Ein Trauerspiel in fц?nf Aufzц?gen
--------------------------------------------------------------------------------
Personen:
Margarete von Parma, Tochter Karls des Fц?nften,
Regentin der Niederlande
Graf Egmont, Prinz von Gaure
Wilhelm von Oranien
Herzog von Alba
Ferdinand, sein natц?rlicher Sohn
Machiavell, im Dienste der Regentin
Richard, Egmonts Geheimschreiber
Silva und Gomez, unter Alba dienend
Klц?rchen, Egmonts Geliebte
Ihre Mutter
Brackenburg, ein Bц?rgerssohn
Soest, Krц?mer, Bц?rger von Brц?ssel
Jetter, Schneider, Bц?rger von Brц?ssel
Zimmermann und Seifensieder, Bц?rger von Brц?ssel
Buyck, Soldat unter Egmont
Ruysum, Invalide und taub
Vansen, ein Schreiber
Volk, Gefolge, Wachen usw.
--------------------------------------------------------------------------------
Erster Aufzug
Armbrustschieц?en
Soldaten und Bц?rger mit Armbrц?sten
Jetter, Bц?rger von Brц?ssel, Schneider, tritt vor und spannt die
Armbrust. Soest, Bц?rger von Brц?ssel, Krц?mer.
Soest. Nun schieц?t nur hin, daц? es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so
wц?r' ich fц?r dies Jahr Meister.
Jetter. Meister und Kцnig dazu. Wer miц?gцnnt's Euch? Ihr sollt
dafц?r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
(Buyck, ein Hollц?nder, Soldat unter Egmont.)
Buyck. Jetter, den Schuц? handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fц?r viele
Hцflichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hц?ttet.
-
Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.
Buyck (schieц?t). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei!
Vier!
Soest. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr Kцnig, hoch! und abermal hoch!
Buyck. Danke, ihr Herren. Wц?re Meister zu viel! Danke fц?r die Ehre.
Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
(Ruysum, ein Frieslц?nder, Invalide und taub.)
Ruysum. Daц? ich euch sage!
Soest. Wie ist's, Alter?
Ruysum. Daц? ich euch sage! - Er schieц?t wie sein Herr, er schieц?t
wie Egmont.
Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bц?chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glц?ck oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wц?re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm
lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kцnig nц?hrt seine Leute;
und so, auf des Kцnigs Rechnung, Wein her!
Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daц? jeder -
Buyck. Ich bin fremd und Kцnig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
Jetter. Du bist ja ц?rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mц?ssen.
Ruysum. Was?
Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daц? wir
zusammenlegen und der Kцnig nur das Doppelte zahlt.
Ruysum. Laц?t ihn! doch ohne Prц?judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
(Sie bringen Wein.)
Alle. Ihro Majestц?t Wohl! Hoch!
Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestц?t.
Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestц?t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlц?nder von Herzen.
Ruysum. Wer?
Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kцnigs in Spanien.
Ruysum. Unser allergnц?digster Kцnig und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.
Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fц?nften, nicht lieber?
Ruysum. Gott trцst' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand ц?ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so
grц?ц?t' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuц?t' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er
seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist
schon anders, der ist majestц?tischer.
Jetter. Er lieц? sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
kцniglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
Soest. Es ist kein Herr fц?r uns Niederlц?nder. Unsre Fц?rsten mц?ssen
froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
Jetter. Der Kцnig, denk ich, wц?re wohl ein gnц?diger Herr, wenn er
nur bessere Ratgeber hц?tte.
Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemц?t gegen uns Niederlц?nder, sein
Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kцnnen wir ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trц?gen
wir ihn alle auf den Hц?nden? Weil man ihm ansieht, daц? er uns wohlwill;
weil ihm die Frцhlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dц?rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. Laц?t den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
Ruysum. ц?berwinder bei St. Quintin.
Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
Alle. Hoch!
Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Bц?chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen
noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
Streifschuц? ans rechte Bein.
Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern?
Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange
wider, und wir drц?ngten und schossen und hieben, daц? sie die Mц?uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen, und wir stritten lange hinц?ber herц?ber, Mann fц?r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mц?ndung des
Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren
Englц?nder, die unter dem Admiral Malin von ungefц?hr von Dц?nkirchen her
vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick! rack! herц?ber, hinц?ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser
gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was
wir Hollц?nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward
erst wohl im Wasser wie den Frцschen; und immer die Feinde im Fluц?
zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.
Muц?te doch die welsche Majestц?t gleich das Pfцtchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groц?en Egmont schuldig.
Alle. Hoch! dem groц?en Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!
Jetter. Hц?tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten
gesetzt!
Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnц?d'ge Frau!
Alle. Sie lebe!
Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin
lebe!
Jetter. Klug ist sie, und mц?ц?ig in allem, was sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daц? wir die vierzehn neuen Bischofsmц?tzen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, daц? man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst ц'bte aus den Kapiteln gewц?hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischцfen hatten wir
genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muц? doch auch jeder tun,
als ob er nцtig wц?re; und da setzt's allen Augenblick Verdruц? und
Hц?ndel. Und je mehr ihr das Ding rц?ttelt und schц?ttelt, desto trц?ber
wird's.
(Sie trinken.)
Soest. Das war nun des Kцnigs Wille; sie kann nichts davon- noch
dazutun.
Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schцn in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiц?. Ich hab ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, daц? Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefц?hrlich ist's doch immer, da lц?ц?t man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglц?cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht tun darf, was ich mцchte, kцnnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.
Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muц? auch
beizeiten suchen, ihr die Flц?gel zu beschneiden.
Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfц?llt, in mein
Haus zu stц?rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen
franzцsischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bцses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde eingesteckt. Oder ich gehe ц?ber Land und bleibe bei einem Haufen
Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhцrt, einem von denen, die aus
Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiц? ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hцren?
Soest. Wackre Leute. Neulich hцrt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekцch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwц?rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hц?tten bei der Nase
herumgefц?hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben kцnnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und
grц?belte so ц?ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
Buyck. Es lц?uft ihnen auch alles Volk nach.
Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hцren kann und was Neues.
Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
Buyck. Frisch, ihr Herren! ц?ber dem Schwц?tzen vergeц?t ihr den Wein
und Oranien.
Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man kцnne sich hinter ihn verstecken und
der Teufel brц?chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
Alle. Hoch! hoch!
Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Jetter. Krieg! Krieg! Wiц?t ihr auch, was ihr ruft? Daц? es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natц?rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hцren; und
nichts zu hцren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer,
wie sie ц?ber einen Hц?gel kamen und bei einer Mц?hle hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drц?ngen, und einer gewinnt,
der andere verliert, ohne daц? man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bц?rger ermordet werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not
und Angst, man denkt jeden Augenblick: б'Da kommen sie! Es geht uns auch
so.б'
Soest. Drum muц? auch ein Bц?rger immer in Waffen geц?bt sein.
Jetter. Ja, es ц?bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hцr ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
Buyck. Das sollt' ich ц?belnehmen.
Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
Jetter. Vexier' Er sich.
Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
Jetter. Halt dein Maul.
Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kц?che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
(Sie lachen.)
Jetter. Du bist ein Tropf.
Buyck. Friede, ihr Herren! Muц? der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr
von uns nichts hцren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bц?rgerliche Gesundheit.
Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
Soest. Ordnung und Freiheit!
Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
(Sie stoц?en an und wiederholen frцhlich die Worte, doch so, daц?
jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und
fц?llt endlich auch mit ein.)
Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
(Alle gehen ab.)
Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lц?ц?t mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder,
diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kцnig sagen, dies sei'n die Folgen
meiner Gц?te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden
Augenblick, das Rц?tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich frц?her
mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschц?tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiц?, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der ц?bermut der
fremden Lehrer hat sich tц?glich erhцht; sie haben unser Heiligtum
gelц?stert, die stumpfen Sinne des Pцbels zerrц?ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrц?hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kцnig nicht denke, man
wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch
gelindes, dem ц?bel zu steuern. O was sind wir Groц?en auf der Woge der
Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und
nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den Kцnig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kцnnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfц?hrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausfц?hrlich und umstц?ndlich, wie es der Kцnig liebt. Ich
erzц?hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstц?rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine rasende Menge, mit Stц?ben, Beilen, Hц?mmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klцster anfallen, die Andц?chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altц?re niederreiц?en, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemц?lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiц?en, zertreten. Wie sich der
Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erцffnen.
Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwц?sten, die Bibliothek des
Bischofs verbrennen. Wie eine groц?e Menge Volks, von gleichem Unsinn
ergriffen, sich ц?ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwцrung sich erklц?rt und ausgefц?hrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das ц?bel werde nur grцц?er
und grцц?er werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
ц?hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mцgen. Ihr sagtet oft im Scherze: б'Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer
handelt, muц? fц?rs Nц?chste sorgen.б' Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzц?hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ц?ndern zu kцnnen.
Machiavell. Ein Wort fц?r tausend: Ihr unterdrц?ckt die neue Lehre
nicht. Laц?t sie gelten, sondert sie von den Rechtglц?ubigen, gebt ihnen
Kirchen, faц?t sie in die bц?rgerliche Ordnung, schrц?nkt sie ein; und so
habt Ihr die Aufrц?hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kцnne? Weiц?t du nicht, wie er
mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? daц? er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hц?lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die
wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinц?berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nц?he heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schц?rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll
Vorschlц?ge tun, daц? er nachsehe, daц? er dulde? Wц?rde ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich weiц? wohl; der Kцnig befiehlt, er lц?ц?t Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemц?ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die grцц?ten Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ц?ndert? Mцchte doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daц? es einem Kцnige anstц?ndiger ist, Bц?rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiц? wohl, daц? Politik
selten Treu und Glauben halten kann, daц? sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieц?t. In weltlichen Geschц?ften ist
das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter
einander? Sollen wir gleichgц?ltig gegen unsre bewц?hrte Lehre sein, fц?r
die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht ц?bler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiц?, daц? einer ein
ehrlicher und verstц?ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den nц?chsten
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Mц?nner, die ich schц?tzen und tadeln muц?.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, daц? mir Egmont heute einen recht
innerlichen tiefen Verdruц? erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewцhnliches, durch Gleichgц?ltigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. б'Seht, was
in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kцnig sich
alles versprach?б'
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wц?re,
versetzte er: б'Wц?ren nur erst die Niederlц?nder ц?ber ihre Verfassung
beruhigt! Das ц?brige wц?rde sich leicht geben.б'
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlц?nder sieht, daц? es
mehr um seine Besitztц?mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun
ist? Haben die neuen Bischцfe mehr Seelen gerettet, als fette Pfrц?nden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlц?ndern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daц? sie die grцц?te, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art
von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich
wieder Besitztц?mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
Maц?stab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewiц? nicht; und wollte, ich kцnnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so tц?t' es not, ich trц?te ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groц?e Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
Machiavell. Ein gefц?hrliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fц?rchte Oranien, und ich
fц?rchte fц?r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in
die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grцц?ter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehцrte.
Regentin. Er trц?gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestц?t
nicht ц?ber ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hц?ngen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hц?tte. Noch trц?gt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hцren; als wollte er nicht vergessen,
daц? seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht
Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn fц?r einen treuen Diener des Kцnigs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kцnnte er sich um die Regierung
machen; anstatt daц? er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsц?glichen
Verdruц? gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den
Adel mehr verbunden und verknц?pft als die gefц?hrlichsten heimlichen
Zusammenkц?nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gц?ste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschцpft. Wie oft setzt er
durch seine Scherzreden die Gemц?ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der Pцbel ц?ber die neuen Livreen, ц?ber die tцrichten Abzeichen der
Bedienten!
Machiavell. Ich bin ц?berzeugt, es war ohne Absicht.
Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nц?tzt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mц?ц?ig und
nachlц?ssig zu scheinen, mц?ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er
ist gefц?hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwцrung; und ich
mц?ц?te mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daц? er mich nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefц?lligen Spiegel. Sein Betragen
ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der vцlligen
ц?berzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefц?lligkeit nicht
fц?hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde
sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glц?ckliches
Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefц?hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlц?ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stц?rken sein Vertrauen, seine Kц?hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkц?rlichen Unmut des Kцnigs schц?tzen. Untersuch es
genau; an dem ganzen Unglц?ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht
genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daц? wir etwas zu schaffen
hatten. Laц? mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser
Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieц?en; ich
weiц?, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwц?lzen; sie sollen sich mit mir dem
ц?bel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklц?ren. Eile,
daц? die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewц?hrten Vaska nach Madrid; er ist unermц?det und treu;
daц? mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daц? der Ruf ihn
nicht ц?bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bц?rgerhaus
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klц?rchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hц?bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hц?bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstц?ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel gerц?hret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fц?hret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hц?tt' ich ein Wц?mslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' ц?berall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schieц?en darein.
Welch Glц?ck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem Singen Klц?rchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Trц?nen kommen ihm in die Augen, er
lц?ц?t den Strang fallen und geht ans Fenster. Klц?rchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlц?ssig wieder um und setzt sich.)
Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hцre marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tц?gliche Wache, das sind
weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hцrt einmal, was es
gibt. Es muц? etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den
Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart tut mir weh. Ich weiц? immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daц?
er es so lebendig fц?hlt. - Kann ich's doch nicht ц?ndern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muц? ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drц?ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaц?t. Ich mache mir Vorwц?rfe, daц? ich ihn betriege, daц? ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nц?hre. Ich bin ц?bel dran. Weiц?
Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daц? er hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hц?tte ihn heiraten kцnnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glц?cklich wц?rst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wц?re versorgt und hц?tte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiц? ich's wohl und weiц? es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wц?re mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht das glц?cklichste Geschцpf von der Welt
sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglц?cklich gemacht! mich unglц?cklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr lieц?et es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lц?chelte,
nickte, mich grц?ц?te: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwц?rfe.
Klare (gerц?hrt). Wenn er nun цfter die Straц?e kam, und wir wohl
fц?hlten, daц? er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht
selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, daц? es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zurц?ckgehaltenen Trц?nen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehц?llt, bei der Lampe ц?berraschte, wer war
geschц?ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fц?rchten, daц? diese unglц?ckliche Liebe das
kluge Klц?rchen so bald hinreiц?en wц?rde? Ich muц? es nun tragen, daц?
meine Tochter -
Klare (mit ausbrechenden Trц?nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu ц?ngstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine
Betrц?bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daц? meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschцpf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? -
Welche Fц?rstin neidete nicht das arme Klц?rchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
Mutter. Man muц? ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groц?e Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbц?rge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tц?r rauscht? - Ob ich schon weiц?,
daц? er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wц?r' ich nur ein Bube und kцnnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und ц?berall hin! Kцnnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser
an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens
war sein Name in den Liedern! das ц?brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hц?tte sie gern zurц?ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschц?mt hц?tte.
Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrц?tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du
den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst:
б'Graf Egmont!б' - Ich ward feuerrot.
Klare. Hц?tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten
in der Beschreibung C. Steht da: б'Graf Egmont, dem das Pferd unter dem
Leibe totgeschossen wird.б' Mich ц?berlief's - und hernach muц?t' ich lachen
ц?ber den holzgeschnitzten Egmont, der so groц? war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir als Mц?dchen fц?r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von
ihm erzц?hlten, und von allen Grafen und Fц?rsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie steht's?
Brackenburg. Man weiц? nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mцchte sich hieher
verbreiten. Das Schloц? ist stark besetzt, die Bц?rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl.
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter
ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn; und da sie es dafц?r aufnimmt und mich gehen lц?ц?t, mцcht' ich
rasend werden. - Unglц?cklicher! und dich rц?hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder
Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: б'Brutus' Rede fц?r
die Freiheit, zur ц?bung der Redekunstб', da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor sagte: б'Wenn's nur ordentlicher wц?re, nur nicht alles so
ц?bereinander gestolpert.б' - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mц?dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lц?nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
daц? sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlц?ц?t, da sie mich zц?chtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Lц?ge, eine schц?ndliche verleumderische Lц?ge! Klц?rchen ist so unschuldig,
als ich unglц?cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestoц?en - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
- - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich
sterbe unter dem Getц?mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein Schuц? fц?llt, mir fц?hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stц?rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geц?ngstete Natur
war stц?rker; ich fц?hlte, daц? ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - - Kцnnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glц?ck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuц? des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste Kuц?! Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fц?hlte
ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flц?schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst
aus meines Bruders Doktorkц?stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiц?e auf einmal
verschlingen und lцsen.
Zweiter Aufzug
Platz in Brц?ssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es wц?rde schwere Hц?ndel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daц? sie die Kirchen in Flandern geplц?ndert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wц?nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hц?tten eher, in
der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und
drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiц?t
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hц?ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lц?rmen
anfц?ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande, worauf wir uns auch berufen mц?ssen, und bringen das Land in
Unglц?ck.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daц? die
Bilderstц?rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrц?hren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie
auц?er Fassung. Es muц? sehr arg sein, daц? sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flц?chten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschц?tzt uns,
und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbц?rte. Und wenn sie uns
unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhц?lt, so wollen wir sie auf den
Hц?nden tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Hц?ndel! ц?ble Hц?ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hц?tet euch, daц? ihr stille bleibt, daц? man euch nicht auch
fц?r Aufwiegler hц?lt.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiц?, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischцfe lц?stern, die den Kцnig nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grц?ц?' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Kцpfe zusammen. Es ist
immer redenswert.
Soest. Ich denk auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hц?tte, und einer oder
der andere den Kopf dazu: wir kцnnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So mц?ц?t Ihr nicht reden. Wir haben dem Kцnig
geschworen.
Vansen. Und der Kцnig uns. Merkt das.
Jetter. Das lц?ц?t sich hцren! Sagt Eure Meinung.
Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaц? Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bц?cher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederlц?nder zuerst einzelne Fц?rsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
fц?r ihren Fц?rsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er ц?ber die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstц?nde.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiц? man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bц?rger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. Laц?t ihn reden; man erfц?hrt immer etwas mehr.
Soests. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzц?hlt! erzц?hlt! So was hцrt man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bц?rgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb' von euern Eltern ц?berkommen habt, so laц?t ihr auch
das Regiment ц?ber euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten;
und ц?ber das Versц?umnis haben euch die Spanier das Netz ц?ber die Ohren
gezogen.
Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tц?gliche Brot hat.
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kцnig in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glц?ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fц?rsten, die sie ehemals einzeln besaц?en. Begreift
ihr das?
Jetter. Erklц?rt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Mц?ц?t ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kц?me das?
Ein Bц?rger. Wahrlich!
Vansen. Hat der Brц?sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kц?me denn das?
Anderer Bц?rger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laц?t, wird man's euch bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der Kц?hne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fц?nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
Soests. Ja, ja! Die alten Fц?rsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paц?ten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Vц?ter
waren Leute! Die wuц?ten, was ihnen nц?tz war! Die wuц?ten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mц?nner! Dafц?r sind aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzц?hlt noch
was von unsern Privilegien.
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soests. Sagt an.
Jetter. Laц?t hцren.
Ein Bц?rger. Ich bitt Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soests. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schцn! Schцn! nicht beweisen.
Soests. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrц?cklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bц?rger. Ja, wir mц?ssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort fц?hren, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Trцpfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zц?hne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stц?nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verц?ndern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert
Jahren her.
Bц?rger. Und wir leiden die neuen Bischцfe? Der Adel muц? uns
schц?tzen, wir fangen Hц?ndel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen fц?r unser
Bestes!
Vansen. Eure Brц?der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund!
(Er schlц?gt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bц?rger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bц?rger stehn und
gaffen, Volk lц?uft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnц?diger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bц?rger gegen Bц?rger! Hц?lt sogar
die Nц?he unsrer kцniglichen Regentin diesen Unsinn nicht zurц?ck? Geht
auseinander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein ц?bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrц?mmern werden - Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krц?mer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fц?r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daц? Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe. - Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr
seid ц?bel genug angeschrieben. Reizt den Kцnig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die Gewalt in Hц?nden. Ein ordentlicher Bц?rger, der sich ehrlich und
fleiц?ig nц?hrt, hat ц?berall so viel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Sцffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stц?nkern aus
Langerweile und scharren aus Hunger nach Privilegien und lц?gen den
Neugierigen und Leichtglц?ubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen, fangen sie Hц?ndel an, die viel tausend Menschen unglц?cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hц?user und Kasten zu gut
verwahrt; da mцchten sie gern uns mit Feuerbrц?nden davontreiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maц?regeln genommen,
dem ц?bel krц?ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daц? sie sich auf den Straц?en rotten. Vernц?nftige Leute kцnnen
viel tun.
(Indessen hat sich der grцц?te Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken fц?r die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnц?diger Herr! der echte
Niederlц?nder! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hц?tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das lц?ц?t der Kцnig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schцner Herr!
Jetter. Sein Hals wц?r' ein rechtes Fressen fц?r einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
Jetter. Dumm genug, daц? einem so etwas einfц?llt. - Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schцnen langen Hals sehe, muц? ich gleich wider Willen
denken: der ist gut kцpfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den sц?h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden Spaц? hab ich bald
vergessen; die fц?rchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne
gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretц?r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
Sekretц?r. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,. die Papiere vor mir; und eben heute mцcht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. б'Sei auf die Stunde daб', befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht
fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt'
ich's besser, wenn er strenge wц?re und lieц?e einen auch wieder zur
bestimmten Zeit. Man kцnnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun
schon zwei Stunden weg; wer weiц?, wen er unterwegs angefaц?t hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretц?r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieц?lich
Gesicht.
Sekretц?r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind
die Papiere!
Egmont. Donna Elvira wird bцse auf mich werden, wenn sie hцrt, daц?
ich dich abgehalten habe.
Sekretц?r. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schц?me dich nicht. Du zeigst einen guten
Geschmack. Sie ist hц?bsch; und es ist mir ganz recht, daц? du auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretц?r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, daц? wir die Freude zu Hause haben und sie nicht
von auswц?rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretц?r. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag an! das Nцtigste!
Sekretц?r. Es ist alles nцtig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretц?r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkц?hnheiten?
Sekretц?r. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretц?r. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hц?ngen lassen?
Egmont. Ich bin des Hц?ngens mц?de. Man soll sie durchpeitschen, und
sie mцgen gehen.
Sekretц?r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
Sekretц?r. Brink von Bredas Kompanie will heiraten. Der Hauptmann
hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daц?, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeunergeschleppe ц?hnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schцner junger Kerl; er
bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten Spaц? zu versagen.
Sekretц?r. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mц?del,
einer Wirtstochter, ц?bel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mц?dchen ist, und sie haben Gewalt
gebraucht, so soll er sie drei Tage hintereinander mit Ruten streichen
lassen, und wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daц?
dem Mц?dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretц?r. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwцrt, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daц? er das zweitemal nicht so wegkommt.
Sekretц?r. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kцnne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grцц?te Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muц? herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretц?r. Er sagt, er werde sein mцglichstes tun und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretц?r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretц?r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermцgen; es ist bцser Wille.
Er macht gewiц? Ernst, wenn er sieht, Ihr spaц?t nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebц?hr einen halben Monat zurц?ckhalten; man
kцnne indessen Rat schaffen; sie mцchten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nцtiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
Sekretц?r. Woher befehlt Ihr denn, daц? er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon
gesagt.
Sekretц?r. Deswegen tut er die Vorschlц?ge.
Egmont. Die taugen nicht, er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschlц?ge tun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretц?r. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daц? ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausfц?hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. Gewiц?,
er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem Verhaц?ten ist mir das
Schreiben das Verhaц?teste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in
meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu; und wц?nschte
selbst, daц? ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben wц?rde.
Sekretц?r. Sagt mir nur ungefц?hr Eure Meinung; ich will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daц? sie
vor Gericht fц?r Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedц?chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrц?t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und mein Glц?ck und fц?hlt nicht,
daц? der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er mцge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon
wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiц? sein.
Sekretц?r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. Daц? ich frцhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe, das ist mein Glц?ck; und ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewцlbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen
Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen
bedц?chtigen Hofkadenz zu mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken?
Soll ich den gegenwц?rtigen Augenblick nicht genieц?en, damit ich des
folgenden gewiц? sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretц?r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefц?llig
Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfц?ltig er ist, wie leis
er Euch berц?hrt.
Egmont. Und doch berц?hrt er immer diese Saite. Er weiц? von alters
her, wie verhaц?t mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wц?re und auf dem gefц?hrlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tцten? Laц?t jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
Sekretц?r. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und
liebt -
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Mц?rchen
auf, was wir an einem Abend in leichtem ц?bermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen; und was man daraus fц?r Folgen und Beweise
durchs ganze Kцnigreich gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener ц'rmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bц?ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefц?hrlicher Symbol fц?r alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daц? eine ganze edle Schar mit Bettelsц?cken und
mit einem selbstgewц?hlten Unnamen dem Kцnige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedц?chtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu
miц?gцnnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blцц?e hц?ngen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am
Abend uns keine Lust zu hoffen ц?brigbleibt: ist's wohl des An- und
Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu ц?berlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schц?lern und Hцflingen ц?berlassen. Die
mцgen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie
kцnnen, erschleichen, was sie kцnnen. - Kannst du von allem diesem etwas
brauchen, daц? deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten
Alten scheint alles viel zu wichtig. So drц?ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stц?rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretц?r. Verzeiht mir, es wird dem Fuц?gц?nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaц?t, die Zц?gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die
Rц?der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiц? es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
Sekretц?r. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch und kann und muц? noch hцher steigen; ich
fц?hle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel
nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht
ц?ngstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind,
ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwц?rts in die Tiefe stц?rzen; da
lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmц?ht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretц?r. O Herr! Ihr wiц?t nicht, was fц?r Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nцtigsten ist, daц? die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laц? bis morgen; versц?ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grц?ц?e sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretц?r ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts
Auц?erordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daц? sie zurц?ckhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pцbels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch fц?r ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gesprц?che zu ihrem alten gewцhnlichen
Diskurs: daц? man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederlц?ndern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daц? nichts
einen erwц?nschten Ausgang nehmen wolle, daц? sie am Ende wohl mц?de werden,
der Kцnig sich zu andern Maц?regeln entschlieц?en mц?sse. Habt Ihr das
gehцrt?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die mцchten immer gern, daц? sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daц? jeder Herkules die Lцwenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daц?, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gц?rung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mц?chtige Nebenbuhler
gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen lieц?e und
die widrigsten Elemente sich zu ihren Fц?ц?en in sanfter Eintracht
vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so
hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich ц?ber Undankbarkeit,
Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu
drohen, und zu drohen - daц? sie fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daц? sie ihre Drohung erfц?llt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Kцnigin; glaubst du, daц? sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhц?ltnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hц?lt sie dieser Entschlieц?ung nicht fц?hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurц?cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstц?nde treiben sie zu dem lang verzцgerten Entschluц?. Wenn
sie ginge? und der Kцnig schickte einen andern?
Egmont. Nun, der wц?rde kommen, und wц?rde eben auch zu tun finden. Mit
groц?en Planen, Projekten und Gedanken wц?rde er kommen, wie er alles
zurechtrц?cken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und wц?rde heut mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, ц?bermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwц?rfen, einen andern mit Verdruц?
ц?ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen ц?ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daц? er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in
diesem Sturme vom Felsen hц?lt.
Oranien. Wenn man nun aber dem Kцnig zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wц?re?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhц?ltnisse am
Herzen, ich stehe immer wie ц?ber einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners fц?r unbedeutend; und wie mц?ц?ige Menschen mit der grцц?ten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekц?mmern, so halt ich es fц?r
Pflicht, fц?r Beruf eines Fц?rsten, die Gesinnungen, die Ratschlц?ge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befц?rchten. Der
Kцnig hat lange nach gewissen Grundsц?tzen gehandelt; er sieht, daц? er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daц? er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muц? man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fц?rsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefц?rchtet! Es ist keine
Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
Gewiц?heit geworden.
Egmont. Und hat der Kцnig treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander kцnnen wir
gestehen, daц? wir des Kцnigs Rechte und die unsrigen wohl abzuwц?gen
wissen.
Egmont. Wer tut's nicht? Wir sind ihm untertan und gewц?rtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit
nennte, was wir heiц?en: auf unsre Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen kцnnen. Er rufe die Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wц?re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rц?ten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tцricht wц?ren?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mцglich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen? - Uns gefangenzunehmen, wц?r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht ц?bers Land brц?chte,
wц?rde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der Kцnig allein; und wollten sie
meuchelmцrderisch an unser Leben? - Sie kцnnen nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund wц?rde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haц? und
ewige Trennung vom spanischen Namen wц?rde sich gewaltsam erklц?ren.
Oranien. Die Flamme wц?tete dann ц?ber unserm Grabe, und das Blut
unsrer Feinde flцsse zum leeren Sц?hnopfer. Laц? uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weiц? es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich ц?berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belц?stigen? Das Volk wird hцchst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Hц?upter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. Laц? uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstц?rken; mit offner Gewalt fц?ngt er nicht an.
Egmont. Mц?ssen wir ihn nicht begrц?ц?en, wenn er kommt?
Oranien. Wir zцgern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Kцnigs bei seiner Ankunft
fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflц?chte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er drauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklц?rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laц? dich nicht durch Klugheit verfц?hren; ich weiц?, daц? Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwц?stet hat. Dein Weigern ist das
Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mц?hselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Stц?dte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die
Verwц?stung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluц? herunter werden dir die
Leichen der Bц?rger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daц? du
mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weiц?t, wessen Sache du verteidigst,
da die zugrunde gehen, fц?r deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie
wird dir's sein, wenn du dir still sagen muц?t: б'Fц?r meine Sicherheit
ergriff ich sie.б'
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
fц?r Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns fц?r Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, muц? sich selbst verdц?chtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rц?ckwц?rts gehen.
Egmont. Das ц?bel, das du fц?rchtest, wird gewiц? durch deine Tat.
Oranien. Es ist klug und kц?hn, dem unvermeidlichen ц?bel
entgegenzugehn.
Egmont. Bei so groц?er Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in
Anschlag.
Oranien. Wir haben nicht fц?r den leisesten Fuц?tritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Kцnigs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlц?pfrig.
Egmont. Bei Gott! man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daц? man
unwц?rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fц?hig.
Oranien. Die Kцnige tun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
Oranien. Eben diese Kenntnis rц?t uns, eine gefц?hrliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefц?hrlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muц? mit meinen Augen sehen.
Oranien. O sц?hst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daц? der
Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal
verschlingt. Vielleicht zцgert er, um seinen Anschlag sicherer
auszufц?hren; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich! - Leb wohl! - Laц?
deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fц?r Macht die Regentin behц?lt, wie deine Freunde
gefaц?t sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laц? dich ц?berreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Trц?nen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mц?nnlich.
Egmont. Du wц?hnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont (allein). Daц? andrer Menschen Gedanken solchen Einfluц? auf uns
haben! Mir wц?r' es nie eingekommen; und dieser Mann trц?gt seine
Sorglichkeit in mich herц?ber. - Weg! - Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Dritter Aufzug
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
Margarete. Ich hц?tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mц?he und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Mцglichste; und der
von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mцgliche. - O
die Kцnige! - Ich hц?tte nicht geglaubt, daц? es mich so verdrieц?en
kцnnte. Es ist so schцn zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiц? nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet nц?her, Machiavell. Ich denke hier ц?ber den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthц?lt?
Regentin. So viel zц?rtliche Aufmerksamkeit fц?r mich als Sorgfalt fц?r
seine Staaten. Er rц?hmt die Standhaftigkeit, den Fleiц? und die Treue,
womit ich bisher fц?r die Rechte seiner Majestц?t in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daц? mir das unbц?ndige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen ц?berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens so auц?erordentlich zufrieden, daц? ich fast
sagen muц?, der Brief ist fц?r einen Kцnig zu schцn geschrieben, fц?r
einen Bruder gewiц?.
Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daц? er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erstemal, daц? es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine ц?ble Figur
spielen! Wir hц?tten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner
unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die
dem Bц?rger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, groц?e
Sprц?nge zu machen.
Machiavell. Es wц?rde die Gemц?ter ц?uц?erst aufbringen.
Regentin. Der Kцnig meint aber, hцrst du? - Er meint, daц? ein
tц?chtiger General, so einer, der gar keine Rц?son annimmt, gar bald mit
Volk und Adel, Bц?rgern und Bauern fertig werden kцnne; - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der Kцnig fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich mцcht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich mцchte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daц?
er fцrmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretц?r aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mцchten's gern
gesц?ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als
wenn ich den Kцnig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sц?he.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mц?ц?ig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lц?ц?t, der gerade Alonzo, der fleiц?ige Freneda, der
feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mц?chtig wird. Da sitzt aber der hohlц?ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zц?hnen von Weibergц?te,
unzeitigem Nachgeben und daц? Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spц?ц?e,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhцren mц?ssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemц?lde einen guten Farbentopf gewц?hlt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen kцnnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei
ihm gleich ein Gotteslц?sterer, ein Majestц?tsschц?nder: denn aus diesem
Kapitel kann man sie alle sogleich rц?dern, pfц?hlen, vierteilen und
verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiц? in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hц?ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem
Kцnige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkц?hnheit, daц? er
sich vorstellt, sie frц?ц?en sich hier einander auf, wenn eine flц?chtig
vorц?bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faц?t er einen recht herzlichen Haц? auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wц?hnt, so bц?ndige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in
Staatsgeschц?ften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrц?ngt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. - Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschц?tzen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was anders enthц?lt; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fц?rchte, getan, und was
ich wц?nsche, weit abwц?rts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich kцnnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsц?glicher Geduld beruhigte, wird er durch
Hц?rte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und ц?berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab ich ц?ber mich, um stille zu sein. Laц?
ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrц?ngt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daц? jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste
gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz
behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und
genieц?t.
Klц?rchens Wohnung
Klц?rchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klц?rchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glц?cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tц?test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klц?rchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrц?bt -
Glц?cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Laц? das Heiopopeia.
Klц?rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krц?ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groц?es Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergц?ц?est du
nur nicht alles ц?ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glц?cklich machen.
Klц?rchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und
ц?berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schцne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klц?rchen (schaudert, schweigt und fц?hrt auf). Mutter, laц?t die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn wir mц?ssen - dann - wollen wir uns gebц?rden, wie wir kцnnen -
Egmont, ich dich entbehren! - (In Trц?nen.) Nein, es ist nicht mцglich,
nicht mцglich.
Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrц?ckt).
Klц?rchen!
Klц?rchen (tut einen Schrei, fц?hrt zurц?ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sц?ц?er!
Kommst du? bist du da!
Egmont. Guten Abend, Mutter.
Mutter. Gott grц?ц?' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daц? Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hц?tten.
Klц?rchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter. Schmal genug.
Klц?rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groц?en Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klц?rchen (stampft mit dem Fuц?e und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klц?rchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuц?
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten mцchte, da nimmt er sich zusammen,
faц?t sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber -
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muц? in die Kц?che; Klц?rchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mц?ц?t
fц?rliebnehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wц?rze. (Mutter ab.)
Klц?rchen. Und was wц?re denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klц?rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvцrderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prц?chtigen Kleide da.)
Klц?rchen. O je!
Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klц?rchen. Laц?t! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurц?ck.) Wie
prц?chtig! Da darf ich Euch nicht anrц?hren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu
kommen.
Klц?rchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klц?rchen. Das hat dir der Kaiser umgehц?ngt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trц?gt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter ц?ber meine
Handlungen als den Groц?meister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
Klц?rchen. O du dц?rftest die ganze Welt ц?ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiц? nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klц?rchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzц?hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles Groц?en und Kostbaren, was man mit Mц?h und
Fleiц? verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
Egmont. Was willst du sagen?
Klц?rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klц?rchen. Ich habe sie nicht mit Mц?h und Fleiц? erworben, nicht
verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst - und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klц?rchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung ц?ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hц?tt' ich nur etwas fц?r sie getan! kцnnt' ich etwas fц?r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klц?rchen. Du warst gewiц? heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klц?rchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klц?rchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sц?he
tief genug, wenn sie auch nicht argwцhnisch wц?re. Ich mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich
keine habe.
Klц?rchen. So gar keine?
Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den Fц?ssern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung fц?r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daц? er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach
seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl
richten mцchte.
Klц?rchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klц?rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klц?rchen. Ich kцnnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mц?nnlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nц?hterinnen und
Kцchinnen. Sie ist groц?, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klц?rchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bц?rtchen auf der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klц?rchen. Eine majestц?tische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu
treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wц?re auch nicht Furcht,
nur jungfrц?uliche Scham.
Klц?rchen (schlц?gt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mц?dchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er kц?ц?t ihre Augen.)
Klц?rchen. Laц? mich schweigen! Laц? mich dich halten. Laц? mich dir in
die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der groц?e Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hц?ngen?
Egmont. Nein, Klц?rchen, das bin ich nicht.
Klц?rchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klц?rchen! - Laц? mich sitzen! (Er setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen Schoц? und sieht
ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrieц?licher, steifer, kalter Egmont, der
an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muц?; geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fц?r froh und frцhlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht weiц?, was es will; geehrt und in die
Hцhe getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht ц?berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm auf alle Weise beikommen mцchten; arbeitend und sich bemц?hend, oft
ohne Zweck meist ohne Lohn - O laц? mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klц?rchen, der ist ruhig, offen, glц?cklich,
geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit
voller Liebe und Zutrauen an das seine drц?ckt. (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
Klц?rchen. So laц? mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Vierter Aufzug
Straц?e
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als daц? uns von Neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an. Hц?tet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der Straц?e zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklц?rt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung miц?billigen.
Jetter. O unsre Kцpfe!
Zimmermeister. Und mit groц?em Versprechen werden Vц?ter, Mц?tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, daц? sie weder an
Leibe, noch Ehre, noch Vermцgen einige Krц?nkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnц?dig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wц?re der Himmel mit einem schwarzen
Flor ц?berzogen und hinge so tief herunter, daц? man sich bц?cken mц?sse, um
nicht dran zu stoц?en.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnц?rt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und sieht so steif und mц?rrisch aus, daц? du auf allen Ecken einen
Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit
ausgegrц?tschten Beinen da, hatten den Hut ц?berm Ohr, lebten und lieц?en
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft. б'Halt!б' und anschlц?gt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wц?re gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! Laц?t uns gehen.
Soest. Wiц?t ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie lieц? dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daц? er uns diese neue Geiц?el
ц?ber den Hals gelassen hat. Sie hц?tten es abwenden kцnnen. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stц?rken ihn alle Heiligen, daц? er sein Bestes
tut; der ist allein was vermцgend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fц?rbaц?.
Vansen. Ihr seid nicht hцflich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlц?ge
was gegeben hц?tte, wц?re sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spц?rt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbц?rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald woanders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mц?use, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biц?chen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! Laц? du den Herzog nur gewц?hren. Der alte
Kater sieht aus, als wenn er Teufel statt Mц?use gefressen hц?tte und
kцnnte sie nun nicht verdauen. Laц?t ihn nur erst; er muц? auch essen,
trinken, schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir
unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch
finden, daц? in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mц?uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hц?tte, hielt' ich mich keine Minute fц?r
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig! Gott im Himmel erfц?hrt nichts von euch
Wц?rmern, geschweige der Regent.
Jetter. Lц?stermaul!
Vansen. Ich weiц? andere, denen es besser wц?re, sie hц?tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fц?rchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und kцnnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kцnnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde
hц?tte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betriegen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwц?tzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wц?nschen, daц? sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt mц?ц?te.
Jetter. Ihr redet recht unverstц?ndig; er ist so sicher wie der Stern
am Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr eure Rippen fц?r ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachц?ffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke ц?ber Eure Unverschц?mtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befц?rchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt ц?berall im Vorteil. Auf dem
Armensц?nderstц?hlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll
abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe
erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen
verhцrt hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhцren, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhцren ist, da verhцrt man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's
heiц?en, und sagt alles geradezu, was ein Verstц?ndiger verbц?rge. Dann
macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und paц?t ja auf, wo
irgendein Widersprц?chelchen erscheinen will; da knц?pft er seinen Strick
an, und lц?ц?t sich der dumme Teufel betreten, daц? er hier etwas zu viel,
dort etwas zu wenig gesagt oder wohl gar aus Gott weiц? was fц?r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich
hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre
euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem
Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrц?ckten, verdrц?ckten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeigen
und Umstц?nden sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkц?nstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hц?ngen zu
kцnnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hц?ngen
sehen.
Jetter. Der hat eine gelц?ufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbц?uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfц?ц?igen, schmalleibigen, die vom Fraц?e
nicht feist wird und recht dц?nne Fц?den zieht, aber desto zц?here.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein bцses Gewissen verfц?hren dich zu solchem
Geschwц?tz.
Vansen. Will ich ihm darum ц?bel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwц?rts schon
wц?ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlц?ge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde
antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brц?derschaft mit uns
trinken wц?rden. Wir wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein
paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wцlfe.
Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pц?nktlich. Alle tц?gliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plц?tzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewцhnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weiц? von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugц?nge
zum Palast kцnnen besetzt sein. Weiц?t du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daц? er recht
befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daц? du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muц?t. Mir
kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwц?tzen und
Rц?sonieren angewцhnt. Ihr schweigt alle und laц?t es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung
Flц?gel hц?tte. Neulich hцrt' ich ihn bei Tafel von einem frohen
freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem
ausgesteckten Branntweinzeichen, um Mц?ц?iggц?nger, Bettler und Diebe
hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefц?hrt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. Gewiц?! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Kцniglichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefц?hrlich achtete,
leicht und ohne Anstoц? zu leiten wuц?te! - Wir haben was gesehen, was
lernen kцnnen.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wц?re?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kцnigs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der Kцnig hieherkommt, bleibt gewiц? der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daц? der Kцnig kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daц? es hцchst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich ц?berreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kцnigs Absicht ja
nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiц?, daц? man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natц?rlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fц?rsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es fц?r dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurц?ck.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die tц?glichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugц?nge nach dem Palast besetzen
sollst. Das ц?brige weiц?t du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschц?tzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfц?hren, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daц? Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daц?
ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fц?rsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht,
die ц?brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pц?nktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht geц?ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere, ladet Gц?ste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel,
wц?rfelt, schieц?t und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben
dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei
sich; vor ihrer Tц?re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wц?re.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl ц?berhц?ufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
ц?ngstlichen Dank, fц?hlen, das Rц?tlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, kцnnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kц?hnes zu tun, hц?lt sie der Gemeingeist ab. Sie mцchten gern sich jedem
Verdacht entziehen und machen sich immer verdц?chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefц?hrt.
Alba. Ich freue mich nur ц?ber das Geschehene; und auch ц?ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch ц?brig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glц?ck ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswц?rdige zu
adeln und wohlц?berlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fц?rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die Straц?en zu
besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die ц?brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daц? er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dц?rfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fц?rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fц?rsten und
vieler Tausende wц?gen. Langsam wankt das Zц?nglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, straц?auf, straц?ab. Eure wohlverteilten Wachen halten die
Furcht so angespannt, daц? sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt
sieht einem Felde ц?hnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man
erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlц?pft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grц?ц?ten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben muц?te. б'Laц?t uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!б' rief er mir entgegen. Er
werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefц?llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme
lieferte. Zu mancher gefц?hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Frцhlichkeit. Nur vergiц? nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mцchte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nцtig
haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fц?rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
Miц?trauen, daц? ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu
tun hast, hцre; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wц?nscht' ich das
Grцц?te, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hц?lt uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich mцcht' ich alles
hц?ufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein mцcht' ich dir
einprц?gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufц?hren, wц?nscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein groц?es Erbteil, dem Kцnige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, daц? du dich nicht schц?men dц?rfest, unter deine Brц?der zu
treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht fц?r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun hцre, was zu tun ist. Sobald die Fц?rsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdц?chtigsten gefangenzunehmen. Du
hц?ltst die Wache am Tore und in den Hцfen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf
der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daц? sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich
ihm noch was zu sagen hц?tte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefц?hrlichsten Mann; und ich fasse
Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groц?e Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein bцser Genius. (Nachdem er den Brief
gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurц?ck. Er
bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklц?ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! -
Es rц?ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein groц?es Werk
ist getan oder versц?umt, unwiederbringlich versц?umt; denn es ist weder
nachzuholen, noch zu verheimlichen. Lц?ngst hatt' ich alles reiflich
abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in
diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum,
daц? nicht das Fц?r und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. -
Ist's rц?tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laц? Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlц?pfen, die nun,
vielleicht nur heute noch, in meinen Hц?nden sind? So zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groц?, wie schцn der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei ц?bel gestellt; wie in
einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch
zugerollt, dir unbewuц?t, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie einer, der etwas hцrt, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich
empfц?ngt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen Fuц? im Grab! und so mit
beiden! - ja streichl' es nur und klopfe fц?r seinen mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung,
wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! -
Hцrt!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich ц?ndre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib in der Nц?he. Auch dir raubt das Geschick das
groц?e Verdienst, des Kцnigs grцц?ten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen. (Alba bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Kцnigs zu vernehmen, zu hцren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wц?nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hцren.
Egmont. ц?ber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir tut es leid, daц? er uns eben in dieser wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wц?nscht der Kцnig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet krц?ftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vцllig und dauerhaft zu grц?nden.
Egmont. Ihr kцnnt besser wissen als ich, daц? schon alles genug
beruhigt ist, ja, noch mehr beruhigt war, eh die Erscheinung der neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemц?ter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rц?tlichste sei gewesen, wenn
der Kцnig mich gar nicht in den Fall gesetzt hц?tte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der Kцnig das Heer hц?tte schicken sollen, ob
nicht vielmehr die Macht seiner majestц?tischen Gegenwart allein stц?rker
gewirkt hц?tte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er
nicht. Wir aber mц?ц?ten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns
nicht erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufrц?hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit ц?berredung und List zur Ruhe und fц?hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurц?ck.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurц?ckgebannt. Aber hц?ngt es nicht von eines
jeden Willkц?r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bц?rgt uns, daц? sie sich ferner treu
und untertц?nig zeigen werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir
haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kцnig sicherer halten, als wenn
sie alle fц?r einen, einer fц?r alle stehn? Sicherer gegen innere und
ц?uц?ere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht ц?berreden sollen, daц? es jetzt hier
so steht?
Egmont. Der Kцnig schreibe einen Generalpardon aus, er beruhige die
Gemц?ter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zurц?ckkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestц?t des Kцnigs, der das Heiligtum der
Religion geschц?ndet, ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daц? ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo Gewiц?heit ist, daц? die ц?bel nicht wiederkehren werden? Waren Kцnige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine Beleidigung ihrer Wц?rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu groц? ist, als
daц? an ihn jede Lц?sterung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der Kцnig fц?r die Wц?rde Gottes und der
Religion, wir sollen fц?r das Ansehn des Kцnigs streiten. Was der obere
abzulehnen verschmц?ht, ist unsere Pflicht zu rц?chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
Egmont. Glaubst du, daц? du sie alle erreichen wirst? Hцrt man nicht
tц?glich, daц? die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Gц?ter, sich, ihre Kinder und Freunde flц?chten; der
Arme wird seine nц?tzlichen Hц?nde dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der Kцnig Rat und Tat von jedem Fц?rsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzц?hlung, wie es ist, was werden kцnnte, wenn man alles gehen
lieц?e, wie's geht. Einem groц?en ц?bel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal dreinschlagen, wie im
Fastnachtsspiel, daц? es klatscht und man doch etwas zu tun scheint, wenn
man nichts tun mцchte, heiц?t das nicht, sich verdц?chtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnц?gen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
mцchte!
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches
Mannes Absicht ist zu miц?deuten. Muц? man doch auch von allen Seiten
hцren: es sei des Kцnigs Absicht weniger, die Provinzen nach einfцrmigen
und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestц?t der Religion zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren
Besitztц?mern zu machen, die schцnen Rechte des Adels einzuschrц?nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die
Religion, sagt man, sei nur ein prц?chtiger Teppich, hinter dem man jeden
gefц?hrlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den
Knien, betet die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der
Vogelsteller, der sie berц?cken will.
Alba. Das muц? ich von dir hцren?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von Groц?en
und von Kleinen, Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederlц?nder fц?rchten ein doppeltes Joch, und wer bц?rgt ihnen fц?r ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schцnes Wort, wer's recht verstц?nde. Was wollen
sie fц?r Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun! - und
daran wird sie der Kцnig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kцnnen. Wц?re es nicht
besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn auswц?rtige
Feinde drц?ngen, an die kein Bц?rger denkt, der mit dem Nц?chsten nur
beschц?ftigt ist, und der Kцnig verlangt Beistand: dann werden sie uneins
unter sich, und verschwцren sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser
ist's, sie einzuengen, daц? man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein Kцnig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst ц?berlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst ц?berlassen mцchte. Man
tue, was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Mц?nner, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund fц?r sich, ein
kleiner Kцnig, fest, rц?hrig, fц?hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu
drц?cken sind sie; nicht zu unterdrц?cken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kцnigs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser fц?r ihn, fц?r sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflцц?te, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was nц?tzlich ist, kann ich hцren wie er.
Egmont. Ich wц?rde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, muц?t du seine Gedanken
ablernen, du muц?t nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum
wц?nscht der Bц?rger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weiц?, wie er gefц?hrt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verц?ndern? und sollte nicht eben dies sein schцnstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
kцnnen? Muц? nicht in einer Zeitfolge jedes Verhц?ltnis sich verц?ndern und
eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend ц?beln werden, weil
sie den gegenwц?rtigen Zustand des Volkes nicht umfaц?t? Ich fц?rchte, diese
alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in
welchen der Kluge, der Mц?chtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkц?rlichen Verц?nderungen, diese unbeschrц?nkten
Eingriffe der hцchsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daц? einer tun
will, was Tausende nicht tun sollen? Er will sich allein frei machen, um
jeden seiner Wц?nsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausfц?hren zu
kцnnen. Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kцnige, ganz vertrauten,
sagt er uns fц?r seine Nachkommen gut? daц? keiner ohne Rц?cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vцlliger Willkц?r, wenn
er uns seine Diener, seine Nц?chsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes
und seiner Bedц?rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natц?rlicher,
als daц? ein Kцnig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am liebsten auftrц?gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und ebenso natц?rlich ist's, daц? der Bц?rger von dem regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaц?t hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brц?dern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Wц?rden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sц?he man sich einer
strengen, kц?hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wц?rde eine Gц?rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflцste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hцren sollte: auch ich bin fremd.
Egmont. Daц? ich dir's sage, zeigt dir, daц? ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wц?nscht' ich es nicht von dir zu hцren. Der Kцnig
sandte mich mit Hoffnung, daц? ich hier den Beistand des Adels finden
wц?rde. Der Kцnig will seinen Willen. Der Kцnig hat nach tiefer
ц?berlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Kцnigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschrц?nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muц?, ihnen aufzudringen, die
schц?dlichen Bц?rger aufzuopfern, damit die ц?brigen Ruhe finden, des
Glц?cks einer weisen Regierung genieц?en kцnnen. Dies ist sein Entschluц?;
diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fц?rst beschlieц?en
sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemц?t, den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwц?chen, niederdrц?cken, zerstцren, um sie bequem
regieren zu kцnnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben;
gewiц? in der Absicht, sie glц?cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird sie miц?geleitet! Nicht dem Kцnige widersetzt man sich; man stellt
sich nur dem Kцnige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglц?cklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kцnige und verц?chtlich von
seinen Rц?ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
geprц?ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fц?r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bц?rgen dieser unbedingten Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Hц?upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab
ich erschц?ttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, daц? ich Euer Gesprц?ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen ц?berbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, daц? ich sehe, was er enthц?lt. (Tritt an die
Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schцnes Pferd, das Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich
denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefц?llt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
(Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurц?ckzieht.)
Egmont. Lebt wohl! Entlaц?t mich: denn ich wц?ц?te, bei Gott! nicht
mehr zu sagen.
Alba. Glц?cklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch
weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens
und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehц?ssig tun
kцnnte.
Egmont. Dieser Vorwurf rц?hrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug
und weiц?, wie ich dem Kцnig angehцre; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt zu sehen, und wц?nsche nur, daц? uns der Dienst des Herrn, das
Wohl des Landes bald vereinigen mцge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes
Gesprц?ch, die Gegenwart der ц?brigen Fц?rsten, die heute fehlen, in einem
glц?cklichern Augenblick, was heut unmцglich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
(Die Mitteltц?r цffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht?
Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der Kцnig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
(Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der Kцnig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit цfter des Kцnigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschц?tzt.
(Er geht durch die Mitteltц?r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fц?llt.)
Fц?nfter Aufzug
Straц?e
Dц?mmerung
Klц?rchen. Brackenburg. Bц?rger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klц?rchen. Komm mit, Brackenburg! Du muц?t die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiц?. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fц?hlt,
ich schwцr es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von
einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daц? sein
mц?chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhц?lt, wissen sie. Um
seinet- und ihretwillen mц?ssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
hцchsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mц?he wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglц?ckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klц?rchen. Sie scheint mir nicht unц?berwindlich. Laц? uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern
Mц?nnern! Hцrt, Freunde! Nachbarn, hцrt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? Laц? sie schweigen,
Klц?rchen. Tretet nц?her, daц? wir sachte reden, bis wir einig sind und
stц?rker. Wir dц?rfen nicht einen Augenblick versц?umen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dц?mmerung werd ich ц?ngstlicher.
Ich fц?rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier zu Quartier rufen wir die Bц?rger heraus. Ein jeder greife zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom
reiц?t einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und
ц?berschwemmt, und sind erdrц?ckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte
widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurц?ck, sieht sich befreit und
kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er
sieht vielleicht - gewiц? er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mц?dchen?
Klц?rchen. Kцnnt ihr mich miц?verstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tцdlich.
Klц?rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr trц?umt; besinnt euch. Seht
mich nicht so starr und ц?ngstlich an! Blickt nicht schц?chtern hie und da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wц?nscht. Ist meine Stimme nicht
eures Herzens eigne Stimme? Wer wц?rfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er
sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem
Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: б'Egmonts Freiheit oder den Tod!б'
Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglц?ck.
Klц?rchen. Bleibt! Bleibt, und drц?ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegendrц?ngtet! - Wenn der Ruf ihn
ankц?ndigte, wenn es hieц?: б'Egmont kommt! Er kommt von Gent!б' da hielten
die Bewohner der Straц?en sich glц?cklich, durch die er reiten muц?te. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hцrtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
ц?ber die bekц?mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure Kinder auf der Tц?rschwelle in die Hцhe und deutetet ihnen:
б'Sieh, das ist Egmont, der Grцц?te da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr
bessere Zeiten, als eure armen Vц?ter lebten, einst zu erwarten habt.б'
Laц?t eure Kinder nicht dereinst euch fragen: б'Wo ist er hin? Wo sind die
Zeiten hin, die ihr verspracht?б' - Und so wechseln wir Worte! sind mц?ц?ig,
verraten ihn.
Soest. Schц?mt Euch, Brackenburg! Laц?t sie nicht gewц?hren! Steuert
dem Unheil!
Brackenburg. Liebes Klц?rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht -
Klц?rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen Gewiц?heit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hцren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr
seid bestц?rzt und kцnnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden.
Laц?t durch die gegenwц?rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene
dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kцnnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht
der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fц?r wen ц?bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fц?r euch. Die
groц?e Seele, die euch alle trug, beschrц?nkt ein Kerker, und Schauer
tц?ckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfц?llen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klц?rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kцnnt' euch mein
Atem doch entzц?nden! kцnnt' ich an meinen Busen drц?ckend euch erwц?rmen
und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer von Kriegern wehend anfц?hrt, so soll mein Geist um eure
Hц?upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fц?rchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bц?rger ab.)
Brackenburg. Klц?rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klц?rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wцlben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fц?nf Kцpfe ц?bereinander; an diesen Tц?ren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so
lieb, wie sie ihn ehrten! Wц?re er Tyrann gewesen, mцchten sie immer vor
seinem Falle seitwц?rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hц?nde, die ihr
an die Mц?tzen grifft, zum Schwert kцnnt ihr nicht greifen - Brackenburg,
und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun sie fц?r ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte Schloц?. Es ist nichts unmцglich, gib mir einen
Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
Klц?rchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laц? doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hц?ltst du mich fц?r feig? Glaubst du
nicht, daц? ich um deinetwillen sterben kцnnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmцgliche? Wenn du dich faц?test!
Du bist auц?er dir.
Klц?rchen. Auц?er mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auц?er euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hцher
als euch allen. Jetzt schlц?gt mir's wieder hцher als euch allen! Ihr
verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fц?hlt nicht, daц? ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klц?rchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die Straц?en,
die du nur sonntц?glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du ц?bertrieben ehrbar zц?rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grц?ц?enden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
Klц?rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! Weiц?t du, wo meine Heimat ist? (Ab.)
Gefц?ngnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich
auch wie die ц?brigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies
Haupt herunter und kц?hltest wie ein schцner Myrtenkranz der Liebe meine
Schlц?fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stц?rme durch
Zweige und Blц?tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schц?ttelt dich nun? was
erschц?ttert den festen treuen Sinn? Ich fц?hl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer durchfц?hrt mich. Ja, sie ц?berwindet, die verrц?terische Gewalt;
sie untergrц?bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stц?rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen
dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der Tod dir fц?rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den ц?brigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist
er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich
entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem
Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten
Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fц?rsten, was leicht zu
entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprц?chen ц?berlegten, und zwischen
dц?stern Wц?nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrц?ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mцglich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehцren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nц?chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der
Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der
Berц?hrung unsrer Mutter krц?ftiger uns in die Hцhe reiц?en; wo wir die
Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fц?hlen; wo das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jц?gers glц?ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaц?t
und in fц?rchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glц?cks, das ich so lang
besessen; wo hat dich das Geschick verrц?terisch hingefц?hrt? Versagt es
dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gцnnen, um dir
des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der Fuц?. -
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laц? ab! - Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hц?lflos, nicht das Glц?ck. Ist die Gerechtigkeit des Kцnigs, der
du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du
darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glц?nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zurц?ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschlieц?t, so vieler Geister
wohlgemeintes Drц?ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich ц?ber sie ergoц?, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie rц?hren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie
nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter
springen, die Mauer stц?rzt von ihren Hц?nden ein, und der Freiheit des
einbrechenden Tages steigt Egmont frцhlich entgegen. Wie manch bekannt
Gesicht empfц?ngt mich jauchzend! Ach Klц?rchen, wц?rst du Mann; so sц?h'
ich dich gewiц? auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kцnige zu danken
hart ist, Freiheit.
Klц?rchens Haus
Klц?rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hцrt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster setzen, daц? er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche Gewiц?heit! -
Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kцnig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlц?ssigkeit ich viel gehцrt und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wц?re bцs genug, den Teuern anzufeinden? Wц?re
Bosheit mц?chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stц?rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faц?t, die Hand aus. Du hц?lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlц?ssel zu meiner Tц?r. An meiner Willkц?r hц?ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daц? ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, trц?ume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht lц?hmten, wie ich ihm helfen wц?rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuц?t, nicht fц?hig, ein Glied nach seiner Hц?lfe zu rц?hren. Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klц?rchen, ist wie du gefangen
und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Krц?fte. - Ich hцre
schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein
Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen цffnet dir die
nц?chtliche Tц?r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klц?rchen. Du kommst so bleich und schц?chtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die groц?en
Straц?en sind besetzt; durch Gц?ц?chen und durch Winkel hab ich mich zu dir
gestohlen.
Klц?rchen. Erzц?hl, wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klц?re, laц? mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide herц?ber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich. In Schmerzen floц? mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klц?rchen. Vergiц? das, Brackenburg! Vergiц? dich selbst. Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! ich weiц? es ganz genau.
Klц?rchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klц?rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen flieц?t sein Blut.
ц'ngstlich im Schlafe liegt das betц?ubte Volk und trц?umt von Rettung,
trц?umt ihres ohnmц?chtigen Wunsches Erfц?llung; indes unwillig ц?ber uns
sein Geist die Welt verlц?ц?t. Er ist dahin! - Tц?usche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein gewiц?, er lebt! - Und leider, es bereitet der
Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fц?rchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klц?rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nц?her und nц?her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herц?ber. Sag an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald dorten fielen, daц? auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gц?nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schц?rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes
Gerц?st entgegen, gerц?umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschц?ftig
waren viele rings umher bemц?ht, was noch von Holzwerk weiц? und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch einhц?llend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie
zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines
grц?ц?lichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weiц?es Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich
sah, und sah die schreckliche Gewiц?heit immer gewisser. Noch wankten
Fackeln hie und da herum; allmц?hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal
war die scheuц?liche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoц? zurц?ckgekehrt.
Klц?rchen. Still, Brackenburg! Nun still! Laц? diese Hц?lle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih
deinen Mantel der Erde, die in sich gц?rt; sie trц?gt nicht lц?nger die
abscheuliche Last, reiц?t ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerц?st hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum
Zeugen ihrer Wut geschц?ndet; vor des Boten heiliger Berц?hrung lцsen sich
Riegel und Bande, und er umgieц?t den Freund mit mildem Schimmer; er fц?hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klц?rchen. Leise, Lieber, daц? niemand erwache! daц? wir uns selbst
nicht wecken! Kennst du dies Flц?schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's
scherzend, als du mit ц?bereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun,
mein Freund -
Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
Klц?rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gцnne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erцffne, aus der kein Rц?ckweg ist,
kцnnt' ich mit diesem Hц?ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wц?hlt' ich, seine
Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quц?lte sich und mich,
verlangtest heiц? und immer heiц?er, was dir nicht beschieden war. Vergib
mir und leb wohl! Laц? mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen in sich faц?t. Nimm die letzte schцne Blume der Scheidenden mit
treuem Herzen ab - nimm diesen Kuц? - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
Brackenburg. So laц? mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulцschen.
Klц?rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner
Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wц?rde. Sei ihr, was ich
ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu
tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut
steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls
schlц?gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fц?r dich allein! Du tцtest
uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schцnsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
Klц?rchen. Leise, Brackenburg! Du fц?hlst nicht, was du rц?hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurц?ck.
Klц?rchen. Ich hab ц?berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betц?ubt; gehц?llt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
Klц?rchen. Weh! ц?ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiц?est du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich
ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bц?rger aus seinem
Fenster, die Nacht lц?ц?t einen schwarzen Flecken zurц?ck; er schaut, und
fц?rchterlich wц?chst im Lichte das Mordgerц?st. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich
nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trц?ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlц?gt.
Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sц?he sie sich um, und trinkt heimlich.)
Brackenburg. Klц?re! Klц?re!
Klц?rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der
Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lцsche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die Tц?r nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mцrder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie lц?ц?t mich zum letztenmale wie immer. O kцnnte eine
Menschenseele fц?hlen, wie sie ein liebend Herz zerreiц?en kann. Sie lц?ц?t
mich stehn, mir selber ц?berlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhaц?t. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hц?rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stцц?t ins Leben mich
zurц?ck. O Egmont, welch preiswц?rdig Los fц?llt dir! Sie geht voran; der
Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir
entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwц?rts stehn? den
unauslцschlichen Neid in jene Wohnungen hinц?bertragen? - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr fц?r mich, und Hцll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wц?re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglц?ckseligen will kommen!
(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverц?ndert. Eine
Musik, Klц?rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulцschen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefц?ngnis
Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlц?sseln, und die Tц?r tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fц?hrt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schц?ttelt. Was kц?nden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fц?rchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb
erwachten Seele vorzulц?gen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukц?ndigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schц?ndlichen Beginnen! In Nacht
gebrц?tet und in Nacht vollfц?hrt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kц?hn hervor, der du das Schwert
verhц?llt unter dem Mantel trц?gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschlieц?en, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So ц?bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und
liest's). б'Im Namen des Kцnigs, und kraft besonderer von Seiner Majestц?t
uns ц?bertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirб' -
Egmont. Kann die der Kцnig ц?bertragen?
Silva. б'Erkennen wir, nach vorgц?ngiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: daц? du mit der Frц?he des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefц?hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verrц?ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brц?ssel imб' (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daц? sie der Zuhцrer nicht versteht.)
б'Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwцlfe.б'
Du weiц?t nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mц?ц?ig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva,
ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst
du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daц? ich
unmц?nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, daц? er weder mich noch die
Welt belц?gt. Ihm, dem Ruhmsц?chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem
Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wц?rde des Kцnigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daц?
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man seiner bedц?rfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses,
seines kleinlichen Neides. Ja, ich weiц? es, und ich darf es sagen; der
Sterbende, der tцdlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jц?nger mit Wц?rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herц?bereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
ц'rgernis, mehr ц?ber mein Glц?ck als ц?ber seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verrц?terischen Blц?sse, als wir an
einem цffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die
Niederlц?nder wetteten und wц?nschten. Ich ц?berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun trifft mich sein Geschoц?. Sag ihm, daц? ich's weiц?, daц? ich ihn
kenne, daц? die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist
erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mцglich ist, von
der Sitte des Vaters zu weichen, ц?be beizeiten die Scham, indem du dich
fц?r den schц?mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mцchtest.
Ferdinand. Ich hцre dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine
Vorwц?rfe lasten wie Keulschlц?ge auf einem Helm; ich fц?hle die
Erschц?tterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht; fц?hlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreiц?t.
Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rц?hrt, was bekц?mmert dich? Ist
es eine spц?te Reue, daц? du der schц?ndlichen Verschwцrung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glц?ckliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versцhnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du
mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf
seine Gefahr tun; aber wer fц?rchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daц? ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fц?hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daц? ich erst spц?t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, daц? ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist
verloren; und ich Unglц?cklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mцrdern? Sage, rede!
Fц?r wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zц?rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gц?hnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkц?rlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, daц? ich den tiefsten
Schmerz empfinde, daц? ich taub gegen alles Schicksal, daц? ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
Ferdinand. O daц? ich ein Weib wц?re! daц? man mir sagen kцnnte: was
rц?hrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein grцц?eres, ein ungeheureres
ц?bel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken,
ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
Ferdinand. Laц? diese Leidenschaft rasen, laц? mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
Egmont. Lцse mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jц?ngling, des Jц?nglings der Mann. So bist du vor mir her
geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wц?hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die
Versicherung, daц? im ersten Augenblick mein Gemц?t dir entgegenkam. Und
hцre mich. Laц? uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tцten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wц?re nicht ein leeres Schreckbild mich zu
ц?ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und
dann mit kцniglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiц?.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hц?lfe, wer einen Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So hцre mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die ц?bermacht verabscheust, die mich gefesselt hц?lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst gewaltig - Laц? uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel
kцnnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lцse diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. Gewiц?, der Kцnig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt
ist er ц?berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und die Majestц?t muц? das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor
entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und
nц?hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quц?lt
mich, das greift und faц?t mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiц?, wie
jeder Kц?hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fц?hle mich mit dir
und mit allen andern gefesselt. Wц?rde ich klagen, hц?tte ich nicht alles
versucht? Zu seinen Fц?ц?en habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstцren.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem Fuц?e stampfend). Keine Rettung! - - Sц?ц?es Leben!
schцne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem
Gerц?usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getц?mmels gibst du mir ein
flц?chtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkц?rzest nicht
den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schцne, deinen Wert recht lebhaft fц?hlen und dann
mich entschlossen losreiц?en und sagen: Fahre hin!
Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kцnnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flцsse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmц?ц?ig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du ц?berwindest dich selbst und uns; du ц?berstehst; ich ц?berlebe
dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab ich mein Licht, im
Getц?mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trц?b scheint
mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fц?r mich die Todesschmerzen empfindet, fц?r mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War
dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frц?her, frц?her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hц?tte endigen kцnnen. Ich hцre auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod
nicht.
Ferdinand. Du hц?ttest dich fц?r uns erhalten kцnnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getцtet. Oft hцrt' ich, wenn kluge Mц?nner ц?ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang ц?ber deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefц?hrlichen Weg. Wie oft wц?nscht' ich, dich
warnen zu kцnnen! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu fц?hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem Schicksale gezogen. Laц? uns darц?ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge fц?r dieses Land! doch auch
dafц?r wird gesorgt sein. Kann mein Blut fц?r viele flieц?en, meinem Volke
Friede bringen, so flieц?t es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt dem Menschen, nicht mehr zu grц?beln, wo er nicht mehr wirken soll.
Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kцnnen? - Leb wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. Laц? meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daц? sie nicht zerstreut, nicht unglц?cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele! - Noch eins, und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist gewaltsam beschц?ftigt, fordert die Natur zuletzt
doch unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieц?t, so legt der Mц?de sich noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen
weiten Weg zu wandern hц?tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mц?dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weiц? ihre Wohnung; laц? dich von ihm fц?hren und lohn ihm
bis an sein Ende, daц? er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tц?r drц?ngend). Leb wohl!
Ferdinand. O laц? mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied.
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Tц?r und reiц?t sich dort von ihm
los. Ferdinand, betц?ubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los und
der Schmerzen, der Furcht und jedes ц?ngstlichen Gefц?hls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiц? auf meinem Lager wachend
hielt, das schlц?fert nun mit unbezwinglicher Gewiц?heit meine Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Sц?ц?er Schlaf! Du kommst wie ein reines Glц?ck ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du lцsest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert flieц?t der Kreis innerer
Harmonien, und eingehц?llt in gefц?lligen Wahnsinn, versinken wir und hцren
auf zu sein.
(Er entschlц?ft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erцffnen, eine glц?nzende Erscheinung zeigt
sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat die Zц?ge von Klц?rchen und neigt sich gegen
den schlafenden Helden. Sie drц?ckt eine bedauernde Empfindung aus, sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faц?t sie sich, und mit aufmunternder Gebц?rde
zeigt sie ihm das Bц?ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiц?t ihn
froh sein, und indem sie ihm andeutet, daц? sein Tod den Provinzen die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daц? er mit
dem Gesicht aufwц?rts gegen sie liegt. Sie hц?lt den Kranz ц?ber seinem
Haupte schwebend: man hцrt ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stц?rker. Egmont erwacht; das Gefц?ngnis wird
vom Morgen mц?ц?ig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen: er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behц?lt.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schцnes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sц?ц?esten
Freuden meines Herzens. Die gцttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie die Gestalt; das reizende Mц?dchen kleidete sich in der Freundin
himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt,
ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die
wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler
Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves
Volk! Die Siegesgцttin fц?hrt dich an! Und wie das Meer durch eure Dц?mme
bricht, so brecht, so reiц?t den Wall der Tyrannei zusammen und schwemmt
ersц?ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaц?t, weg!
(Trommeln nц?her.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefц?hrten auf
der gefц?hrlichen, rц?hmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fц?r die Freiheit, fц?r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
Ja, fц?hrt sie nur zusammen! Schlieц?t eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fц?hlen.
(Trommeln.)
Dich schlieц?t der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, hцhern Mut! Im Rц?cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemц?t.
Schц?tzt eure Gц?ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich
euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los- und auf die Hintertц?r zugeht,
fц?llt der Vorhang: die Musik fц?llt ein und schlieц?t mit einer
Siegessymphonie das Stц?ck.)
Популярность: 45, Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GmT