,  so eine  wackre kluge Frau sie  bleibt, diesmal  ist sie
auÃ?er Fassung. Es muÃ? sehr arg sein, daÃ? sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flÃ?chten.
     Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre  Gegenwart  beschÃ?tzt  uns,
und wir wollen ihr mehr  verschaffen als ihre  StutzbÃ?rte. Und wenn sie uns
unsere  Rechte  und  Freiheiten aufrechterhÃ?lt,  so wollen wir sie  auf den
HÃ?nden tragen.
     (Seifensieder tritt dazu.)
     Seifensieder. Garstige HÃ?ndel! Ã?ble HÃ?ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - HÃ?tet euch, daÃ? ihr stille  bleibt, daÃ? man euch nicht auch
fÃ?r Aufwiegler hÃ?lt.
     Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
     Seifensieder.  Ich  weiÃ?,  da  sind  viele,  die es  heimlich mit  den
Calvinisten  halten,  die auf die BischÃfe  lÃ?stern, die den KÃnig  nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
     (Es gesellt sich  nach  und nach allerlei Volk zu  ihnen  und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
     Vansen. Gott grÃ?Ã?' euch Herren! Was Neues?
     Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
     Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
     Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein  Patron nach  dem andern  fortjagte, Schelmstreiche  halber,
pfuscht   er  jetzt  Notaren  und   Advokaten   ins  Handwerk  und  ist  ein
Branntweinzapf.
     (Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
     Vansen. Ihr seid auch  versammelt, steckt  die KÃpfe zusammen. Es  ist
immer redenswert.
     Soest. Ich denk auch.
     Vansen. Wenn jetzt  einer oder der  andere Herz hÃ?tte, und einer  oder
der  andere  den Kopf dazu: wir  kÃnnten die spanischen Ketten  auf  einmal
sprengen.
     Soest.  Herre!  So  mÃ?Ã?t  Ihr  nicht  reden.  Wir  haben  dem  KÃnig
geschworen.
     Vansen. Und der KÃnig uns. Merkt das.
     Jetter. Das lÃ?Ã?t sich hÃren! Sagt Eure Meinung.
     Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
     Vansen. Ich hatte  einen alten Patron, der besaÃ? Pergamente und Briefe
von  uralten Stiftungen,  Kontrakten und Gerechtigkeiten;  er  hielt auf die
rarsten  BÃ?cher.   In   einem  stand  unsere  ganze  Verfassung:   wie  uns
NiederlÃ?nder zuerst einzelne FÃ?rsten  regierten, alles nach  hergebrachten
Rechten,  Privilegien und  Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren  alle Ehrfurcht
fÃ?r ihren FÃ?rsten  gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich  gleich vorsahen,  wenn er Ã?ber die Schnur hauen  wollte.  Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz,  so  klein sie  war, hatte ihre
Staaten, ihre LandstÃ?nde.
     Zimmermeister.  Haltet Euer  Maul!  das  weiÃ?  man  lange!  Ein  jeder
rechtschaffene  BÃ?rger  ist,  so   viel  er  braucht,  von  der  Verfassung
unterrichtet.
     Jetter. LaÃ?t ihn reden; man erfÃ?hrt immer etwas mehr.
     Soests. Er hat ganz recht.
     Mehrere. ErzÃ?hlt! erzÃ?hlt! So was hÃrt man nicht alle Tage.
     Vansen. So seid ihr BÃ?rgersleute! Ihr  lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr  euer Gewerb' von euern  Eltern  Ã?berkommen habt, so laÃ?t ihr auch
das Regiment Ã?ber euch  schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem  Recht eines Regenten;
und  Ã?ber das VersÃ?umnis haben  euch  die Spanier das Netz Ã?ber die Ohren
gezogen.
     Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tÃ?gliche Brot hat.
     Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
     Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der KÃnig in Spanien, der die Provinzen
durch  gut GlÃ?ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen FÃ?rsten, die sie ehemals einzeln  besaÃ?en. Begreift
ihr das?
     Jetter. ErklÃ?rt's uns.
     Vansen. Es  ist so  klar  als die Sonne. MÃ?Ã?t  ihr  nicht  nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kÃ?me das?
     Ein BÃ?rger. Wahrlich!
     Vansen. Hat der BrÃ?sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kÃ?me denn das?
     Anderer BÃ?rger. Bei Gott!
     Vansen. Aber,  wenn  ihr's so  fortlaufen laÃ?t, wird man's  euch  bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der  KÃ?hne, Friedrich der  Krieger,  Karl der
FÃ?nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
     Soests. Ja, ja! Die alten FÃ?rsten haben's auch schon probiert.
     Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paÃ?ten  auf. Wie  sie einem Herrn
gram wurden, fingen  sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und  gaben  ihn  nur auf  die  besten Bedingungen heraus. Unsere VÃ?ter
waren Leute! Die wuÃ?ten, was ihnen  nÃ?tz  war! Die wuÃ?ten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte MÃ?nner! DafÃ?r  sind  aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
     Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
     Das Volk. Von unsern Freiheiten,  von unsern Privilegien! ErzÃ?hlt noch
was von unsern Privilegien.
     Vansen. Wir  Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
     Soests. Sagt an.
     Jetter. LaÃ?t hÃren.
     Ein BÃ?rger. Ich bitt Euch.
     Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
     Soests. Gut! Steht das so?
     Jetter. Getreu? Ist das wahr?
     Vansen.  Wie  ich euch  sage.  Er  ist  uns verpflichtet, wie  wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder  eignen  Willen an uns  beweisen,  merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
     Jetter. SchÃn! SchÃn! nicht beweisen.
     Soests. Nicht merken lassen.
     Ein anderer.  Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der  Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
     Vansen. Mit ausdrÃ?cklichen Worten.
     Jetter. Schafft uns das Buch.
     Ein BÃ?rger. Ja, wir mÃ?ssen's haben.
     Andere. Das Buch! das Buch!
     Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
     Ein anderer. Ihr sollt das Wort fÃ?hren, Herr Doktor.
     Seifensieder. O die TrÃpfe!
     Andere. Noch etwas aus dem Buche!
     Seifensieder. Ich schlage ihm die ZÃ?hne in den Hals, wenn er  noch ein
Wort sagt.
     Das Volk. Wir  wollen sehen, wer  ihm  etwas  tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
     Vansen.  Mancherlei,  und  sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den  geistlichen Stand  nicht  verbessern oder  mehren,  ohne
Verwilligung des Adels und der StÃ?nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verÃ?ndern.
     Soest. Ist das so?
     Vansen.  Ich  will's  euch  geschrieben zeigen, von zwei-,  dreihundert
Jahren her.
     BÃ?rger.  Und  wir  leiden  die  neuen  BischÃfe?  Der Adel  muÃ?  uns
schÃ?tzen, wir fangen HÃ?ndel an!
     Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
     Vansen. Das ist eure Schuld.
     Das Volk.  Wir  haben noch  Egmont! noch Oranien! Die sorgen fÃ?r unser
Bestes!
     Vansen. Eure BrÃ?der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
     Seifensieder. Du Hund!
     (Er schlÃ?gt ihn.)
     Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
     Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
     Ein anderer. Den Gelahrten?
     (Sie fallen den Seifensieder an.)
     Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
     (Andere mischen sich in den Streit.)
     Zimmermeister. BÃ?rger, was soll das?
     (Buben pfeifen, werfen mit Steinen,  hetzen Hunde an, BÃ?rger stehn und
gaffen,  Volk lÃ?uft zu,  andere  gehn  gelassen auf und ab, andere  treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
     Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
     (Egmont tritt auf mit Begleitung.)
     Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
     Zimmermeister.  GnÃ?diger Herr,  Ihr kommt wie ein  Engel des  Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
     Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? BÃ?rger gegen BÃ?rger! HÃ?lt sogar
die NÃ?he unsrer kÃniglichen Regentin diesen  Unsinn  nicht  zurÃ?ck?  Geht
auseinander, geht  an euer Gewerbe.  Es ist ein  Ã?bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
     (Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
     Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
     Egmont. Die sie noch mutwillig zertrÃ?mmern werden - Und wer seid  Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
     Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
     Egmont. Eures Zeichens?
     Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
     Egmont. Und Ihr?
     Soest. KrÃ?mer.
     Egmont. Ihr?
     Jetter. Schneider.
     Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fÃ?r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
     Jetter. Gnade, daÃ? Ihr Euch dessen erinnert.
     Egmont.  Ich  vergesse  niemanden  leicht,  den  ich einmal gesehen und
gesprochen  habe. - Was  an euch ist, Ruhe zu erhalten,  Leute, das tut; ihr
seid Ã?bel genug angeschrieben.  Reizt den KÃnig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die  Gewalt in HÃ?nden. Ein ordentlicher BÃ?rger, der  sich ehrlich und
fleiÃ?ig nÃ?hrt, hat Ã?berall so viel Freiheit, als er braucht.
     Zimmermeister.  Ach  wohl! das ist eben  unsre  Not! Die Tagdiebe,  die
SÃffer,  die  Faulenzer,  mit  Euer   Gnaden  Verlaub,  die  stÃ?nkern  aus
Langerweile  und  scharren  aus  Hunger  nach  Privilegien  und  lÃ?gen  den
Neugierigen und LeichtglÃ?ubigen was  vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen,  fangen sie  HÃ?ndel  an, die  viel tausend  Menschen  unglÃ?cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre HÃ?user und Kasten zu gut
verwahrt; da mÃchten sie gern uns mit FeuerbrÃ?nden davontreiben.
     Egmont. Allen Beistand  sollt ihr finden; es sind MaÃ?regeln  genommen,
dem Ã?bel krÃ?ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht,  durch  Aufruhr  befestige man Privilegien.  Bleibt zu  Hause; leidet
nicht, daÃ? sie  sich auf  den  StraÃ?en rotten. VernÃ?nftige  Leute kÃnnen
viel tun.
     (Indessen hat sich der grÃÃ?te Haufe verlaufen.)
     Zimmermeister. Danken  Euer Exzellenz,  danken fÃ?r  die gute  Meinung!
Alles,  was  an  uns  liegt.  (Egmont ab.)  Ein  gnÃ?diger  Herr! der  echte
NiederlÃ?nder! Gar so nichts Spanisches.
     Jetter. HÃ?tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
     Soest. Das lÃ?Ã?t  der KÃnig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
     Jetter.  Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
     Zimmermeister. Ein schÃner Herr!
     Jetter. Sein Hals wÃ?r' ein rechtes Fressen fÃ?r einen Scharfrichter.
     Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
     Jetter. Dumm genug, daÃ? einem so etwas einfÃ?llt. - Es ist mir nun so.
Wenn  ich einen  schÃnen langen Hals  sehe,  muÃ?  ich gleich wider  Willen
denken: der ist  gut  kÃpfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne.  Wenn die Bursche  schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich  fallen  sie mir zu  Dutzenden  ein, die  ich habe  mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst,  mein  ich,  den  sÃ?h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde  froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpaÃ? hab ich bald
vergessen;  die  fÃ?rchterlichen  Gestalten  sind  mir  wie  vor die  Stirne
gebrannt.
     Egmonts Wohnung
     SekretÃ?r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
     SekretÃ?r. Er kommt immer nicht! und  ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,.  die Papiere vor mir; und eben heute mÃcht' ich gern so
zeitig  fort.  Es brennt  mir unter den Sohlen. Ich  kann vor  Ungeduld kaum
bleiben. Â'Sei auf die Stunde daÂ',  befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er  nicht. Es  ist so viel zu  tun,  ich  werde vor  Mitternacht nicht
fertig. Freilich  sieht er einem  auch einmal durch die Finger.  Doch hielt'
ich's  besser,  wenn  er  strenge  wÃ?re  und  lieÃ?e einen auch  wieder zur
bestimmten  Zeit. Man kÃnnte sich einrichten. Von der  Regentin ist er  nun
schon zwei Stunden weg; wer weiÃ?, wen er unterwegs angefaÃ?t hat.
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont. Wie sieht's aus?
     SekretÃ?r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
     Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieÃ?lich
Gesicht.
     SekretÃ?r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich  schon lange. Hier  sind
die Papiere!
     Egmont. Donna Elvira wird bÃse auf  mich werden, wenn sie  hÃrt, daÃ?
ich dich abgehalten habe.
     SekretÃ?r. Ihr scherzt.
     Egmont.  Nein,  nein.  SchÃ?me  dich  nicht.  Du   zeigst  einen  guten
Geschmack. Sie  ist hÃ?bsch; und es  ist  mir ganz  recht,  daÃ? du  auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
     SekretÃ?r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
     Egmont.  Da ist gut, daÃ? wir die  Freude zu Hause haben  und sie nicht
von auswÃ?rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
     SekretÃ?r. Genug, und drei Boten warten.
     Egmont. Sag an! das NÃtigste!
     SekretÃ?r. Es ist alles nÃtig.
     Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
     SekretÃ?r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
     Egmont.  Er  schreibt  wohl  noch  von  einzelnen  Ungezogenheiten  und
TollkÃ?hnheiten?
     SekretÃ?r. Ja! Es kommt noch manches vor.
     Egmont. Verschone mich damit.
     SekretÃ?r. Noch  sechs  sind  eingezogen  worden,  die bei  Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hÃ?ngen lassen?
     Egmont. Ich bin des HÃ?ngens  mÃ?de. Man  soll  sie durchpeitschen, und
sie mÃgen gehen.
     SekretÃ?r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
     Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
     SekretÃ?r. Brink  von  Bredas  Kompanie  will  heiraten.  Der Hauptmann
hofft,  Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt  er,  daÃ?, wenn wir  ausziehen, es keinem Soldatenmarsch,  sondern
einem Zigeunergeschleppe Ã?hnlich sehen wird.
     Egmont. Dem mag's noch hingehen!  Es ist  ein schÃner junger Kerl;  er
bat mich  noch gar  dringend,  eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem  mehr
gestattet sein,  so leid mir's tut, den armen Teufeln,  die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpaÃ? zu versagen.
     SekretÃ?r. Zwei von  Euern Leuten, Seter und Hart, haben  einem MÃ?del,
einer  Wirtstochter,  Ã?bel mitgespielt. Sie kriegten  sie allein,  und  die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
     Egmont. Wenn  es  ein  ehrlich  MÃ?dchen  ist,  und  sie  haben  Gewalt
gebraucht,  so  soll  er sie drei Tage  hintereinander mit  Ruten  streichen
lassen, und wenn  sie etwas besitzen, soll er so  viel davon einziehen, daÃ?
dem MÃ?dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
     SekretÃ?r. Einer  von den  fremden  Lehrern ist heimlich durch  Comines
gegangen  und  entdeckt  worden.  Er  schwÃrt,  er  sei  im  Begriff,  nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
     Egmont. Sie sollen ihn in der  Stille  an  die Grenze  bringen  und ihm
versichern, daÃ? er das zweitemal nicht so wegkommt.
     SekretÃ?r. Ein  Brief von Euerm  Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kÃnne  auf die Woche die verlangte Summe  schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grÃÃ?te Konfusion gebracht.
     Egmont. Das Geld muÃ? herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
     SekretÃ?r. Er  sagt, er werde  sein mÃglichstes tun  und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
     Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
     SekretÃ?r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
     Egmont. So gebe man  ihm noch vierzehn Tage; und dann mag  er gegen ihn
verfahren.
     SekretÃ?r. Ihr tut wohl. Es ist nicht UnvermÃgen; es ist bÃser Wille.
Er macht  gewiÃ?  Ernst, wenn  er sieht, Ihr spaÃ?t nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr  Gnadengehalte gebt, die GebÃ?hr einen halben Monat  zurÃ?ckhalten;  man
kÃnne indessen Rat schaffen; sie mÃchten sich einrichten.
     Egmont. Was  ist da einzurichten? Die Leute brauchen  das Geld nÃtiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
     SekretÃ?r. Woher befehlt Ihr denn, daÃ? er das Geld nehmen soll?
     Egmont.  Darauf  mag  er  denken; es  ist  ihm im vorigen Briefe  schon
gesagt.
     SekretÃ?r. Deswegen tut er die VorschlÃ?ge.
     Egmont.  Die  taugen nicht,  er  soll auf was  anders  sinnen. Er  soll
VorschlÃ?ge  tun,  die  annehmlich  sind, und  vor  allem soll er  das  Geld
schaffen.
     SekretÃ?r.  Ich  habe den Brief  des Grafen  Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daÃ? ich Euch daran  erinnere.  Der alte  Herr verdient vor  allen
andern eine ausfÃ?hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewiÃ?,
er liebt Euch wie ein Vater.
     Egmont. Ich  komme nicht dazu. Und unter vielem  VerhaÃ?ten ist mir das
Schreiben das VerhaÃ?teste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib  in
meinem  Namen.  Ich erwarte  Oranien. Ich  komme  nicht dazu; und  wÃ?nschte
selbst,  daÃ?  ihm   auf  seine  Bedenklichkeiten  was   recht  Beruhigendes
geschrieben wÃ?rde.
     SekretÃ?r.  Sagt mir nur ungefÃ?hr Eure Meinung;  ich  will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daÃ? sie
vor Gericht fÃ?r Eure Hand gelten kann.
     Egmont.  Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner  Jugend auch  wohl so bedÃ?chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrÃ?t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will  mein Leben und mein GlÃ?ck und  fÃ?hlt nicht,
daÃ? der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er  mÃge unbesorgt sein;  ich handle, wie  ich soll,  ich  werde mich schon
wahren:  sein Ansehn bei Hofe  soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiÃ? sein.
     SekretÃ?r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
     Egmont. Was soll  ich mehr  sagen?  Willst  du mehr  Worte  machen,  so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DaÃ?  ich frÃhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe,  das ist mein GlÃ?ck; und  ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines TotengewÃlbes. Ich habe  nun zu der spanischen  Lebensart nicht einen
Blutstropfen  in  meinen  Adern;  nicht Lust,  meine Schritte nach der neuen
bedÃ?chtigen Hofkadenz  zu mustern.  Leb ich  nur, um aufs Leben  zu denken?
Soll  ich  den gegenwÃ?rtigen  Augenblick  nicht  genieÃ?en, damit  ich  des
folgenden gewiÃ? sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
     SekretÃ?r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja  sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefÃ?llig
Wort, das den edeln Freund  beruhige. Seht, wie sorgfÃ?ltig er ist, wie leis
er Euch berÃ?hrt.
     Egmont. Und doch berÃ?hrt  er  immer diese  Saite. Er  weiÃ? von alters
her,  wie  verhaÃ?t mir  diese Ermahnungen sind; sie  machen  nur irre,  sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wÃ?re und auf dem gefÃ?hrlichen
Gipfel  eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich,  mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tÃten? LaÃ?t jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
     SekretÃ?r. Es  ziemt Euch, nicht  zu  sorgen, aber  wer Euch  kennt und
liebt -
     Egmont  (in den  Brief sehend). Da bringt er wieder  die alten MÃ?rchen
auf, was  wir an einem Abend in leichtem  Ã?bermut der  Geselligkeit und des
Weins  getrieben und gesprochen; und was man  daraus fÃ?r Folgen und Beweise
durchs ganze KÃnigreich  gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir  haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf  unsrer  Diener  Ã'rmel sticken lassen, und
haben  diese tolle Zierde nachher in ein BÃ?ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefÃ?hrlicher Symbol fÃ?r alle, die deuten wollen,  wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daÃ?  eine ganze edle Schar mit BettelsÃ?cken  und
mit einem selbstgewÃ?hlten Unnamen dem  KÃnige seine Pflicht mit spottender
Demut ins GedÃ?chtnis  rief;  sind schuld  -  was ist's nun  weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich  Hochverrat? Sind  uns die  kurzen, bunten Lumpen  zu
miÃ?gÃnnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme BlÃÃ?e hÃ?ngen mag? Wenn ihr das  Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was  ist denn dran? Wenn  uns der Morgen  nicht  zu neuen  Freuden weckt, am
Abend  uns  keine Lust  zu hoffen  Ã?brigbleibt:  ist's  wohl  des  An-  und
Ausziehens  wert? Scheint mir  die Sonne  heut,  um  das zu  Ã?berlegen, was
gestern war? und um zu  raten,  zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist,  das  Schicksal  eines  kommenden  Tages? Schenke  mir  diese
Betrachtungen;  wir wollen  sie  SchÃ?lern  und HÃflingen Ã?berlassen.  Die
mÃgen sinnen  und  aussinnen, wandeln und schleichen,  gelangen, wohin  sie
kÃnnen, erschleichen, was sie kÃnnen. -  Kannst du von allem  diesem etwas
brauchen, daÃ? deine  Epistel kein Buch wird, so ist mir's  recht. Dem guten
Alten scheint  alles  viel zu wichtig. So drÃ?ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stÃ?rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
     SekretÃ?r. Verzeiht  mir, es wird dem FuÃ?gÃ?nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
     Egmont.  Kind!  Kind!  nicht  weiter!  Wie  von  unsichtbaren  Geistern
gepeitscht, gehen  die Sonnenpferde  der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen  durch;  und  uns  bleibt  nichts,  als,  mutig  gefaÃ?t,  die  ZÃ?gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze  da, die
RÃ?der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiÃ? es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
     SekretÃ?r. Herr! Herr!
     Egmont.  Ich  stehe  hoch  und  kann und  muÃ? noch hÃher steigen; ich
fÃ?hle mir Hoffnung, Mut  und  Kraft.  Noch hab ich  meines Wachstums Gipfel
nicht  erreicht;  und steh  ich  droben  einst,  so  will  ich  fest,  nicht
Ã?ngstlich stehn. Soll ich fallen, so  mag ein Donnerschlag,  ein Sturmwind,
ja ein selbst  verfehlter  Schritt mich abwÃ?rts in  die  Tiefe stÃ?rzen; da
lieg ich  mit viel Tausenden.  Ich habe nie  verschmÃ?ht, mit  meinen  guten
Kriegsgesellen um  kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
     SekretÃ?r.  O Herr! Ihr wiÃ?t  nicht, was fÃ?r  Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
     Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nÃtigsten  ist, daÃ? die Boten fortkommen, eh die Tore  geschlossen werden.
Das  andere  hat  Zeit. Den Brief an  den Grafen laÃ?  bis morgen; versÃ?ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grÃ?Ã?e sie von mir. -  Horche, wie sich die
Regentin  befindet;  sie soll nicht  wohl sein,  ob  sie's gleich  verbirgt.
(SekretÃ?r ab.)
     (Oranien kommt.)
     Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
     Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
     Egmont.   Ich   fand   in    ihrer   Art,   uns   aufzunehmen,   nichts
AuÃ?erordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
     Oranien. Merktet Ihr nicht, daÃ? sie zurÃ?ckhaltender war?  Erst wollte
sie  unser  Betragen bei  dem  neuen  Aufruhr des PÃbels gelassen billigen;
nachher  merkte sie  an, was sich doch  auch fÃ?r  ein falsches Licht darauf
werfen lasse;  wich dann  mit dem  GesprÃ?che zu ihrem  alten  gewÃhnlichen
Diskurs:  daÃ?  man  ihre liebevolle  gute  Art,  ihre  Freundschaft zu  uns
NiederlÃ?ndern, nie  genug erkannt, zu  leicht behandelt  habe, daÃ?  nichts
einen erwÃ?nschten Ausgang nehmen wolle, daÃ? sie am Ende wohl mÃ?de werden,
der  KÃnig sich  zu  andern MaÃ?regeln entschlieÃ?en  mÃ?sse. Habt Ihr  das
gehÃrt?
     Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist  ein
Weib, guter  Oranien, und die mÃchten immer gern, daÃ? sich alles unter ihr
sanftes Joch  gelassen schmiegte, daÃ? jeder Herkules die LÃwenhaut ablegte
und  ihren Kunkelhof vermehrte;  daÃ?, weil sie friedlich gesinnt  sind, die
GÃ?rung,  die  ein  Volk  ergreift, der  Sturm,  den  mÃ?chtige  Nebenbuhler
gegeneinander erregen,  sich  durch  ein freundlich Wort beilegen lieÃ?e und
die  widrigsten  Elemente  sich  zu  ihren  FÃ?Ã?en   in  sanfter  Eintracht
vereinigten. Das ist  ihr Fall;  und da sie es  dahin nicht bringen kann, so
hat  sie  keinen  Weg,  als  launisch zu werden,  sich Ã?ber  Undankbarkeit,
Unweisheit zu  beklagen,  mit  schrecklichen Aussichten  in  die Zukunft  zu
drohen, und zu drohen - daÃ? sie fortgehn will.
     Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daÃ? sie ihre Drohung erfÃ?llt?
     Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie  schon reisefertig gesehn!  Wo
will  sie  denn  hin? Hier Statthalterin, KÃnigin; glaubst du, daÃ? sie  es
unterhalten wird, am Hofe ihres  Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach  Italien   zu  gehen   und   sich   in   alten   FamilienverhÃ?ltnissen
herumzuschleppen?
     Oranien. Man hÃ?lt sie dieser EntschlieÃ?ung nicht fÃ?hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr  sie habt zurÃ?cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue UmstÃ?nde treiben sie zu  dem  lang verzÃgerten EntschluÃ?.  Wenn
sie ginge? und der KÃnig schickte einen andern?
     Egmont. Nun, der wÃ?rde kommen, und wÃ?rde eben auch zu tun finden. Mit
groÃ?en  Planen,  Projekten und  Gedanken  wÃ?rde  er kommen,  wie  er alles
zurechtrÃ?cken,  unterwerfen und  zusammenhalten wolle;  und wÃ?rde heut mit
dieser  Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun  haben, Ã?bermorgen jene
Hindernis  finden,  einen  Monat mit  EntwÃ?rfen, einen andern  mit VerdruÃ?
Ã?ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen Ã?ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die  Zeit vergehn, der  Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daÃ? er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu  durchsegeln, Gott danken mag,  wenn er sein Schiff  in
diesem Sturme vom Felsen hÃ?lt.
     Oranien. Wenn man nun aber dem KÃnig zu einem Versuch riete?
     Egmont. Der wÃ?re?
     Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
     Egmont. Wie?
     Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere VerhÃ?ltnisse am
Herzen,  ich stehe immer wie Ã?ber einem Schachspiele und halte  keinen  Zug
des Gegners fÃ?r unbedeutend; und  wie  mÃ?Ã?ige Menschen mit  der grÃÃ?ten
Sorgfalt  sich um die Geheimnisse  der Natur bekÃ?mmern, so halt ich es fÃ?r
Pflicht,  fÃ?r Beruf eines  FÃ?rsten, die Gesinnungen, die RatschlÃ?ge aller
Parteien  zu kennen. Ich  habe Ursach', einen  Ausbruch zu befÃ?rchten.  Der
KÃnig  hat  lange nach  gewissen GrundsÃ?tzen gehandelt;  er sieht, daÃ? er
damit nicht auskommt; was  ist wahrscheinlicher, als daÃ? er  es  auf  einem
andern Wege versucht?
     Egmont.  Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muÃ?  man  es  endlich  wohl
genug haben.
     Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
     Egmont. Nun?
     Oranien. Das Volk zu schonen und die FÃ?rsten zu verderben.
     Egmont.  Wie  viele  haben das  schon lange gefÃ?rchtet!  Es  ist keine
Sorge.
     Oranien. Sonst war's  Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewiÃ?heit geworden.
     Egmont. Und hat der KÃnig treuere Diener als uns?
     Oranien. Wir dienen ihm auf  unsere Art; und unter einander kÃnnen wir
gestehen,  daÃ? wir  des KÃnigs  Rechte  und  die  unsrigen wohl abzuwÃ?gen
wissen.
     Egmont. Wer tut's  nicht?  Wir sind ihm  untertan und gewÃ?rtig in dem,
was ihm zukommt.
     Oranien.  Wenn  er sich nun  aber  mehr  zuschriebe  und  Treulosigkeit
nennte, was wir heiÃ?en: auf unsre Rechte halten?
     Egmont.  Wir werden  uns verteidigen  kÃnnen. Er  rufe die  Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
     Oranien. Und was wÃ?re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
     Egmont.  Eine  Ungerechtigkeit, der sich Philipp  nie  schuldig  machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen RÃ?ten nicht zutraue.
     Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tÃricht wÃ?ren?
     Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mÃglich. Wer sollte wagen, Hand an
uns  zu  legen? - Uns  gefangenzunehmen, wÃ?r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen.  Nein,  sie  wagen nicht,  das  Panier  der  Tyrannei  so  hoch
aufzustecken.  Der  Windhauch,  der  diese  Nachricht Ã?bers  Land brÃ?chte,
wÃ?rde  ein  ungeheures Feuer  zusammentreiben.  Und  wohinaus  wollten sie?
Richten  und  verdammen  kann nicht  der  KÃnig  allein;  und  wollten  sie
meuchelmÃrderisch  an  unser  Leben?   -  Sie  kÃnnen  nicht  wollen.  Ein
schrecklicher Bund wÃ?rde in einem Augenblick das Volk vereinigen.  HaÃ? und
ewige Trennung vom spanischen Namen wÃ?rde sich gewaltsam erklÃ?ren.
     Oranien.  Die  Flamme wÃ?tete  dann Ã?ber  unserm  Grabe, und das  Blut
unsrer Feinde flÃsse zum leeren SÃ?hnopfer. LaÃ? uns denken, Egmont.
     Egmont. Wie sollten sie aber?
     Oranien. Alba ist unterwegs.
     Egmont. Ich glaub's nicht.
     Oranien. Ich weiÃ? es.
     Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
     Oranien. Um  desto mehr bin ich Ã?berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
     Egmont.  Aufs neue  die Provinzen zu belÃ?stigen? Das Volk wird hÃchst
schwierig werden.
     Oranien. Man wird sich der HÃ?upter versichern.
     Egmont. Nein! Nein!
     Oranien.  LaÃ?  uns gehen, jeder  in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstÃ?rken; mit offner Gewalt fÃ?ngt er nicht an.
     Egmont. MÃ?ssen wir ihn nicht begrÃ?Ã?en, wenn er kommt?
     Oranien. Wir zÃgern.
     Egmont. Und  wenn  er  uns  im Namen  des  KÃnigs bei  seiner  Ankunft
fordert?
     Oranien. Suchen wir AusflÃ?chte.
     Egmont. Und wenn er dringt?
     Oranien. Entschuldigen wir uns.
     Egmont. Und wenn er drauf besteht?
     Oranien. Kommen wir um so weniger.
     Egmont. Und der Krieg ist erklÃ?rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laÃ? dich nicht durch Klugheit verfÃ?hren; ich weiÃ?, daÃ? Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
     Oranien. Ich hab ihn bedacht.
     Egmont.  Bedenke,  wenn du dich  irrst,  woran du schuld  bist; an  dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwÃ?stet hat. Dein Weigern ist das
Signal,  das  die  Provinzen  mit  einmal  zu  den  Waffen  ruft,  das  jede
Grausamkeit rechtfertigt,  wozu Spanien  von  jeher  nur  gern  den  Vorwand
gehascht hat.  Was wir  lange mÃ?hselig  gestillt haben, wirst du  mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk  an  die  StÃ?dte,  die
Edeln, das Volk, an  die Handlung, den Feldbau,  die Gewerbe! und  denke die
VerwÃ?stung,  den Mord! -  Ruhig sieht  der  Soldat  wohl  im  Felde  seinen
Kameraden  neben  sich  hinfallen; aber  den  FluÃ? herunter werden dir  die
Leichen  der BÃ?rger, der Kinder, der  Jungfrauen entgegenschwimmen, daÃ? du
mit Entsetzen  dastehst und nicht mehr weiÃ?t, wessen Sache du  verteidigst,
da die zugrunde gehen, fÃ?r deren Freiheit du die Waffen  ergriffst. Und wie
wird  dir's sein, wenn  du  dir still sagen  muÃ?t:  Â'FÃ?r meine Sicherheit
ergriff ich sie.Â'
     Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es  sich,  uns
fÃ?r  Tausende hinzugeben,  so  ziemt es sich auch,  uns  fÃ?r  Tausende  zu
schonen.
     Egmont. Wer sich schont, muÃ? sich selbst verdÃ?chtig werden.
     Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rÃ?ckwÃ?rts gehen.
     Egmont. Das Ã?bel, das du fÃ?rchtest, wird gewiÃ? durch deine Tat.
     Oranien.   Es   ist   klug   und  kÃ?hn,  dem   unvermeidlichen   Ã?bel
entgegenzugehn.
     Egmont.  Bei  so  groÃ?er  Gefahr  kommt  die  leichteste  Hoffnung  in
Anschlag.
     Oranien.  Wir haben nicht fÃ?r den leisesten FuÃ?tritt Platz mehr;  der
Abgrund liegt hart vor uns.
     Egmont. Ist des KÃnigs Gunst ein so schmaler Grund?
     Oranien. So schmal nicht, aber schlÃ?pfrig.
     Egmont. Bei Gott! man  tut ihm  Unrecht. Ich mag nicht leiden, daÃ? man
unwÃ?rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fÃ?hig.
     Oranien. Die KÃnige tun nichts Niedriges.
     Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
     Oranien.  Eben diese Kenntnis  rÃ?t uns, eine gefÃ?hrliche  Probe nicht
abzuwarten.
     Egmont. Keine Probe ist gefÃ?hrlich, zu der man Mut hat.
     Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
     Egmont. Ich muÃ? mit meinen Augen sehen.
     Oranien. O sÃ?hst du diesmal nur mit den  meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du  Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei  dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern.  Vielleicht daÃ? der
Drache  nichts  zu  fangen  glaubt,  wenn  er uns  nicht  beide  auf  einmal
verschlingt.   Vielleicht   zÃgert  er,   um   seinen   Anschlag   sicherer
auszufÃ?hren;  und  vielleicht  siehest  du indes die Sache  in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell!  Rette! rette dich! - Leb  wohl! - LaÃ?
deiner Aufmerksamkeit nichts  entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fÃ?r Macht die Regentin behÃ?lt, wie deine Freunde
gefaÃ?t sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
     Egmont. Was willst du?
     Oranien (ihn bei der Hand fassend). LaÃ? dich Ã?berreden! Geh mit!
     Egmont. Wie? TrÃ?nen, Oranien?
     Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mÃ?nnlich.
     Egmont. Du wÃ?hnst mich verloren?
     Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
     Egmont (allein). DaÃ? andrer Menschen Gedanken solchen EinfluÃ? auf uns
haben!  Mir  wÃ?r'  es  nie  eingekommen;   und  dieser  Mann  trÃ?gt  seine
Sorglichkeit  in mich  herÃ?ber.  - Weg!  - Das ist ein fremder  Tropfen  in
meinem  Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
     Dritter Aufzug
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma.
     Margarete. Ich hÃ?tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in MÃ?he  und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer,  man tue das MÃglichste;  und der
von weitem zusieht und  befiehlt, glaubt, er verlange nur das MÃgliche. - O
die  KÃnige!  - Ich hÃ?tte nicht  geglaubt, daÃ?  es  mich  so  verdrieÃ?en
kÃnnte. Es ist so schÃn zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiÃ? nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
     (Machiavell erscheint im Grunde.)
     Regentin. Tretet  nÃ?her,  Machiavell. Ich denke hier  Ã?ber den  Brief
meines Bruders.
     Machiavell. Ich darf wissen, was er enthÃ?lt?
     Regentin. So viel zÃ?rtliche Aufmerksamkeit fÃ?r mich als Sorgfalt fÃ?r
seine Staaten. Er  rÃ?hmt die Standhaftigkeit,  den FleiÃ?  und  die  Treue,
womit ich  bisher fÃ?r die Rechte seiner MajestÃ?t in diesen Landen  gewacht
habe. Er bedauert  mich, daÃ? mir  das unbÃ?ndige Volk  so viel zu  schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen  Ã?berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens  so auÃ?erordentlich zufrieden, daÃ? ich  fast
sagen muÃ?,  der  Brief ist fÃ?r einen  KÃnig  zu  schÃn geschrieben, fÃ?r
einen Bruder gewiÃ?.
     Machiavell.  Es  ist  nicht  das erstemal, daÃ?  er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
     Regentin. Aber das erstemal, daÃ? es rednerische Figur ist.
     Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
     Regentin.  Ihr  werdet.  - Denn er meint,  nach diesem  Eingange:  ohne
Mannschaft, ohne  eine  kleine Armee werde  ich immer hier eine Ã?ble  Figur
spielen! Wir hÃ?tten,  sagt er, unrecht getan,  auf die Klagen der Einwohner
unsre  Soldaten  aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er,  die
dem BÃ?rger auf dem Nacken lastet,  verbiete  ihm durch ihre Schwere, groÃ?e
SprÃ?nge zu machen.
     Machiavell. Es wÃ?rde die GemÃ?ter Ã?uÃ?erst aufbringen.
     Regentin.  Der  KÃnig  meint aber,  hÃrst  du?  - Er meint, daÃ?  ein
tÃ?chtiger  General, so  einer, der gar keine  RÃ?son  annimmt, gar bald mit
Volk  und Adel,  BÃ?rgern  und  Bauern fertig werden  kÃnne;  - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
     Machiavell. Alba?
     Regentin. Du wunderst dich?
     Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
     Regentin. Der KÃnig fragt nicht; er schickt.
     Machiavell. So  werdet Ihr einen  erfahrnen  Krieger  in Euren Diensten
haben.
     Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
     Machiavell. Ich mÃcht' Euch nicht vorgreifen.
     Regentin. Und ich mÃchte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder  sagte, wie er's denkt, als daÃ?
er fÃrmliche Episteln unterschreibt, die ein StaatssekretÃ?r aufsetzt.
     Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
     Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mÃchten's gern
gesÃ?ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in  der Hand kommt.  O mir ist's, als
wenn ich den KÃnig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sÃ?he.
     Machiavell. So lebhaft?
     Regentin.  Es  fehlt  kein  Zug.  Es  sind gute  Menschen  drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so  erfahren und  mÃ?Ã?ig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lÃ?Ã?t,  der gerade  Alonzo, der  fleiÃ?ige Freneda,  der
feste Las  Vargas, und  noch  einige,  die  mitgehen,  wenn  die gute Partei
mÃ?chtig wird. Da sitzt aber der hohlÃ?ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen  den  ZÃ?hnen  von  WeibergÃ?te,
unzeitigem Nachgeben  und  daÃ? Frauen  wohl  von  zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst  aber schlechte Stallmeister sind, und solche SpÃ?Ã?e,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhÃren mÃ?ssen.
     Machiavell. Ihr habt zu dem GemÃ?lde einen guten Farbentopf gewÃ?hlt.
     Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In  meiner  ganzen Schattierung, aus
der  ich  allenfalls malen kÃnnte, ist  kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie  Albas Gesichtsfarbe und  als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist  bei
ihm gleich  ein  GotteslÃ?sterer,  ein  MajestÃ?tsschÃ?nder: denn aus diesem
Kapitel  kann  man  sie  alle  sogleich rÃ?dern,  pfÃ?hlen,  vierteilen  und
verbrennen. - Das Gute, was  ich hier getan habe, sieht  gewiÃ? in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hÃ?ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist;  und es wird  dem
KÃnige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und TollkÃ?hnheit,  daÃ?  er
sich vorstellt,  sie  frÃ?Ã?en sich  hier einander auf, wenn eine  flÃ?chtig
vorÃ?bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faÃ?t er einen recht herzlichen HaÃ? auf  die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich,  ja wie Tiere  und  Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wÃ?hnt, so bÃ?ndige man Menschen.
     Machiavell. Ihr scheint mir zu  heftig, Ihr  nehmt  die  Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
     Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich  bin in
StaatsgeschÃ?ften  alt  genug  geworden,   um   zu  wissen,  wie  man  einen
verdrÃ?ngt,  ohne  ihm  seine Bestallung  zu nehmen.  -  Erst wird  er  eine
Instruktion bringen, die  wird unbestimmt  und schief sein; er  wird um sich
greifen, denn er hat  die Gewalt; und  wenn  ich mich beklage, wird  er eine
geheime  Instruktion  vorschÃ?tzen;  wenn ich sie sehen  will, wird er  mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was  anders enthÃ?lt; und wenn ich mich  da nicht  beruhige, gar nicht  mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er,  was ich fÃ?rchte, getan, und was
ich wÃ?nsche, weit abwÃ?rts gelenkt haben.
     Machiavell. Ich wollt', ich kÃnnt' Euch widersprechen.
     Regentin.  Was  ich mit  unsÃ?glicher Geduld beruhigte,  wird er  durch
HÃ?rte und  Grausamkeiten wieder aufhetzen;  ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und Ã?berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
     Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
     Regentin. So viel Gewalt hab  ich  Ã?ber mich, um stille zu  sein. LaÃ?
ihn kommen;  ich  werde  ihm mit der  besten Art Platz machen, eh'  er  mich
verdrÃ?ngt.
     Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
     Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist,  wer's
hergebracht hat, daÃ? jeden  Tag das Schicksal von Tausenden  in seiner Hand
liegt, steigt  vom Throne wie ins Grab. Aber besser  so, als einem Gespenste
gleich  unter  den  Lebenden  bleiben  und  mit  hohlem  Ansehn einen  Platz
behaupten wollen, den ihm  ein  anderer  abgeerbt hat  und  nun  besitzt und
genieÃ?t.

     KlÃ?rchens Wohnung
     KlÃ?rchen. Mutter.
     Mutter.  So  eine  Liebe  wie Brackenburgs  hab  ich  nie  gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
     KlÃ?rchen (geht in der Stube auf und ab, ein  Lied zwischen den  Lippen
summend).
     GlÃ?cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter.  Er vermutet deinen Umgang mit  Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tÃ?test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
     KlÃ?rchen (singt).
     Freudvoll
     Und leidvoll,
     Gedankenvoll sein,
     Langen
     Und bangen
     In schwebender Pein,
     Himmelhoch jauchzend,
     Zum Tode betrÃ?bt -
     GlÃ?cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter. LaÃ? das Heiopopeia.
     KlÃ?rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krÃ?ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groÃ?es Kind damit schlafen gewiegt.
     Mutter. Du hast  doch  nichts im  Kopfe als deine Liebe. VergÃ?Ã?est du
nur nicht alles Ã?ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glÃ?cklich machen.
     KlÃ?rchen. Er?
     Mutter. O ja! es kommt eine  Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus  und
Ã?berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schÃne  Liebe,  alles hat
sein  Ende;  und es  kommt eine Zeit, wo man  Gott dankt, wenn man  irgendwo
unterkriechen kann.
     KlÃ?rchen (schaudert, schweigt und fÃ?hrt auf). Mutter, laÃ?t  die Zeit
kommen  wie den Tod. Dran  vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn  wir mÃ?ssen  -  dann  - wollen wir  uns  gebÃ?rden, wie wir kÃnnen  -
Egmont,  ich  dich  entbehren! - (In TrÃ?nen.) Nein, es ist nicht  mÃglich,
nicht mÃglich.
     Egmont  (in  einem  Reitermantel,  den  Hut  ins   Gesicht  gedrÃ?ckt).
KlÃ?rchen!
     KlÃ?rchen (tut einen Schrei, fÃ?hrt zurÃ?ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und  ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, SÃ?Ã?er!
Kommst du? bist du da!
     Egmont. Guten Abend, Mutter.
     Mutter. Gott grÃ?Ã?' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daÃ? Ihr so  lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch  geredet
und gesungen.
     Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
     Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hÃ?tten.
     KlÃ?rchen.  Freilich!  Seid  nur ruhig, Mutter;  ich habe  schon  alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
     Mutter. Schmal genug.
     KlÃ?rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab  ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groÃ?en  Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
     Egmont. Meinst du?
     KlÃ?rchen (stampft mit dem FuÃ?e und kehrt sich unwillig um).
     Egmont. Wie ist dir?
     KlÃ?rchen.  Wie seid Ihr heute so kalt!  Ihr habt  mir noch keinen KuÃ?
angeboten.  Warum  habt  Ihr  die  Arme  in  den  Mantel  gewickelt wie  ein
Wochenkind? Ziemt  keinem Soldaten noch  Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
     Egmont. Zuzeiten,  Liebchen,  zuzeiten.  Wenn der  Soldat auf der Lauer
steht  und  dem  Feinde etwas ablisten mÃchte, da  nimmt er  sich zusammen,
faÃ?t  sich selbst in seine Arme und  kaut  seinen  Anschlag reif.  Und  ein
Liebhaber -
     Mutter. Wollt  Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen?  Ich
muÃ? in die KÃ?che; KlÃ?rchen denkt  an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mÃ?Ã?t
fÃ?rliebnehmen.
     Egmont. Euer guter Wille ist die beste WÃ?rze. (Mutter ab.)
     KlÃ?rchen. Und was wÃ?re denn meine Liebe?
     Egmont. So viel du willst.
     KlÃ?rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
     Egmont. ZuvÃrderst also. (Er wirft den  Mantel  ab  und steht in einem
prÃ?chtigen Kleide da.)
     KlÃ?rchen. O je!
     Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
     KlÃ?rchen.  LaÃ?t!  Ihr  verderbt  Euch.   (Sie  tritt  zurÃ?ck.)   Wie
prÃ?chtig! Da darf ich Euch nicht anrÃ?hren.
     Egmont. Bist  du  zufrieden?  Ich  versprach  dir, einmal  spanisch  zu
kommen.
     KlÃ?rchen.  Ich bat  Euch zeither  nicht  mehr  drum;  ich dachte,  Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
     Egmont. Da siehst du's nun.
     KlÃ?rchen. Das hat dir der Kaiser umgehÃ?ngt?
     Egmont. Ja,  Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trÃ?gt, die
edelsten  Freiheiten.  Ich  erkenne auf  Erden  keinen  Richter Ã?ber  meine
Handlungen als den GroÃ?meister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
     KlÃ?rchen. O du dÃ?rftest die  ganze Welt  Ã?ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich,  und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiÃ? nicht, wo man anfangen soll.
     Egmont. Sieh dich nur satt.
     KlÃ?rchen. Und  das Goldne Vlies! Ihr erzÃ?hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GroÃ?en und Kostbaren, was man mit MÃ?h und
FleiÃ? verdient und erwirbt. Es ist sehr  kostbar  - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
     Egmont. Was willst du sagen?
     KlÃ?rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
     Egmont. Wieso?
     KlÃ?rchen. Ich  habe  sie nicht mit  MÃ?h  und  FleiÃ? erworben,  nicht
verdient.
     Egmont. In  der  Liebe ist es anders. Du verdienst  sie, weil  du  dich
nicht  darum bewirbst - und die Leute  erhalten sie auch  meist  allein, die
nicht darnach jagen.
     KlÃ?rchen.  Hast du das  von  dir  abgenommen?  Hast  du  diese  stolze
Anmerkung Ã?ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
     Egmont. HÃ?tt' ich nur etwas fÃ?r sie getan! kÃnnt' ich etwas fÃ?r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
     KlÃ?rchen. Du warst gewiÃ? heute bei der Regentin?
     Egmont. Ich war bei ihr.
     KlÃ?rchen. Bist du gut mit ihr?
     Egmont.  Es  sieht einmal so  aus.  Wir sind  einander  freundlich  und
dienstlich.
     KlÃ?rchen. Und im Herzen?
     Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat  seine eignen  Absichten. Das  tut
nichts zur Sache. Sie ist eine  treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sÃ?he
tief genug, wenn sie  auch  nicht argwÃhnisch wÃ?re. Ich  mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse  sucht,  und ich
keine habe.
     KlÃ?rchen. So gar keine?
     Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den  FÃ?ssern  an   mit  der  Zeit.  Oranien  ist  doch  noch  eine  bessere
Unterhaltung fÃ?r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daÃ? er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht  sie immer nach
seiner  Stirne, was  er  wohl denken, auf seine Schritte, wohin  er sie wohl
richten mÃchte.
     KlÃ?rchen. Verstellt sie sich?
     Egmont. Regentin, und du fragst?
     KlÃ?rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
     Egmont.  Nicht mehr und nicht  weniger als  jeder, der  seine Absichten
erreichen will.
     KlÃ?rchen. Ich kÃnnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mÃ?nnlichen Geist,  sie  ist ein  ander  Weib als wir NÃ?hterinnen und
KÃchinnen. Sie ist groÃ?, herzhaft, entschlossen.
     Egmont. Ja,  wenn's nicht  gar zu bunt geht.  Diesmal ist sie doch  ein
wenig aus der Fassung.
     KlÃ?rchen. Wieso?
     Egmont. Sie  hat  auch  ein BÃ?rtchen  auf  der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
     KlÃ?rchen.  Eine  majestÃ?tische Frau!  Ich scheute mich,  vor  sie  zu
treten.
     Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wÃ?re  auch nicht Furcht,
nur jungfrÃ?uliche Scham.
     KlÃ?rchen (schlÃ?gt  die Augen nieder,  nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
     Egmont.  Ich  verstehe  dich!  liebes  MÃ?dchen!  du  darfst  die Augen
aufschlagen. (Er kÃ?Ã?t ihre Augen.)
     KlÃ?rchen. LaÃ? mich schweigen! LaÃ? mich dich halten. LaÃ? mich dir in
die  Augen  sehen;  alles  drin  finden,  Trost und Hoffnung und  Freude und
Kummer.  (Sie  umarmt  ihn und sieht ihn an.)  Sag  mir! Sage!  ich begreife
nicht!  bist  du Egmont?  der  Graf Egmont? der groÃ?e  Egmont,  der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hÃ?ngen?
     Egmont. Nein, KlÃ?rchen, das bin ich nicht.
     KlÃ?rchen. Wie?
     Egmont. Siehst du,  KlÃ?rchen! - LaÃ? mich sitzen! (Er  setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel,  legt ihr Arme auf  seinen SchoÃ? und sieht
ihn an.) Jener Egmont  ist ein verdrieÃ?licher, steifer, kalter Egmont,  der
an sich  halten,  bald  dieses bald  jenes  Gesicht  machen  muÃ?;  geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fÃ?r froh und frÃhlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht  weiÃ?, was es  will;  geehrt und in  die
HÃhe  getragen von einer Menge,  mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht Ã?berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm  auf alle Weise  beikommen mÃchten; arbeitend  und  sich bemÃ?hend, oft
ohne Zweck  meist ohne Lohn -  O laÃ? mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, KlÃ?rchen, der ist ruhig, offen, glÃ?cklich,
geliebt und gekannt von dem  besten Herzen,  das auch er ganz  kennt und mit
voller  Liebe  und Zutrauen  an das seine drÃ?ckt.  (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
     KlÃ?rchen. So laÃ? mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
     Vierter Aufzug
     StraÃ?e
     Jetter. Zimmermeister.
     Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
     Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
     Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
     Zimmermeister. Nichts, als daÃ? uns von Neuem zu reden verboten ist.
     Jetter. Wie?
     Zimmermeister.  Tretet hier ans  Haus an. HÃ?tet  Euch!  Der Herzog von
Alba hat gleich  bei  seiner Ankunft einen  Befehl ausgehen lassen,  dadurch
zwei oder drei, die auf der StraÃ?e  zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklÃ?rt sind.
     Jetter. O weh!
     Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
     Jetter. O unsre Freiheit!
     Zimmermeister. Und  bei  Todesstrafe  soll niemand die  Handlungen  der
Regierung miÃ?billigen.
     Jetter. O unsre KÃpfe!
     Zimmermeister.  Und  mit  groÃ?em Versprechen  werden  VÃ?ter, MÃ?tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
     Jetter. Gehn wir nach Hause.
     Zimmermeister.  Und den Folgsamen  ist versprochen, daÃ?  sie weder  an
Leibe, noch Ehre, noch VermÃgen einige KrÃ?nkung erdulden sollen.
     Jetter. Wie gnÃ?dig!  War mir's doch gleich weh, wie  der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wÃ?re der Himmel mit einem schwarzen
Flor Ã?berzogen und hinge so tief herunter, daÃ? man sich bÃ?cken mÃ?sse, um
nicht dran zu stoÃ?en.
     Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
     Jetter. Pfui! Es schnÃ?rt einem das Herz ein, wenn  man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren  sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel  ihrer  sind. Und wenn sie auf  der Schildwache stehen und  du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und  sieht so  steif  und  mÃ?rrisch  aus,  daÃ? du  auf allen  Ecken  einen
Zuchtmeister  zu sehen glaubst.  Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch  ein  lustig  Volk;  sie  nahmen  sich  was  heraus,  standen  mit
ausgegrÃ?tschten  Beinen da, hatten  den Hut Ã?berm Ohr, lebten  und lieÃ?en
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
     Zimmermeister. Wenn so einer ruft. Â'Halt!Â' und anschlÃ?gt, meinst du,
man hielte?
     Jetter. Ich wÃ?re gleich des Todes.
     Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
     Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest. Freunde! Genossen!
     Zimmermeister. Still! LaÃ?t uns gehen.
     Soest. WiÃ?t ihr?
     Jetter. Nur zu viel!
     Soest. Die Regentin ist weg.
     Jetter. Nun gnad' uns Gott!
     Zimmermeister. Die hielt uns noch.
     Soest. Auf  einmal und in der Stille.  Sie  konnte sich mit dem  Herzog
nicht  vertragen;  sie  lieÃ?  dem Adel melden,  sie  komme wieder.  Niemand
glaubt's.
     Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daÃ?  er uns diese neue GeiÃ?el
Ã?ber den  Hals  gelassen  hat.  Sie  hÃ?tten  es  abwenden  kÃnnen.  Unsre
Privilegien sind hin.
     Jetter. Um Gottes willen  nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
     Soest. Oranien ist auch weg.
     Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
     Soest. Graf Egmont ist noch da.
     Jetter. Gott sei Dank! StÃ?rken ihn alle Heiligen, daÃ? er sein  Bestes
tut; der ist allein was vermÃgend.
     (Vansen tritt auf.)
     Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
     Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fÃ?rbaÃ?.
     Vansen. Ihr seid nicht hÃflich.
     Zimmermeister.  Es ist gar keine  Zeit zu Komplimenten.  Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
     Vansen.  Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf SchlÃ?ge
was gegeben hÃ?tte, wÃ?re sein Tage nichts aus mir geworden.
     Jetter. Es kann ernstlicher werden.
     Vansen. Ihr spÃ?rt  von dem Gewitter, das aufsteigt, eine  erbÃ?rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
     Zimmermeister. Deine Glieder  werden  sich  bald woanders  eine  Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
     Vansen.  Armselige MÃ?use,  die  gleich verzweifeln,  wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biÃ?chen  anders; aber wir  treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
     Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
     Vansen.  Gevatter  Tropf! LaÃ?  du den Herzog  nur gewÃ?hren.  Der alte
Kater sieht aus,  als wenn er  Teufel  statt  MÃ?use  gefressen  hÃ?tte  und
kÃnnte sie nun nicht  verdauen. LaÃ?t  ihn  nur  erst; er  muÃ? auch essen,
trinken, schlafen  wie andere Menschen.  Es ist  mir nicht  bange,  wenn wir
unsere  Zeit  recht nehmen. Im  Anfange  geht's rasch; nachher wird  er auch
finden, daÃ? in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben  ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne MÃ?uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
     Zimmermeister. Was  so  einem  Menschen  alles  durchgeht!  Wenn ich in
meinem Leben  so etwas  gesagt  hÃ?tte,  hielt'  ich mich  keine Minute fÃ?r
sicher.
     Vansen.  Seid  nur  ruhig!  Gott im Himmel  erfÃ?hrt  nichts  von  euch
WÃ?rmern, geschweige der Regent.
     Jetter. LÃ?stermaul!
     Vansen.  Ich weiÃ?  andere, denen  es  besser wÃ?re,  sie hÃ?tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
     Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
     Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
     Jetter. Egmont! Was soll der fÃ?rchten?
     Vansen. Ich  bin ein armer Teufel und kÃnnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kÃnnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen  Jahres geben,  wenn er  meinen  Kopf  auf  eine  Viertelstunde
hÃ?tte.
     Jetter. Du  denkst  dich was Rechts. Egmonts  Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
     Vansen. Redt  Ihr! Aber  nicht feiner.  Die  Herren betriegen  sich  am
ersten. Er sollte nicht trauen.
     Jetter. Was er schwÃ?tzt! So ein Herr!
     Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
     Jetter. Ungewaschen Maul!
     Vansen. Dem  wollt'  ich Eure  Courage  nur  eine Stunde in die Glieder
wÃ?nschen, daÃ? sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte  und juckte,
bis er aus der Stadt mÃ?Ã?te.
     Jetter. Ihr redet recht unverstÃ?ndig; er  ist so  sicher wie der Stern
am Himmel.
     Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
     Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
     Vansen. Wer will? Willst  du's  etwa  hindern? Willst du einen  Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
     Jetter. Ah!
     Vansen. Wollt ihr eure Rippen fÃ?r ihn wagen?
     Soest. Eh!
     Vansen  (sie nachÃ?ffend). Ih! Oh! Uh!  Verwundert  euch  durchs  ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
     Jetter.  Ich  erschrecke  Ã?ber  Eure UnverschÃ?mtheit.  So ein  edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befÃ?rchten haben?
     Vansen.   Der   Schelm    sitzt   Ã?berall   im    Vorteil.   Auf   dem
ArmensÃ?nderstÃ?hlchen  hat er den  Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten  mit Lust zum Verbrecher. Ich habe  so ein Protokoll
abzuschreiben  gehabt, wo  der  Kommissarius  schwer Lob  und  Geld vom Hofe
erhielt, weil  er  einen ehrlichen Teufel,  an den man wollte, zum  Schelmen
verhÃrt hatte.
     Zimmermeister.  Das  ist  wieder frisch  gelogen. Was wollen  sie  denn
heraus verhÃren, wenn einer unschuldig ist?
     Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhÃren ist, da verhÃrt man
hinein.  Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt  man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine  Unschuld,  wie sie's
heiÃ?en,  und  sagt  alles geradezu, was  ein  VerstÃ?ndiger verbÃ?rge. Dann
macht der Inquisitor  aus den Antworten wieder Fragen und paÃ?t ja  auf,  wo
irgendein  WidersprÃ?chelchen erscheinen will; da knÃ?pft  er seinen  Strick
an, und lÃ?Ã?t sich der dumme Teufel betreten, daÃ?  er  hier etwas zu viel,
dort etwas  zu wenig gesagt  oder wohl gar aus  Gott  weiÃ?  was  fÃ?r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch  wohl irgend an  einem Ende sich
hat  schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich  versichre
euch, mit mehr Sorgfalt  suchen die  Bettelweiber nicht die  Lumpen  aus dem
Kehricht,  als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrÃ?ckten,  verdrÃ?ckten, geschlossenen, bekannten,  geleugneten  Anzeigen
und    UmstÃ?nden    sich    endlich    einen    strohlumpenen    Vogelscheu
zusammenkÃ?nstelt,  um wenigstens seinen  Inquisiten  in  effigie hÃ?ngen zu
kÃnnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hÃ?ngen
sehen.
     Jetter. Der hat eine gelÃ?ufige Zunge.
     Zimmermeister.  Mit Fliegen  mag das angehen. Die Wespen  lachen  Eures
Gespinstes.
     Vansen.  Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange  Herzog hat euch  so
ein rein Ansehn  von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbÃ?uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfÃ?Ã?igen, schmalleibigen, die vom FraÃ?e
nicht feist wird und recht dÃ?nne FÃ?den zieht, aber desto zÃ?here.
     Jetter. Egmont ist Ritter des  Goldnen  Vlieses; wer darf Hand  an  ihn
legen?  Nur von seinesgleichen kann  er gerichtet  werden, nur vom  gesamten
Orden.  Dein loses Maul, dein  bÃses Gewissen  verfÃ?hren  dich  zu solchem
GeschwÃ?tz.
     Vansen. Will ich  ihm  darum  Ã?bel? Mir kann's recht sein. Es ist  ein
trefflicher  Herr.  Ein  paar  meiner  guten  Freunde, die anderwÃ?rts schon
wÃ?ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll SchlÃ?ge verabschiedet.
Nun  geht! Geht!  Ich rat  es euch  selbst. Dort  seh ich wieder eine  Runde
antreten; die sehen  nicht aus, als  wenn sie so bald BrÃ?derschaft mit  uns
trinken wÃ?rden. Wir  wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich  hab ein
paar Nichten  und einen Gevatter Schenkwirt;  wenn  sie  von  denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte WÃlfe.
     Der Culenburgische Palast
     Wohnung des Herzogs von Alba
     Silva und Gomez begegnen einander.
     Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
     Gomez. PÃ?nktlich. Alle tÃ?gliche Runden sind  beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen PlÃ?tzen einzutreffen, die ich ihnen  bezeichnet habe;
sie gehen indes,  wie gewÃhnlich, durch die Stadt, um Ordnung  zu erhalten.
Keiner weiÃ? von dem andern;  jeder glaubt, der Befehl gehe  ihn allein  an,
und  in  einem Augenblick kann alsdann  der Kordon gezogen und alle ZugÃ?nge
zum Palast kÃnnen besetzt sein. WeiÃ?t du die Ursache dieses Befehls?
     Silva.  Ich bin  gewohnt,  blindlings zu  gehorchen.  Und  wem gehorcht
sich's  leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daÃ? er recht
befohlen hat?
     Gomez.  Gut!  Gut!  Auch  scheint  es  mir  kein  Wunder,  daÃ?  du  so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muÃ?t.  Mir
kommt  es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das SchwÃ?tzen und
RÃ?sonieren angewÃhnt. Ihr  schweigt alle und laÃ?t  es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir  einem ehrnen  Turm  ohne Pforte, wozu die  Besatzung
FlÃ?gel  hÃ?tte.  Neulich  hÃrt'  ich  ihn   bei  Tafel  von  einem  frohen
freundlichen Menschen sagen: er  sei wie eine  schlechte  Schenke  mit einem
ausgesteckten  Branntweinzeichen,   um  MÃ?Ã?iggÃ?nger,  Bettler  und  Diebe
hereinzulocken.
     Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefÃ?hrt?
     Gomez. Dagegen ist nichts  zu sagen.  GewiÃ?! Wer Zeuge seiner Klugheit
war,  wie er die Armee aus  Italien hierher brachte, der hat etwas  gesehen.
Wie er  sich durch Freund  und Feind, durch die  Franzosen, KÃniglichen und
Ketzer, durch  die Schweizer  und Verbundnen gleichsam  durchschmiegte,  die
strengste  Mannszucht hielt  und  einen Zug, den man so gefÃ?hrlich achtete,
leicht  und  ohne AnstoÃ? zu leiten wuÃ?te!  -  Wir haben  was gesehen,  was
lernen kÃnnen.
     Silva.  Auch  hier!  Ist  nicht  alles still  und  ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wÃ?re?
     Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
     Silva. In den  Provinzen ist es  viel  ruhiger geworden;  und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
     Gomez. Nun wird er erst die Gunst des KÃnigs gewinnen.
     Silva. Und  uns  bleibt  nichts  angelegener, als uns  die  seinige  zu
erhalten. Wenn der KÃnig hieherkommt,  bleibt gewiÃ? der Herzog  und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
     Gomez. Glaubst du, daÃ? der KÃnig kommt?
     Silva.  Es  werden   so  viele  Anstalten  gemacht,   daÃ?  es  hÃchst
wahrscheinlich ist.
     Gomez. Mich Ã?berreden sie nicht.
     Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des KÃnigs Absicht ja
nicht  sein sollte zu kommen,  so ist sie's doch wenigstens gewiÃ?, daÃ? man
es glauben soll.
     (Ferdinand, Albas natÃ?rlicher Sohn.)
     Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
     Silva. Wir warten auf ihn.
     Ferdinand. Die FÃ?rsten werden bald hier sein.
     Gomez. Kommen sie heute?
     Ferdinand. Oranien und Egmont.
     Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
     Silva. So behalt es fÃ?r dich.
     (Herzog  von Alba. -  Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurÃ?ck.)
     Alba. Gomez.
     Gomez (tritt vor). Herr!
     Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
     Gomez. Aufs genaueste. Die tÃ?glichen Runden -
     Alba.  Genug.  Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie  zusammenziehen, die ZugÃ?nge  nach  dem  Palast besetzen
sollst. Das Ã?brige weiÃ?t du.
     Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
     Alba. Silva!
     Silva. Hier bin ich.
     Alba.   Alles,  was  ich  von  jeher  an  dir  geschÃ?tzt   habe,  Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames AusfÃ?hren, das zeige heut.
     Silva.  Ich  danke Euch, daÃ? Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen,  daÃ?
ich der alte bin.
     Alba.  Sobald die FÃ?rsten bei mir eingetreten sind, dann eile  gleich,
Egmonts  Geheimschreiber  gefangenzunehmen. Du hast  alle Anstalten gemacht,
die Ã?brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
     Silva.  Vertraue  auf   uns.  Ihr   Schicksal  wird   sie,   wie   eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pÃ?nktlich und schrecklich treffen.
     Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
     Silva. Alle; den  Egmont vor andern. Er  ist der einzige, der, seit  du
hier bist, sein Betragen nicht geÃ?ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere,  ladet GÃ?ste,  ist immer  lustig und  unterhaltend bei  Tafel,
wÃ?rfelt,  schieÃ?t und  schleicht  nachts  zum  Liebchen.  Die andern haben
dagegen eine merkliche  Pause in ihrer  Lebensart  gemacht; sie  bleiben bei
sich; vor ihrer TÃ?re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wÃ?re.
     Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
     Silva.  Ich stelle sie.  Auf  deinen  Befehl Ã?berhÃ?ufen  wir sie  mit
dienstfertigen  Ehren.   Ihnen  graut's;  politisch  geben  sie   uns  einen
Ã?ngstlichen Dank, fÃ?hlen, das RÃ?tlichste sei, zu entfliehen, keiner  wagt
einen Schritt, sie zaudern, kÃnnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
KÃ?hnes zu tun,  hÃ?lt sie der Gemeingeist ab.  Sie mÃchten gern sich jedem
Verdacht  entziehen  und machen sich  immer verdÃ?chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefÃ?hrt.
     Alba. Ich freue mich nur Ã?ber das Geschehene; und auch Ã?ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch  Ã?brig, was  uns  zu denken und zu sorgen
gibt. Das  GlÃ?ck ist  eigensinnig, oft das  Gemeine,  das NichtswÃ?rdige zu
adeln  und  wohlÃ?berlegte  Taten mit  einem  gemeinen  Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die FÃ?rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StraÃ?en zu
besetzen,   und   eile  selbst,   Egmonts   Schreiber   und   die   Ã?brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daÃ? er mir in den Rat die Nachricht bringe.
     Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dÃ?rfen.
     (Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
     Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber  meine Hoffnung  schwankt.
Ich  fÃ?rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die  still  und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der  FÃ?rsten und
vieler  Tausende wÃ?gen.  Langsam  wankt  das  ZÃ?nglein  auf  und  ab; tief
scheinen  die  Richter zu sinnen; zuletzt sinkt  diese  Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
     (Alba mit Ferdinand hervortretend.)
     Alba. Wie fandst du die Stadt?
     Ferdinand.  Es  hat  sich  alles  gegeben.   Ich  ritt,   als  wie  zum
Zeitvertreib,  straÃ?auf,  straÃ?ab.  Eure wohlverteilten  Wachen halten die
Furcht so angespannt, daÃ? sie  sich nicht zu lispeln untersteht.  Die Stadt
sieht  einem  Felde  Ã?hnlich, wenn  das  Gewitter  von weitem leuchtet; man
erblickt  keinen  Vogel, kein Tier, als  das  eilend nach  einem  Schutzorte
schlÃ?pft.
     Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
     Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grÃ?Ã?ten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben  muÃ?te. Â'LaÃ?t uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!Â'  rief er mir entgegen. Er
werde mich  noch heute  wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
     Alba. Er wird dich wiedersehn.
     Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier  kenne, gefÃ?llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
     Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig  behutsam;  immer  erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie  unbedingt in  die Arme
lieferte. Zu mancher gefÃ?hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
     Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
     Alba. Ich  vergebe deinem jungen  Blute dies leichtsinnige  Wohlwollen,
diese  unachtsame  FrÃhlichkeit. Nur  vergiÃ?  nicht, zu welchem  Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mÃchte.
     Ferdinand.  Erinnert  mich, und  schont mich nicht,  wo Ihr  es  nÃtig
haltet.
     Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
     Ferdinand. Mein Vater!
     Alba. Die FÃ?rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MiÃ?trauen, daÃ? ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
     Ferdinand. Was sinnst du?
     Alba. Es ist beschlossen, sie  festzuhalten. - Du erstaunst! Was du  zu
tun hast, hÃre;  die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine  Zeit,  sie  auszulegen.  Mit  dir  allein  wÃ?nscht'  ich  das
GrÃÃ?te,  das   Geheimste  zu   besprechen;  ein  starkes  Band  hÃ?lt  uns
zusammengefesselt; du bist mir  wert und  lieb; auf dich  mÃcht' ich  alles
hÃ?ufen.  Nicht  die  Gewohnheit  zu   gehorchen  allein   mÃcht'  ich  dir
einprÃ?gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufÃ?hren, wÃ?nscht'
ich  in dir  fortzupflanzen;  dir  ein  groÃ?es  Erbteil,  dem  KÃnige  den
brauchbarsten Diener zu  hinterlassen; dich mit dem  Besten,  was  ich habe,
auszustatten, daÃ? du dich nicht  schÃ?men dÃ?rfest, unter  deine BrÃ?der zu
treten.
     Ferdinand. Was werd ich dir nicht fÃ?r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
     Alba. Nun hÃre, was zu tun ist. Sobald die  FÃ?rsten eingetreten sind,
wird  jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen,  Egmonts  Schreiber  mit  den  VerdÃ?chtigsten  gefangenzunehmen.  Du
hÃ?ltst  die  Wache am Tore und in  den  HÃfen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese  Zimmer hier neben mit den sichersten  Leuten;  dann warte auf
der  Galerie, bis  Silva  wiederkommt, und bringe  mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daÃ? sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte  Egmont hier, als ob  ich
ihm noch was zu  sagen hÃ?tte. Am  Ende der Galerie  fordre  Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefÃ?hrlichsten  Mann; und ich fasse
Egmont hier.
     Ferdinand. Ich gehorche, mein  Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
     Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groÃ?e Tag, den du erlebst.
     (Silva tritt herein.)
     Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
     Alba. Sagt' es der Bote?
     Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
     Alba. Aus  dir spricht  mein  bÃser  Genius.  (Nachdem  er  den  Brief
gelesen, winkt er beiden,  und sie ziehen  sich  in die  Galerie zurÃ?ck. Er
bleibt  allein  auf dem  Vorderteile.)  Er kommt nicht! Bis  auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklÃ?ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug  zu sein! -
Es rÃ?ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein  groÃ?es Werk
ist getan oder  versÃ?umt, unwiederbringlich versÃ?umt;  denn  es ist  weder
nachzuholen,  noch  zu  verheimlichen.  LÃ?ngst  hatt'  ich  alles  reiflich
abgewogen, und mir auch  diesen Fall  gedacht, mir festgesetzt, was  auch in
diesem Falle zu tun  sei; und jetzt, da  es  zu  tun ist, wehr ich mir kaum,
daÃ? nicht  das FÃ?r und Wider  mir  aufs  neue durch die Seele  schwankt. -
Ist's rÃ?tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laÃ?  Egmont mit den Seinigen,  mit  so  vielen  entschlÃ?pfen, die nun,
vielleicht  nur  heute noch,  in  meinen  HÃ?nden  sind? So  zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groÃ?, wie schÃn der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens  bist du zwischen zwei  Ã?bel  gestellt; wie  in
einen Lostopf greifst  du in die  dunkle Zukunft; was du  fassest,  ist noch
zugerollt,  dir  unbewuÃ?t, sei's Treffer oder  Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie  einer, der etwas hÃrt, und tritt  ans  Fenster.)  Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd  so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und  vor  dem  Geiste  mit  dem  blanken  Schwert,  der an  der Pforte  dich
empfÃ?ngt? - Steig ab! - So  bist du mit dem einen FuÃ? im Grab!  und so mit
beiden!  - ja streichl'  es nur  und klopfe fÃ?r  seinen  mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In  der Verblendung,
wie hier Egmont naht,  kann  er  dir  nicht zum  zweitenmal sich  liefern! -
HÃrt!
     (Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
     Alba. Ihr tut, was  ich  befahl; ich  Ã?ndre  meinen Willen  nicht. Ich
halte,  wie es gehn  will,  Egmont auf,  bis du mir  von Silva die Nachricht
gebracht  hast. Dann bleib  in  der  NÃ?he. Auch dir raubt  das Geschick das
groÃ?e Verdienst, des  KÃnigs grÃÃ?ten Feind mit  eigener Hand gefangen zu
haben.  (Zu  Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.)  Geh ihm  entgegen. (Alba  bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont.  Ich komme, die  Befehle des KÃnigs zu  vernehmen, zu  hÃren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
     Alba. Er wÃ?nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hÃren.
     Egmont. Ã?ber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
     Alba. Mir tut  es  leid,  daÃ? er uns  eben in dieser  wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wÃ?nscht der KÃnig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr  werdet krÃ?ftig  mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vÃllig und dauerhaft zu grÃ?nden.
     Egmont.  Ihr  kÃnnt besser  wissen  als  ich,  daÃ? schon alles  genug
beruhigt  ist, ja, noch  mehr beruhigt war,  eh  die  Erscheinung der  neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die GemÃ?ter bewegte.
     Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das RÃ?tlichste sei gewesen, wenn
der KÃnig mich gar nicht in den Fall gesetzt hÃ?tte, Euch zu fragen.
     Egmont. Verzeiht! Ob der KÃnig  das  Heer hÃ?tte schicken  sollen,  ob
nicht vielmehr  die  Macht seiner majestÃ?tischen Gegenwart allein  stÃ?rker
gewirkt hÃ?tte, ist meine Sache nicht  zu beurteilen.  Das Heer ist  da,  er
nicht. Wir aber mÃ?Ã?ten sehr undankbar, sehr  vergessen sein, wenn  wir uns
nicht  erinnerten,  was wir der Regentin  schuldig  sind.  Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als  tapferes Betragen die AufrÃ?hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit Ã?berredung und List zur Ruhe und  fÃ?hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurÃ?ck.
     Alba. Ich leugne es  nicht. Der  Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurÃ?ckgebannt. Aber hÃ?ngt  es nicht von eines
jeden WillkÃ?r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die  Macht, sie abzuhalten? Wer bÃ?rgt uns, daÃ? sie sich ferner treu
und untertÃ?nig  zeigen  werden? Ihr  guter Wille  ist alles Pfand,  das wir
haben.
     Egmont. Und  ist der gute  Wille  eines Volks nicht  das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein KÃnig sicherer halten, als wenn
sie alle  fÃ?r einen,  einer fÃ?r  alle  stehn?  Sicherer gegen  innere  und
Ã?uÃ?ere Feinde?
     Alba. Wir werden uns doch  nicht Ã?berreden sollen, daÃ?  es jetzt hier
so steht?
     Egmont.  Der KÃnig  schreibe einen Generalpardon  aus, er beruhige die
GemÃ?ter;  und  bald wird  man sehen,  wie Treue und Liebe mit  dem Zutrauen
wieder zurÃ?ckkehrt.
     Alba. Und jeder, der die MajestÃ?t  des KÃnigs, der das  Heiligtum der
Religion  geschÃ?ndet,  ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daÃ? ungeheure Verbrechen straflos sind?
     Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der  Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewiÃ?heit ist, daÃ? die Ã?bel  nicht wiederkehren werden?  Waren KÃnige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht  von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine  Beleidigung ihrer WÃ?rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie  nicht eben deswegen  Gott gleich gehalten, der viel  zu  groÃ? ist, als
daÃ? an ihn jede LÃ?sterung reichen sollte?
     Alba.  Und eben darum soll der KÃnig  fÃ?r die WÃ?rde  Gottes  und der
Religion,  wir sollen fÃ?r das  Ansehn des KÃnigs streiten. Was  der  obere
abzulehnen verschmÃ?ht, ist unsere Pflicht zu rÃ?chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
     Egmont. Glaubst du, daÃ?  du sie alle erreichen  wirst? HÃrt man nicht
tÃ?glich, daÃ? die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande  treibt? Die
Reichsten werden ihre  GÃ?ter, sich, ihre  Kinder und Freunde flÃ?chten; der
Arme wird seine nÃ?tzlichen HÃ?nde dem Nachbar zubringen.
     Alba. Sie werden, wenn  man  sie nicht  verhindern kann. Darum verlangt
der KÃnig  Rat und Tat  von jedem FÃ?rsten,  Ernst  von  jedem Statthalter;
nicht  nur ErzÃ?hlung, wie es ist, was  werden kÃnnte, wenn man alles gehen
lieÃ?e,  wie's  geht.  Einem  groÃ?en  Ã?bel  zusehen,  sich  mit   Hoffnung
schmeicheln,  der  Zeit  vertrauen,  etwa   einmal  dreinschlagen,  wie   im
Fastnachtsspiel, daÃ?  es klatscht und man doch etwas zu  tun  scheint, wenn
man nichts tun mÃchte,  heiÃ?t das nicht, sich verdÃ?chtig machen, als sehe
man  dem Aufruhr mit VergnÃ?gen  zu, den  man nicht erregen, wohl aber hegen
mÃchte!
     Egmont (im Begriff  aufzufahren,  nimmt sich  zusammen und spricht nach
einer  kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist  offenbar, und manches
Mannes  Absicht  ist  zu miÃ?deuten. MuÃ?  man  doch auch  von  allen Seiten
hÃren: es sei des KÃnigs Absicht weniger, die Provinzen nach  einfÃrmigen
und  klaren Gesetzen zu regieren, die MajestÃ?t der Religion  zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie  unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer  alten Rechte zu berauben, sich Meister  von ihren
BesitztÃ?mern  zu machen, die  schÃnen Rechte des Adels einzuschrÃ?nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen  mag. Die
Religion,  sagt man, sei nur  ein prÃ?chtiger Teppich, hinter  dem man jeden
gefÃ?hrlichen  Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf  den
Knien, betet  die  heiligen gewirkten  Zeichen an, und  hinten  lauscht  der
Vogelsteller, der sie berÃ?cken will.
     Alba. Das muÃ? ich von dir hÃren?
     Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GroÃ?en
und  von  Kleinen,  Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet  wird.  Die
NiederlÃ?nder fÃ?rchten ein doppeltes Joch, und wer bÃ?rgt ihnen  fÃ?r  ihre
Freiheit?
     Alba. Freiheit? Ein schÃnes Wort, wer's recht  verstÃ?nde. Was  wollen
sie  fÃ?r Freiheit?  Was ist  des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun!  - und
daran wird sie  der KÃnig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kÃnnen.  WÃ?re es nicht
besser,  abzudanken,  als  ein solches  Volk zu  regieren?  Wenn auswÃ?rtige
Feinde  drÃ?ngen,  an die  kein BÃ?rger  denkt,  der  mit dem NÃ?chsten  nur
beschÃ?ftigt ist, und der KÃnig  verlangt  Beistand: dann werden sie uneins
unter sich,  und verschwÃren sich gleichsam mit  ihren Feinden. Weit besser
ist's,  sie einzuengen, daÃ?  man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten  kann. Glaube nur, ein  Volk wird nicht  alt,  nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
     Egmont. Wie selten kommt  ein KÃnig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an  den Blicken  seines  Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
     Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst Ã?berlassen ist.
     Egmont. Und  darum niemand gern sich  selbst Ã?berlassen  mÃchte.  Man
tue, was man will; ich habe auf  deine Frage geantwortet  und wiederhole: Es
geht  nicht!  Es  kann nicht  gehen! Ich  kenne  meine  Landsleute.  Es sind
MÃ?nner, wert,  Gottes Boden  zu  betreten;  ein jeder rund fÃ?r  sich,  ein
kleiner KÃnig, fest, rÃ?hrig, fÃ?hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's,  ihr  Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und  fest! Zu
drÃ?cken sind sie; nicht zu unterdrÃ?cken.
     Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des KÃnigs Gegenwart wiederholen?
     Egmont.  Desto  schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser  fÃ?r  ihn,  fÃ?r  sein Volk,  wenn  er  mir Mut  machte, wenn er mir
Zutrauen einflÃÃ?te, noch weit mehr zu sagen.
     Alba. Was nÃ?tzlich ist, kann ich hÃren wie er.
     Egmont. Ich  wÃ?rde ihm sagen:  Leicht  kann der Hirt eine  ganze Herde
Schafe  vor sich  hintreiben,  der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber  dem  edeln  Pferde,  das  du  reiten willst,  muÃ?t du  seine Gedanken
ablernen, du  muÃ?t nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen.  Darum
wÃ?nscht  der  BÃ?rger  seine  alte  Verfassung  zu  behalten,   von  seinen
Landsleuten regiert zu sein,  weil er weiÃ?, wie er  gefÃ?hrt wird, weil  er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
     Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verÃ?ndern?  und sollte nicht eben  dies sein  schÃnstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser  Welt? und  sollte  eine  Staatseinrichtung  bleiben
kÃnnen? MuÃ? nicht in einer Zeitfolge jedes VerhÃ?ltnis sich verÃ?ndern und
eben darum eine alte Verfassung die  Ursache von tausend Ã?beln werden, weil
sie den gegenwÃ?rtigen Zustand des Volkes nicht umfaÃ?t? Ich fÃ?rchte, diese
alten  Rechte sind darum  so  angenehm, weil  sie  Schlupfwinkel  bilden, in
welchen  der Kluge,  der  MÃ?chtige, zum Schaden des Volks,  zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
     Egmont. Und diese willkÃ?rlichen  VerÃ?nderungen, diese unbeschrÃ?nkten
Eingriffe der hÃchsten Gewalt, sind  sie  nicht Vorboten,  daÃ?  einer  tun
will,  was Tausende nicht tun sollen? Er  will sich  allein frei machen,  um
jeden  seiner  WÃ?nsche  befriedigen,  jeden seiner Gedanken  ausfÃ?hren  zu
kÃnnen.  Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen KÃnige, ganz vertrauten,
sagt er  uns fÃ?r seine  Nachkommen gut? daÃ?  keiner  ohne RÃ?cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vÃlliger WillkÃ?r, wenn
er uns seine  Diener, seine NÃ?chsten  sendet, die ohne Kenntnis  des Landes
und seiner BedÃ?rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
     Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natÃ?rlicher,
als daÃ? ein KÃnig durch sich zu  herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am  liebsten auftrÃ?gt, die  ihn am besten verstehen, verstehen wollen,  die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
     Egmont. Und ebenso natÃ?rlich ist's, daÃ? der BÃ?rger von  dem  regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaÃ?t hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
     Alba.  Und  doch hat der Adel mit diesen seinen  BrÃ?dern sehr ungleich
geteilt.
     Egmont.  Das ist vor Jahrhunderten geschehen und  wird jetzt  ohne Neid
geduldet.  WÃ?rden  aber  neue  Menschen ohne  Not gesendet,  die  sich  zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sÃ?he man sich einer
strengen, kÃ?hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wÃ?rde eine  GÃ?rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflÃste.
     Alba. Du sagst mir, was ich nicht hÃren sollte: auch ich bin fremd.
     Egmont. DaÃ? ich dir's sage, zeigt dir, daÃ? ich dich nicht meine.
     Alba. Und auch so wÃ?nscht' ich es nicht  von dir zu hÃren. Der KÃnig
sandte  mich  mit Hoffnung,  daÃ?  ich hier  den  Beistand  des Adels finden
wÃ?rde.  Der  KÃnig  will  seinen  Willen.  Der  KÃnig   hat  nach  tiefer
Ã?berlegung gesehen, was  dem Volke frommt; es kann nicht bleiben  und gehen
wie bisher. Des KÃnigs Absicht  ist, sie  selbst  zu  ihrem  eignen  Besten
einzuschrÃ?nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muÃ?, ihnen aufzudringen, die
schÃ?dlichen  BÃ?rger  aufzuopfern,  damit  die  Ã?brigen  Ruhe  finden, des
GlÃ?cks einer weisen Regierung genieÃ?en kÃnnen. Dies ist sein  EntschluÃ?;
diesen dem Adel kundzumachen habe  ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
     Egmont. Leider  rechtfertigen  deine Worte  die Furcht des Volkes,  die
allgemeine Furcht! So hat er  denn beschlossen, was kein FÃ?rst beschlieÃ?en
sollte. Die  Kraft  seines Volks, ihr GemÃ?t,  den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwÃ?chen, niederdrÃ?cken, zerstÃren, um  sie bequem
regieren zu  kÃnnen. Er will  den  innern  Kern ihrer  Eigenheit verderben;
gewiÃ?  in  der Absicht, sie glÃ?cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit  sie  etwas werden, ein ander  Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird  sie miÃ?geleitet! Nicht  dem KÃnige widersetzt  man sich; man  stellt
sich nur dem KÃnige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglÃ?cklichen Schritte macht.
     Alba.  Wie du gesinnt bist,  scheint es ein vergeblicher  Versuch,  uns
vereinigen  zu wollen. Du denkst  gering vom  KÃnige  und verÃ?chtlich  von
seinen  RÃ?ten,  wenn  du zweifelst,  das  alles  sei  nicht  schon gedacht,
geprÃ?ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes FÃ?r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich  von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als BÃ?rgen dieser unbedingten Pflicht.
     Egmont. Fordre unsre HÃ?upter, so ist es auf einmal  getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich  sein. Umsonst hab ich  so viel gesprochen: die Luft  hab
ich erschÃ?ttert, weiter nichts gewonnen.
     (Ferdinand kommt.)
     Ferdinand.  Verzeiht, daÃ? ich Euer GesprÃ?ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen Ã?berbringer die Antwort dringend macht.
     Alba. Erlaubt mir,  daÃ? ich  sehe,  was  er  enthÃ?lt. (Tritt  an  die
Seite.)
     Ferdinand  (zu  Egmont).  Es  ist  ein schÃnes Pferd,  das  Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
     Egmont. Es ist nicht  das schlimmste. Ich hab es schon  eine Weile; ich
denk es  wegzugeben.  Wenn es Euch  gefÃ?llt, so  werden  wir vielleicht des
Handels einig.
     Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
     (Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurÃ?ckzieht.)
     Egmont.  Lebt wohl! EntlaÃ?t  mich: denn  ich wÃ?Ã?te, bei  Gott! nicht
mehr zu sagen.
     Alba.  GlÃ?cklich  hat  dich der Zufall verhindert,  deinen  Sinn  noch
weiter zu  verraten. Unvorsichtig entwickelst  du die Falten  deines Herzens
und klagst  dich selbst weit  strenger an, als ein Widersacher gehÃ?ssig tun
kÃnnte.
     Egmont.  Dieser Vorwurf rÃ?hrt mich nicht; ich kenne  mich selbst genug
und weiÃ?,  wie ich dem KÃnig angehÃre; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst  sich selber dienen.  Ungern scheid ich  aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt  zu sehen, und wÃ?nsche nur, daÃ?  uns der Dienst des  Herrn,  das
Wohl des Landes bald vereinigen mÃge. Es wirkt  vielleicht ein wiederholtes
GesprÃ?ch, die Gegenwart der Ã?brigen FÃ?rsten, die heute  fehlen,  in einem
glÃ?cklichern Augenblick, was  heut  unmÃglich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
     Alba  (der zugleich  seinem  Sohn Ferdinand  ein Zeichen  gibt).  Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
     (Die MitteltÃ?r Ãffnet sich:  man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
     Egmont  (der  staunend  eine Weile geschwiegen).  Dies war die Absicht?
Dazu  hast du  mich  berufen? (Nach  dem Degen  greifend,  als wenn er  sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
     Alba. Der KÃnig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
     (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
     Egmont (nach einer Stille). Der KÃnig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit  Ãfter des KÃnigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschÃ?tzt.
     (Er geht durch  die MitteltÃ?r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fÃ?llt.)
     FÃ?nfter Aufzug
     StraÃ?e
     DÃ?mmerung
     KlÃ?rchen. Brackenburg. BÃ?rger.
     Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
     KlÃ?rchen. Komm mit,  Brackenburg! Du muÃ?t  die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiÃ?. Denn was  gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fÃ?hlt,
ich schwÃr es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr  von
einem  kostbaren   Leben  abzuwenden  und   dem   Freiesten   die   Freiheit
wiederzugeben.  Komm! Es fehlt  nur an der Stimme, die sie zusammenruft.  In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch,  was sie ihm schuldig sind! und daÃ? sein
mÃ?chtiger  Arm allein  von  ihnen  das  Verderben  abhÃ?lt, wissen sie.  Um
seinet- und  ihretwillen mÃ?ssen  sie alles wagen.  Und  was wagen wir?  Zum
hÃchsten  unser Leben,  das zu erhalten nicht  der MÃ?he wert  ist, wenn er
umkommt.
     Brackenburg. UnglÃ?ckliche! du  siehst nicht  die  Gewalt, die  uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
     KlÃ?rchen. Sie scheint  mir nicht unÃ?berwindlich. LaÃ? uns  nicht lang
vergebliche  Worte wechseln.  Hier  kommen von den alten, redlichen, wackern
MÃ?nnern! HÃrt, Freunde! Nachbarn, hÃrt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
     Zimmermeister. Was will das Kind? LaÃ? sie schweigen,
     KlÃ?rchen. Tretet nÃ?her, daÃ? wir sachte reden, bis wir einig sind und
stÃ?rker.  Wir   dÃ?rfen  nicht  einen  Augenblick  versÃ?umen!  Die  freche
Tyrannei, die  es wagt,  ihn  zu  fesseln, zuckt  schon  den  Dolch,  ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der DÃ?mmerung werd ich Ã?ngstlicher.
Ich fÃ?rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen  uns  teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier  zu Quartier rufen wir die BÃ?rger heraus. Ein jeder greife  zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und  unser Strom
reiÃ?t einen  jeden  mit sich  fort.  Die  Feinde  sehen  sich  umringt  und
Ã?berschwemmt,  und sind  erdrÃ?ckt.  Was kann  uns  eine  Handvoll  Knechte
widerstehen? Und er in  unsrer Mitte kehrt zurÃ?ck,  sieht  sich befreit und
kann uns  einmal danken, uns, die  wir ihm  so tief  verschuldet worden.  Er
sieht vielleicht - gewiÃ? er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
     Zimmermeister. Wie ist dir, MÃ?dchen?
     KlÃ?rchen.  KÃnnt ihr mich  miÃ?verstehn? Vom Grafen  sprech  ich! Ich
spreche von Egmont.
     Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tÃdlich.
     KlÃ?rchen.  Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen  Namen?  Wer  nennt  ihn
nicht bei  jeder  Gelegenheit?  Wo  steht er  nicht  geschrieben?  In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen  Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn,  ihr  trÃ?umt; besinnt  euch.  Seht
mich nicht so starr und Ã?ngstlich an!  Blickt nicht schÃ?chtern hie und  da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wÃ?nscht. Ist meine Stimme nicht
eures  Herzens eigne Stimme? Wer wÃ?rfe sich in dieser  bangen Nacht, eh' er
sein  unruhvolles Bette  besteigt, nicht auf  die Knie, ihn mit  ernstlichem
Gebet  vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: Â'Egmonts Freiheit oder den Tod!Â'
     Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein UnglÃ?ck.
     KlÃ?rchen. Bleibt! Bleibt, und drÃ?ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem   ihr  euch  sonst  so  froh  entgegendrÃ?ngtet!  -  Wenn  der  Ruf  ihn
ankÃ?ndigte, wenn es hieÃ?: Â'Egmont kommt! Er kommt von Gent!Â' da  hielten
die Bewohner der StraÃ?en sich glÃ?cklich, durch  die er reiten muÃ?te.  Und
wenn  ihr  seine  Pferde schallen hÃrtet, warf jeder seine Arbeit hin,  und
Ã?ber die  bekÃ?mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure  Kinder auf der TÃ?rschwelle  in die HÃhe und deutetet ihnen:
Â'Sieh,  das ist Egmont, der GrÃÃ?te  da! Er ist's! Er  ist's,  von dem ihr
bessere Zeiten, als eure  armen  VÃ?ter  lebten, einst  zu  erwarten habt.Â'
LaÃ?t eure Kinder nicht dereinst euch  fragen: Â'Wo ist er hin? Wo sind  die
Zeiten hin, die ihr verspracht?Â' - Und so wechseln wir Worte! sind mÃ?Ã?ig,
verraten ihn.
     Soest. SchÃ?mt Euch,  Brackenburg!  LaÃ?t  sie nicht gewÃ?hren! Steuert
dem Unheil!
     Brackenburg. Liebes KlÃ?rchen! wir wollen  gehen! Was wird  die  Mutter
sagen? Vielleicht -
     KlÃ?rchen.  Meinst  du, ich sei  ein  Kind  oder wahnsinnig?  Was  kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewiÃ?heit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr  sollt mich hÃren und ihr werdet:  denn ich seh's,  ihr
seid bestÃ?rzt und  kÃnnt  euch selbst in euerm  Busen nicht  wiederfinden.
LaÃ?t durch die  gegenwÃ?rtige  Gefahr nur  einen  Blick  in  das Vergangene
dringen, das kurz  Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. KÃnnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde  geht? Mit seinem  Atem  flieht
der letzte Hauch der  Freiheit.  Was war er euch? FÃ?r wen  Ã?bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fÃ?r euch. Die
groÃ?e  Seele,  die  euch alle trug,  beschrÃ?nkt  ein  Kerker, und  Schauer
tÃ?ckischen  Mordes  schweben  um sie her.  Er denkt vielleicht  an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfÃ?llen gewohnt war.
     Zimmermeister. Gevatter, kommt.
     KlÃ?rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht  Mark wie ihr; doch  hab ich,
was euch  allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. KÃnnt' euch mein
Atem doch entzÃ?nden!  kÃnnt' ich an meinen Busen drÃ?ckend euch  erwÃ?rmen
und  beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer  von  Kriegern wehend  anfÃ?hrt,  so soll mein Geist um  eure
HÃ?upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fÃ?rchterlichen Heer vereinigen.
     Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (BÃ?rger ab.)
     Brackenburg. KlÃ?rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
     KlÃ?rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft  sich herrlicher zu wÃlben
schien,  wenn  der  Edle unter ihm herging.  Aus diesen  Fenstern  haben sie
herausgesehn, vier, fÃ?nf KÃpfe Ã?bereinander;  an diesen TÃ?ren haben  sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die  Memmen herabsah. O ich  hatte sie so
lieb, wie sie ihn  ehrten! WÃ?re er Tyrann gewesen, mÃchten  sie immer  vor
seinem Falle  seitwÃ?rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr HÃ?nde, die ihr
an die MÃ?tzen grifft,  zum Schwert kÃnnt ihr nicht  greifen - Brackenburg,
und wir?  - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun  sie fÃ?r ihn? - List hat in der  Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchloÃ?. Es ist nichts  unmÃglich, gib mir einen
Anschlag.
     Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
     KlÃ?rchen. Gut.
     Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laÃ? doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen.  HÃ?ltst du mich  fÃ?r  feig? Glaubst du
nicht, daÃ? ich um  deinetwillen sterben kÃnnte? Hier sind wir beide  toll,
ich so gut wie  du.  Siehst du nicht das UnmÃgliche? Wenn du dich faÃ?test!
Du bist auÃ?er dir.
     KlÃ?rchen.  AuÃ?er mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auÃ?er euch.
Da  ihr  laut den  Helden verehrtet,  ihn  Freund und  Schutz  und  Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn  er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hÃher
als euch  allen.  Jetzt schlÃ?gt  mir's  wieder hÃher als  euch allen!  Ihr
verbergt  euch,  da es not ist,  verleugnet  ihn und fÃ?hlt nicht, daÃ?  ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
     Brackenburg. Komm nach Hause.
     KlÃ?rchen. Nach Hause?
     Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh  dich  um! Dies  sind die StraÃ?en,
die du nur  sonntÃ?glich  betratst,  durch  die du sittsam  nach  der Kirche
gingst, wo du Ã?bertrieben ehrbar zÃ?rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grÃ?Ã?enden  Wort mich  zu dir  gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
     KlÃ?rchen.  Nach  Hause! Ja, ich besinne mich. Komm,  Brackenburg, nach
Hause! WeiÃ?t du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

     GefÃ?ngnis,
     durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
     Egmont (allein). Alter Freund!  immer getreuer Schlaf, fliehst  du mich
auch wie die Ã?brigen Freunde?  Wie willig senktest  du dich auf mein freies
Haupt  herunter und  kÃ?hltest wie ein schÃner Myrtenkranz der  Liebe meine
SchlÃ?fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge  des  Lebens,  ruht' ich  leicht
atmend,  wie ein aufquellender Knabe,  in  deinen  Armen. Wenn StÃ?rme durch
Zweige und  BlÃ?tter sausten, Ast und  Wipfel sich knirrend  bewegten, blieb
innerst  doch der Kern des Herzens ungeregt.  Was schÃ?ttelt  dich nun?  was
erschÃ?ttert  den festen  treuen  Sinn?  Ich  fÃ?hl's,  es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer  durchfÃ?hrt  mich.  Ja, sie Ã?berwindet, die verrÃ?terische Gewalt;
sie  untergrÃ?bt den festen hohen Stamm,  und  eh' die  Rinde dorrt, stÃ?rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
     Warum  denn jetzt, der du so  oft gewalt'ge Sorgen  gleich Seifenblasen
dir  vom  Haupte   weggewiesen,  warum  vermagst  du  nicht  die  Ahnung  zu
verscheuchen, die tausendfach in  dir  sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der  Tod dir fÃ?rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den Ã?brigen  Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen  lebtest? - Auch ist
er's  nicht,  der  rasche  Feind, dem  die  gesunde Brust  wetteifernd  sich
entgegensehnt; der Kerker  ist's, des  Grabes Vorbild,  dem  Helden wie  dem
Feigen  widerlich.  Unleidlich  ward  mir's  schon  auf meinem  gepolsterten
Stuhle,  wenn  in  stattlicher  Versammlung  die  FÃ?rsten,  was  leicht  zu
entscheiden  war, mit wiederkehrenden GesprÃ?chen Ã?berlegten, und  zwischen
dÃ?stern WÃ?nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrÃ?ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mÃglich  war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehÃren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nÃ?chste  Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle  Segen der
Gestirne  uns  umwittern;  wo  wir,  dem erdgebornen Riesen gleich,  von der
BerÃ?hrung unsrer Mutter  krÃ?ftiger  uns in die HÃhe reiÃ?en;  wo  wir die
Menschheit ganz  und  menschliche Begier  in allen  Adern  fÃ?hlen;  wo  das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu  besitzen, zu erobern, durch  die Seele des jungen JÃ?gers glÃ?ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht  auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaÃ?t
und  in  fÃ?rchterlicher Freiheit wie  ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
     Du bist  nur  Bild,  Erinnerungstraum  des GlÃ?cks,  das  ich  so  lang
besessen; wo  hat dich das  Geschick  verrÃ?terisch hingefÃ?hrt? Versagt  es
dir, den nie gescheuten Tod im  Angesicht der Sonne rasch zu gÃnnen, um dir
des  Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten?  Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das  Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FuÃ?. -
     O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den  Mord beginnst, laÃ? ab! - Seit
wann  ist Egmont denn allein, so ganz allein in  dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hÃ?lflos, nicht das GlÃ?ck. Ist die Gerechtigkeit des  KÃnigs,  der
du  lebenslang  vertrautest, ist der  Regentin Freundschaft,  die  fast  (du
darfst es  dir  gestehn), fast Liebe  war, sind  sie  auf  einmal,  wie  ein
glÃ?nzend  Feuerbild  der  Nacht, verschwunden? und lassen  dich allein  auf
dunkelm Pfad zurÃ?ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln  und  mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
     O  haltet,  Mauern,  die  ihr  mich  einschlieÃ?t,  so  vieler  Geister
wohlgemeintes DrÃ?ngen nicht  von mir ab;  und welcher Mut  aus meinen Augen
sonst sich  Ã?ber sie  ergoÃ?,  der kehre  nun aus  ihren  Herzen in  meines
wieder. O ja,  sie rÃ?hren sich zu Tausenden!  sie  kommen!  stehen  mir zur
Seite! Ihr  frommer  Wunsch eilt dringend zu dem  Himmel, er  bittet  um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder,  so seh ich sie
nach  Lanz und  Schwertern  greifen.  Die  Tore  spalten  sich,  die  Gitter
springen, die Mauer  stÃ?rzt von ihren HÃ?nden  ein, und  der  Freiheit  des
einbrechenden  Tages  steigt Egmont  frÃhlich  entgegen.  Wie manch bekannt
Gesicht  empfÃ?ngt mich jauchzend! Ach  KlÃ?rchen, wÃ?rst du Mann; so  sÃ?h'
ich dich gewiÃ? auch hier zuerst und dankte dir, was einem KÃnige zu danken
hart ist, Freiheit.

     KlÃ?rchens Haus
     KlÃ?rchen (kommt  mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas  auf den Tisch und tritt ans Fenster).  Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hÃrt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster  setzen, daÃ? er sieht, ich  wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat  mir  Nachricht versprochen.  Nachricht?  Entsetzliche GewiÃ?heit!  -
Egmont verurteilt!  - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der KÃnig  verdammt ihn?  oder der  Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien  zaudert, und alle seine Freunde!  - - Ist  dies die Welt, von deren
Wankelmut,  UnzuverlÃ?ssigkeit  ich viel gehÃrt und  nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt?  - Wer wÃ?re bÃs  genug, den Teuern  anzufeinden?  WÃ?re
Bosheit  mÃ?chtig genug,  den allgemein  Erkannten schnell zu stÃ?rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor  Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faÃ?t, die Hand aus. Du hÃ?lflos und ich frei! - Hier
ist der SchlÃ?ssel zu meiner  TÃ?r. An meiner WillkÃ?r hÃ?ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts!  - - O bindet mich, damit  ich nicht
verzweifle; und  werft  mich in den  tiefsten Kerker, daÃ? ich  das Haupt an
feuchte Mauern schlage,  nach  Freiheit winsle, trÃ?ume, wie ich  ihm helfen
wollte, wenn  Fesseln mich  nicht lÃ?hmten, wie ich ihm helfen wÃ?rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuÃ?t, nicht fÃ?hig, ein Glied nach seiner HÃ?lfe zu rÃ?hren.  Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen,  dein KlÃ?rchen, ist  wie du gefangen
und regt  getrennt  im  Todeskrampfe  nur die letzten KrÃ?fte.  -  Ich hÃre
schleichen, husten -  Brackenburg -  er  ist's!  - Elender guter Mann,  dein
Schicksal  bleibt  sich  immer  gleich;  dein   Liebchen  Ãffnet   dir  die
nÃ?chtliche TÃ?r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
     (Brackenburg tritt auf.)
     KlÃ?rchen. Du kommst so bleich und schÃ?chtern, Brackenburg! was ist's?
     Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren  such ich  dich auf. Die groÃ?en
StraÃ?en sind besetzt; durch GÃ?Ã?chen und durch Winkel hab  ich mich zu dir
gestohlen.
     KlÃ?rchen. ErzÃ?hl, wie ist's?
     Brackenburg (indem er sich setzt). Ach  KlÃ?re,  laÃ?  mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide  herÃ?ber. Ich hab  ihn  nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich.  In Schmerzen floÃ?  mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
     KlÃ?rchen. VergiÃ? das,  Brackenburg! VergiÃ? dich  selbst.  Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
     Brackenburg. Er ist's! ich weiÃ? es ganz genau.
     KlÃ?rchen. Und lebt noch?
     Brackenburg. Ja, er lebt noch.
     KlÃ?rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht   den  Herrlichen!  vor  allen  Augen  verborgen  flieÃ?t  sein  Blut.
Ã'ngstlich im  Schlafe  liegt das  betÃ?ubte Volk und  trÃ?umt  von Rettung,
trÃ?umt  ihres ohnmÃ?chtigen  Wunsches ErfÃ?llung; indes unwillig Ã?ber  uns
sein  Geist die Welt verlÃ?Ã?t. Er ist  dahin! -  TÃ?usche mich nicht!  dich
nicht!
     Brackenburg.  Nein  gewiÃ?, er  lebt!  -  Und  leider,  es bereitet der
Spanier  dem Volke, das er  zertreten  will, ein fÃ?rchterliches Schauspiel,
gewaltsam  jedes  Herz,  das  nach  der  Freiheit sich  regt,  auf  ewig  zu
zerknirschen.
     KlÃ?rchen. Fahre  fort und sprich gelassen auch  mein Todesurteil  aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nÃ?her  und nÃ?her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herÃ?ber. Sag an.
     Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald  dorten  fielen,  daÃ? auf  dem  Markte  geheimnisvoll  ein  Schrecknis
zubereitet werde.  Ich schlich durch Seitenwege, durch  bekannte GÃ?nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte.  -  Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schÃ?rfte  mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein  schwarzes
GerÃ?st  entgegen, gerÃ?umig  hoch; mir grauste vor dem Anblick. GeschÃ?ftig
waren  viele rings umher bemÃ?ht, was  noch von Holzwerk  weiÃ? und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch  einhÃ?llend zu verkleiden. Die Treppen  deckten sie
zuletzt  auch  schwarz,  ich  sah es wohl.  Sie  schienen  die  Weihe  eines
grÃ?Ã?lichen Opfers  vorbereitend zu begehn. Ein weiÃ?es Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt.  Ich
sah,  und  sah  die  schreckliche GewiÃ?heit  immer  gewisser. Noch  wankten
Fackeln  hie und da herum; allmÃ?hlich wichen sie  und erloschen. Auf einmal
war die scheuÃ?liche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchoÃ? zurÃ?ckgekehrt.
     KlÃ?rchen. Still, Brackenburg! Nun  still! LaÃ? diese HÃ?lle auf meiner
Seele  ruhn.  Verschwunden sind  die Gespenster,  und du,  holde Nacht, leih
deinen  Mantel der  Erde,  die in sich  gÃ?rt; sie trÃ?gt  nicht lÃ?nger die
abscheuliche Last, reiÃ?t ihre tiefen  Spalten grausend auf und knirscht das
MordgerÃ?st hinunter.  Und  irgendeinen Engel sendet der Gott, den  sie  zum
Zeugen ihrer Wut geschÃ?ndet; vor  des Boten heiliger BerÃ?hrung lÃsen sich
Riegel und  Bande, und er umgieÃ?t den Freund mit mildem Schimmer; er fÃ?hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft  und  still. Und  auch mein  Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
     Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
     KlÃ?rchen.  Leise,  Lieber, daÃ? niemand erwache! daÃ?  wir  uns selbst
nicht wecken!  Kennst  du dies  FlÃ?schchen,  Brackenburg?  Ich  nahm  dir's
scherzend, als du mit Ã?bereiltem Tod  oft  ungeduldig drohtest. - Und  nun,
mein Freund -
     Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
     KlÃ?rchen.  Du hinderst nichts. Tod ist  mein Teil! und  gÃnne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest.  Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erÃffne, aus der kein RÃ?ckweg ist,
kÃnnt' ich mit diesem HÃ?ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wÃ?hlt' ich, seine
Stelle  zu  ersetzen.  Es widersprach dein  Herz und quÃ?lte sich und  mich,
verlangtest heiÃ? und immer heiÃ?er, was dir  nicht  beschieden war.  Vergib
mir und leb wohl! LaÃ?  mich  dich  Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen  in  sich faÃ?t. Nimm die  letzte  schÃne  Blume der  Scheidenden mit
treuem  Herzen ab - nimm diesen KuÃ? - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
     Brackenburg. So laÃ? mich mit dir sterben! Teile!  Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulÃschen.
     KlÃ?rchen.  Bleib!  du  sollst leben, du kannst  leben. -  Steh  meiner
Mutter bei, die ohne dich  in Armut sich verzehren wÃ?rde.  Sei ihr, was ich
ihr  nicht  mehr  sein kann;  lebt  zusammen  und beweint  mich. Beweint das
Vaterland  und  den,  der es  allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der  Rache selbst vermag ihn nicht  zu
tilgen.  Lebt, ihr Armen, die Zeit  noch hin, die keine Zeit mehr  ist. Heut
steht die Welt  auf einmal  still; es  stockt ihr  Kreislauf, und  mein Puls
schlÃ?gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
     Brackenburg. O  lebe du  mit  uns, wie wir fÃ?r dich allein! Du tÃtest
uns in dir, o leb  und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn,  und  immer  achtsam  soll die Liebe den schÃnsten  Trost  in  ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
     KlÃ?rchen.  Leise, Brackenburg!  Du fÃ?hlst nicht,  was  du rÃ?hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
     Brackenburg. Teile  mit  den Lebendigen die  Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurÃ?ck.
     KlÃ?rchen. Ich hab Ã?berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
     Brackenburg.  Du bist betÃ?ubt; gehÃ?llt in Nacht suchst du  die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
     KlÃ?rchen. Weh! Ã?ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiÃ?est du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja,  er wird grauen, der Tag! vergebens alle  Nebel um sich
ziehn  und  wider Willen  grauen! Furchtsam schaut  der BÃ?rger  aus  seinem
Fenster, die Nacht  lÃ?Ã?t einen schwarzen Flecken  zurÃ?ck;  er schaut, und
fÃ?rchterlich  wÃ?chst im  Lichte  das  MordgerÃ?st. Neu  leidend wendet das
entweihte Gottesbild  sein flehend  Auge zum Vater  auf. Die Sonne wagt sich
nicht  hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
TrÃ?ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine  Stunde nach der andern schlÃ?gt.
Halt! Halt! Nun ist  es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das  Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sÃ?he sie sich um, und trinkt heimlich.)
     Brackenburg. KlÃ?re! KlÃ?re!
     KlÃ?rchen (geht nach  dem Tisch und trinkt das  Wasser).  Hier ist  der
Rest! Ich locke dich nicht nach.  Tu, was du darfst, leb wohl. LÃsche diese
Lampe still und ohne  Zaudern, ich geh zur  Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die  TÃ?r nach  dir  zu. Still! Wecke  meine Mutter  nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein MÃrder scheinen willst. (Ab.)
     Brackenburg. Sie lÃ?Ã?t mich  zum letztenmale wie immer. O kÃnnte eine
Menschenseele fÃ?hlen, wie sie ein liebend Herz  zerreiÃ?en kann. Sie lÃ?Ã?t
mich  stehn, mir  selber  Ã?berlassen;  und  Tod und  Leben  ist mir  gleich
verhaÃ?t.  -  Allein  zu  sterben!  - Weint,  ihr  Liebenden!  Kein  hÃ?rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie  zieht  mich nach und stÃÃ?t  ins  Leben mich
zurÃ?ck. O  Egmont,  welch preiswÃ?rdig Los fÃ?llt dir! Sie geht  voran; der
Kranz  des Siegs aus ihrer Hand  ist dein, sie bringt den ganzen  Himmel dir
entgegen!   -   Und   soll   ich   folgen?  wieder  seitwÃ?rts  stehn?   den
unauslÃschlichen  Neid  in jene  Wohnungen hinÃ?bertragen?  - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr  fÃ?r mich, und HÃll  und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wÃ?re der Vernichtung Schreckenshand dem UnglÃ?ckseligen will kommen!
     (Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverÃ?ndert. Eine
Musik,  KlÃ?rchens Tod bezeichnend, beginnt;  die Lampe,  welche Brackenburg
auszulÃschen  vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
     GefÃ?ngnis
     Egmont  liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
SchlÃ?sseln, und  die TÃ?r  tut sich  auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen  folgt Ferdinand, Albas  Sohn, und  Silva,  begleitet von Gewaffneten.
Egmont fÃ?hrt aus dem Schlaf auf.)
     Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schÃ?ttelt. Was  kÃ?nden  eure  trotzigen,  unsichern  Blicke mir  an? Warum
diesen fÃ?rchterlichen Aufzug?  Welchen Schreckenstraum kommt ihr  der  halb
erwachten Seele vorzulÃ?gen?
     Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukÃ?ndigen.
     Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
     Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
     Egmont. So  ziemt es euch und  euerm  schÃ?ndlichen  Beginnen! In Nacht
gebrÃ?tet   und  in  Nacht  vollfÃ?hrt.  So   mag   diese  freche   Tat  der
Ungerechtigkeit  sich verbergen!  - Tritt kÃ?hn  hervor, der du  das Schwert
verhÃ?llt unter dem  Mantel trÃ?gst; hier ist mein Haupt,  das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
     Silva.  Du irrst! Was gerechte Richter beschlieÃ?en,  werden  sie  vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
     Egmont. So Ã?bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
     Silva  (nimmt  einem Dabeistehenden  das  Urteil  ab,  entfaltet's  und
liest's).  Â'Im Namen des KÃnigs, und kraft besonderer von Seiner MajestÃ?t
uns  Ã?bertragenen  Gewalt, alle seine  Untertanen, wes  Standes  sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirÂ' -
     Egmont. Kann die der KÃnig Ã?bertragen?
     Silva.   Â'Erkennen  wir,   nach  vorgÃ?ngiger  genauer,   gesetzlicher
Untersuchung,  dich   Heinrich  Grafen   Egmont,  Prinzen  von   Gaure,  des
Hochverrats  schuldig und sprechen das  Urteil:  daÃ? du  mit der FrÃ?he des
einbrechenden  Morgens aus dem Kerker  auf den Markt gefÃ?hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks,  zur Warnung aller VerrÃ?ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest.  Gegeben BrÃ?ssel imÂ' (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daÃ? sie der ZuhÃrer nicht versteht.)
     Â'Ferdinand, Herzog von Alba,
     Vorsitzer des Gerichts der ZwÃlfe.Â'
     Du weiÃ?t nun  dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
     (Silva mit dem Gefolge geht ab. Es  bleibt Ferdinand und  zwei Fackeln;
das Theater ist mÃ?Ã?ig erleuchtet.)
     Egmont (hat  eine Weile in  sich versenkt  stille gestanden und  Silva,
ohne sich umzusehn,  abgehen lassen.  Er glaubt sich  allein, und da  er die
Augen aufhebt,  erblickt er Albas Sohn).  Du stehst  und bleibst? Willst  du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart  vermehren? Willst
du  noch  etwa  die  willkommne Botschaft  deinem Vater  bringen,  daÃ?  ich
unmÃ?nnlich verzweifle? Geh! Sag  ihm! Sag ihm,  daÃ? er weder mich noch die
Welt belÃ?gt. Ihm, dem RuhmsÃ?chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise  lispeln, dann  laut  und lauter  sagen, und wenn er einst  von diesem
Gipfel herabsteigt, werden  tausend Stimmen es ihm  entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die WÃ?rde des  KÃnigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daÃ?
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man  seiner bedÃ?rfe. Und  ich  falle,  ein  Opfer seines  niedrigen Hasses,
seines kleinlichen  Neides.  Ja, ich weiÃ?  es,  und ich darf es  sagen; der
Sterbende, der tÃdlich Verwundete  kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
     Schon damals, als wir noch jÃ?nger mit WÃ?rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer  nach dem  andern, von seiner  Seite zu mir herÃ?bereilten, da
stand  er  grimmig,  log  Gelassenheit,  und  innerlich  verzehrte  ihn  die
Ã'rgernis, mehr  Ã?ber  mein GlÃ?ck als Ã?ber seinen  Verlust. Noch erinnere
ich  mich  des  funkelnden  Blicks, der verrÃ?terischen BlÃ?sse, als  wir an
einem Ãffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er  forderte  mich  auf,  und  beide  Nationen  standen;  die  Spanier,  die
NiederlÃ?nder wetteten und wÃ?nschten. Ich Ã?berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter  Freudenschrei  der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun  trifft  mich  sein  GeschoÃ?. Sag  ihm, daÃ? ich's  weiÃ?, daÃ? ich ihn
kenne,  daÃ? die  Welt jede Siegszeichen  verachtet,  die ein kleiner  Geist
erschleichend  sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mÃglich  ist,  von
der Sitte des Vaters  zu  weichen,  Ã?be beizeiten die Scham, indem  du dich
fÃ?r den schÃ?mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mÃchtest.
     Ferdinand.  Ich  hÃre  dich  an,  ohne  dich  zu  unterbrechen!  Deine
VorwÃ?rfe   lasten  wie  KeulschlÃ?ge  auf  einem  Helm;   ich  fÃ?hle   die
ErschÃ?tterung, aber ich bin  bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht;  fÃ?hlbar  ist mir allein der Schmerz, der mir  den  Busen zerreiÃ?t.
Wehe mir! Wehe!  Zu  einem solchen Anblick bin ich  aufgewachsen,  zu  einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
     Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rÃ?hrt,  was bekÃ?mmert dich? Ist
es eine spÃ?te  Reue,  daÃ? du der schÃ?ndlichen VerschwÃrung deinen Dienst
geliehen?  Du bist  so jung und  hast ein glÃ?ckliches Ansehn. Du  warst  so
zutraulich, so  freundlich gegen  mich.  Solang  ich dich  sah, war ich  mit
deinem Vater versÃhnt. Und ebenso verstellt, verstellter als  er, lockst du
mich in  das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer  ihm traut,  mag er  es auf
seine Gefahr tun;  aber  wer fÃ?rchtete Gefahr, dir zu vertrauen?  Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daÃ? ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
     Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fÃ?hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daÃ? ich  erst spÃ?t,  erst  ganz  zuletzt des  Vaters Absichten
erfuhr,  daÃ? ich  als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's,  welche Meinung du  von mir  haben magst? Du  bist
verloren;  und ich UnglÃ?cklicher  stehe nur da,  um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
     Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir  auf  dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten,  meines  fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen MÃrdern? Sage, rede!
FÃ?r wen soll ich dich halten?
     Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne  dich  in diesem Befehle. Du
kanntest  mein  Herz,  meine Gesinnung,  die du  so  oft  als Erbteil  einer
zÃ?rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich  zu  bilden,  sandtest du mich
hierher.  Diesen Mann  am Rande  des gÃ?hnenden Grabes, in der  Gewalt eines
willkÃ?rlichen  Todes  zu  sehen, zwingst  du mich,  daÃ?  ich  den tiefsten
Schmerz  empfinde,  daÃ?   ich  taub   gegen   alles   Schicksal,  daÃ?  ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
     Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
     Ferdinand. O daÃ? ich ein  Weib wÃ?re! daÃ? man mir sagen  kÃnnte: was
rÃ?hrt dich? was  ficht dich an? Sage  mir ein grÃÃ?eres, ein  ungeheureres
Ã?bel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir  danken,
ich will sagen: es war nichts.
     Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
     Ferdinand. LaÃ? diese Leidenschaft rasen, laÃ? mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen,  wenn  alles in  mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich!  Du verstehst mich  nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
     Egmont. LÃse mir das Geheimnis.
     Ferdinand. Kein Geheimnis.
     Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
     Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir  nicht fremd. Dein Name war's,  der
mir   in   meiner   ersten   Jugend   gleich   einem   Stern   des   Himmels
entgegenleuchtete. Wie  oft  hab ich nach dir gehorcht,  gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der JÃ?ngling, des JÃ?nglings der Mann. So bist du vor mir  her
geschritten; immer vor,  und  ohne  Neid  sah ich dich vor, und  schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und  mein Herz flog dir  entgegen. Dich hatt'  ich mir bestimmt, und wÃ?hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun  hofft' ich erst,  mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich -  Das ist nun alles  weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
     Egmont.  Mein  Freund,  wenn   es   dir  wohltun  kann,  so  nimm   die
Versicherung,  daÃ? im ersten  Augenblick mein  GemÃ?t dir  entgegenkam. Und
hÃre mich. LaÃ? uns ein  ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tÃten?
     Ferdinand. Er ist's.
     Egmont.  Dieses  Urteil  wÃ?re  nicht  ein leeres Schreckbild  mich  zu
Ã?ngstigen,  durch Furcht  und Drohung zu strafen:  mich zu  erniedrigen und
dann mit kÃniglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
     Ferdinand. Nein, ach  leider nein! Anfangs schmeichelte ich  mir selbst
mit  dieser  ausweichenden  Hoffnung;  und  schon da  empfand ich  Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es  wirklich, ist gewiÃ?.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer  gibt mir eine HÃ?lfe, wer einen  Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
     Egmont. So hÃre  mich. Wenn deine Seele  so  gewaltsam dringt, mich zu
retten,  wenn du die Ã?bermacht verabscheust,  die mich  gefesselt hÃ?lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst  gewaltig  - LaÃ? uns entfliehen!  Ich  kenne  die  Wege; die  Mittel
kÃnnen  dir nicht  unbekannt sein. Nur  diese  Mauern,  nur  wenige  Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. LÃse  diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewiÃ?, der  KÃnig dankt dir  dereinst meine Rettung.  Jetzt
ist er Ã?berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und  die MajestÃ?t  muÃ? das Geschehene billigen,  wenn sie  sich auch davor
entsetzet. Du denkst?  O denke  mir den Weg der  Freiheit  aus! Sprich,  und
nÃ?hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
     Ferdinand. Schweig!  o  schweige! Du vermehrst mit  jedem  Worte  meine
Verzweiflung. Hier  ist  kein Ausweg,  kein Rat, keine Flucht. - Das  quÃ?lt
mich, das greift und faÃ?t mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz  zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiÃ?,  wie
jeder KÃ?hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fÃ?hle mich  mit dir
und mit allen andern  gefesselt.  WÃ?rde ich klagen, hÃ?tte ich  nicht alles
versucht? Zu  seinen  FÃ?Ã?en  habe ich  gelegen, geredet  und  gebeten.  Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstÃren.
     Egmont. Und keine Rettung?
     Ferdinand. Keine!
     Egmont  (mit  dem FuÃ?e stampfend).  Keine Rettung! - - SÃ?Ã?es  Leben!
schÃne freundliche Gewohnheit  des  Daseins  und Wirkens! von dir  soll ich
scheiden! So gelassen  scheiden!  Nicht im  Tumulte der Schlacht,  unter dem
GerÃ?usch der  Waffen,  in der Zerstreuung  des GetÃ?mmels  gibst du mir ein
flÃ?chtiges Lebewohl; du nimmst  keinen eiligen Abschied, verkÃ?rzest  nicht
den  Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine SchÃne,  deinen Wert recht lebhaft  fÃ?hlen und  dann
mich entschlossen losreiÃ?en und sagen: Fahre hin!
     Ferdinand Und ich soll daneben  stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kÃnnen!  O  welche Stimme reichte zur Klage!  Welches  Herz flÃsse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
     Egmont. Fasse dich!
     Ferdinand. Du  kannst  dich  fassen,  du kannst entsagen,  den schweren
Schritt an der  Hand der Notwendigkeit heldenmÃ?Ã?ig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du Ã?berwindest dich selbst und uns; du Ã?berstehst; ich Ã?berlebe
dich  und mich selbst. Bei der  Freude des  Mahls  hab  ich  mein  Licht, im
GetÃ?mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trÃ?b scheint
mir die Zukunft.
     Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fÃ?r  mich die Todesschmerzen empfindet, fÃ?r mich
leidet,  sieh mich in  diesen Augenblicken an;  du verlierst mich nicht. War
dir mein  Leben ein Spiegel,  in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen  sind nicht nur zusammen, wenn  sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut;  an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein  Gewissen mir  sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frÃ?her, frÃ?her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hÃ?tte  endigen kÃnnen.  Ich hÃre auf zu leben; aber ich  habe
gelebt. So leb auch du,  mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den  Tod
nicht.
     Ferdinand. Du hÃ?ttest dich fÃ?r uns erhalten kÃnnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getÃtet. Oft hÃrt' ich, wenn  kluge MÃ?nner Ã?ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende,  sie  stritten lang Ã?ber deinen  Wert;
doch  endlich  vereinigten sie  sich,  keiner  wagt'  es  zu  leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefÃ?hrlichen Weg. Wie oft wÃ?nscht' ich, dich
warnen zu kÃnnen! Hattest du denn keine Freunde?
     Egmont. Ich war gewarnt.
     Ferdinand. Und wie ich punktweise alle  diese Beschuldigungen wieder in
der  Anklage fand, und  deine Antworten! Gut genug, dich  zu  entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
     Egmont. Dies sei beiseite gelegt.  Es  glaubt der Mensch sein Leben  zu
leiten, sich selbst zu fÃ?hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem  Schicksale  gezogen. LaÃ? uns darÃ?ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge  fÃ?r dieses  Land! doch auch
dafÃ?r  wird gesorgt sein. Kann mein Blut fÃ?r  viele flieÃ?en, meinem Volke
Friede bringen, so flieÃ?t es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt  dem Menschen, nicht mehr  zu grÃ?beln, wo er  nicht mehr wirken soll.
Kannst  du die  verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kÃnnen? - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
     Egmont. LaÃ? meine Leute dir aufs  beste empfohlen sein!  Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daÃ?  sie  nicht zerstreut,  nicht unglÃ?cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
     Ferdinand.  Er ist  dir vorangegangen. Sie  haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
     Egmont.  Arme  Seele!  -  Noch eins,  und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist  gewaltsam beschÃ?ftigt, fordert die Natur  zuletzt
doch  unwiderstehlich  ihre Rechte;  und  wie  ein  Kind,  umwunden von  der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieÃ?t,  so  legt der  MÃ?de sich  noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder  und  ruht tief aus,  als ob er einen
weiten Weg zu wandern hÃ?tte. - Noch eins - Ich kenne ein MÃ?dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie  mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann;  ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
     Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
     Egmont. Derselbe.
     Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
     Egmont. Er weiÃ?  ihre Wohnung; laÃ? dich von ihm fÃ?hren  und lohn ihm
bis an sein Ende, daÃ? er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich gehe nicht.
     Egmont (ihn nach der TÃ?r drÃ?ngend). Leb wohl!
     Ferdinand. O laÃ? mich noch!
     Egmont. Freund, keinen Abschied.
     (Er begleitet Ferdinanden bis an die  TÃ?r und reiÃ?t sich dort von ihm
los. Ferdinand, betÃ?ubt, entfernt sich eilend.)
     Egmont  (allein). Feindseliger  Mann!  Du  glaubtest  nicht, mir  diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los  und
der  Schmerzen,  der  Furcht  und  jedes  Ã?ngstlichen  GefÃ?hls.  Sanft und
dringend fordert  die  Natur  ihren  letzten  Zoll. Es  ist  vorbei,  es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiÃ? auf meinem Lager wachend
hielt, das schlÃ?fert nun mit unbezwinglicher GewiÃ?heit meine Sinnen ein.
     (Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
     SÃ?Ã?er Schlaf! Du kommst wie ein reines GlÃ?ck ungebeten, unerfleht am
willigsten.  Du lÃsest die Knoten der  strengen Gedanken, vermischest  alle
Bilder der Freude und des  Schmerzes;  ungehindert flieÃ?t der Kreis innerer
Harmonien, und eingehÃ?llt in gefÃ?lligen Wahnsinn, versinken wir und hÃren
auf zu sein.
     (Er entschlÃ?ft;  die Musik  begleitet  seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erÃffnen, eine glÃ?nzende Erscheinung zeigt
sich.  Die Freiheit in himmlischem  Gewande, von  einer Klarheit  umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat  die ZÃ?ge von KlÃ?rchen und neigt sich  gegen
den  schlafenden Helden. Sie drÃ?ckt  eine  bedauernde  Empfindung aus,  sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faÃ?t sie sich, und mit aufmunternder GebÃ?rde
zeigt sie ihm das BÃ?ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiÃ?t ihn
froh sein, und indem  sie ihm  andeutet, daÃ?  sein  Tod den  Provinzen  die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und  reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie  sie sich  mit  dem Kranze dem Haupte  nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie  einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daÃ? er mit
dem Gesicht  aufwÃ?rts gegen sie  liegt. Sie  hÃ?lt den  Kranz Ã?ber  seinem
Haupte  schwebend:  man hÃrt ganz von  weitem eine  kriegerische Musik  von
Trommeln und  Pfeifen: bei dem  leisesten  Laut derselben  verschwindet  die
Erscheinung. Der Schall wird  stÃ?rker. Egmont erwacht; das GefÃ?ngnis  wird
vom Morgen mÃ?Ã?ig erhellt.  Seine erste  Bewegung ist,  nach dem Haupte  zu
greifen: er steht  auf und  sieht sich  um, indem er die Hand auf dem Haupte
behÃ?lt.)
     Verschwunden ist  der Kranz! Du schÃnes Bild, das Licht  des Tages hat
dich verscheuchet!  Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sÃ?Ã?esten
Freuden meines Herzens. Die gÃttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie  die  Gestalt; das  reizende  MÃ?dchen  kleidete sich  in  der  Freundin
himmlisches  Gewand. In einem ernsten  Augenblick erscheinen sie  vereinigt,
ernster  als lieblich.  Mit blutbefleckten Sohlen  trat sie vor mir auf, die
wehenden  Falten  des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein  Blut und vieler
Edeln  Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch!  Braves
Volk! Die SiegesgÃttin fÃ?hrt dich an!  Und wie das Meer durch  eure DÃ?mme
bricht, so brecht,  so reiÃ?t den Wall  der  Tyrannei  zusammen und schwemmt
ersÃ?ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaÃ?t, weg!
     (Trommeln nÃ?her.)
     Horch!  Horch! Wie oft rief mich  dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits  und des  Siegs! Wie munter  traten die GefÃ?hrten auf
der  gefÃ?hrlichen, rÃ?hmlichen  Bahn! Auch ich schreite  einem  ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fÃ?r die  Freiheit, fÃ?r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
     (Der  Hintergrund wird  mit einer Reihe  spanischer  Soldaten  besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
     Ja, fÃ?hrt sie  nur zusammen! SchlieÃ?t eure Reihen, ihr schreckt  mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fÃ?hlen.
     (Trommeln.)
     Dich schlieÃ?t der Feind  von  allen Seiten ein! Es blinken  Schwerter;
Freunde, hÃhern Mut! Im RÃ?cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
     (Auf die Wache zeigend.)
     Und  diese treibt  ein  hohles  Wort des Herrschers, nicht ihr  GemÃ?t.
SchÃ?tzt eure GÃ?ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig,  wie ich
euch ein Beispiel gebe.
     (Trommeln.  Wie  er auf  die Wache los- und auf  die HintertÃ?r zugeht,
fÃ?llt  der   Vorhang:  die   Musik  fÃ?llt  ein  und  schlieÃ?t  mit  einer
Siegessymphonie das StÃ?ck.)

ðÏÐÕÌÑÒÎÏÓÔØ: 31, Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:56:39 GMT